Donnerstag, 5. Juli 2012

The Amazing Spider-Man

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Viel wurde geschrieben über die "Reboot-Mania", die zurzeit in Hollywood grassiert. Mit The Amazing Spider-Man etwa wird eine Franchise neu aufgelegt, die erst vor fünf Jahren endete. Doch der Film gibt dem Marvel-Studio Recht: Regisseur Marc Webb verbessert Sam Raimis Originalserie mühelos.

Nach einem Einbruch in Mr. Parkers Büro sieht er sich gezwungen, mit seiner Frau auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Den gemeinsamen Sohn gibt das Paar in die Obhut von Onkel Ben (der grossartige Martin Sheen) und Tante May (Sally Field), wo er zu einem intelligenten, aber etwas schüchternen jungen Mann heranwächst. Peter (Andrew Garfield) ist sein Name und an seine verschollenen Eltern denkt er erst wieder, als er eines Tages auf die Aktentasche seines Vaters stösst, die ihn in die Labore des Forschungsinstituts Oscorp führt. Dort lernt er den einarmigen Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) kennen, der einst mit Mr. Parker nach einer Möglichkeit suchte, dem menschlichen Körper die Kraft zu verleihen, sich selber zu heilen. Auf seinem Rundgang durch das Labor wird Peter von einer speziell gezüchteten Spinne gebissen, was unglaubliche Konsequenzen nach sich zieht: Der Teenager verfügt plötzlich über enorme Kräfte, übermenschliche Reflexe und ist in der Lage, Wände zu erklimmen. Aus Peter Parker wird "Spider-Man", der durch die Strassen New Yorks streift und Kriminelle dingfest macht. Dadurch bringt er aber nicht nur sich selber, sondern auch Onkel und Tante sowie seine Schulkameradin Gwen Stacy (Emma Stone) in Gefahr. Zudem hat sich Curt Connors inzwischen durch einen Selbstversuch in eine riesige Eidechse verwandelt und verfolgt einen düsteren Plan.

Hätte Sam Raimis Spider-Man-Trilogie (2002, 2004, 2007) wirklich einen Reboot gebraucht? Darüber lässt sich streiten. Immerhin hat die Franchise als Ganzes weltweit fast zweieinhalb Milliarden Dollar eingespielt und erhielt von vielen Kritikern grosses Lob. Rückblickend jedoch wirken Raimis Filme, obwohl unterhaltsam, eher oberflächlich und albern und werden der Figur Peter Parker/Spider-Man kaum gerecht. Entsprechend erfrischend wirkt darum im Vergleich The Amazing Spider-Man. Marc Webb, der hier nach der gehaltvollen romantischen Tragikomödie (500) Days of Summer erst seinen zweiten Film inszeniert, und sein Autorenteam, dem auch der renommierte Steve Kloves (Harry Potter, Teile eins bis vier und sechs bis acht) angehört, nahmen die nötigen Veränderungen gegenüber Raimis Versuchen vor und liefern einen Streifen ab, welcher den 1962 von Steve Ditko und Stan Lee – der, wie in jeder Marvel-Produktion, einen Cameo-Auftritt hat – ersonnenen Spider-Man genau richtig angeht.

Riskanter Nebenjob: Peter Parker (Andrew Garfield) setzt seine neuen Kräfte ein, um Verbrecher zu bekämpfen.
Funktioniert im Reboot alles? Mitnichten. Der Humor wirkt teilweise zu bemüht; von Rhys Ifans' Schauspiel ist man Überzeugenderes gewohnt; die Mischung aus realistischer und fantasievoll-futuristischer Welt hätte feinerer Ausarbeitung bedurft; und die Entwicklung einer Beziehung ist Webb in seinem Erstling besser gelungen. Andererseits aber macht The Amazing Spider-Man vieles richtig: Bei Raimi übernahm Mary Jane – eine klassische "Damsel in Distress" – die Rolle von Peters romantischem Gegenpol; Webb benutzt die von Emma Stone hervorragend gespielte Gwen Stacy, welche intelligenter und selbstständiger ist als "MJ". Zudem löst ihre Mitwisserschaft um Peters Alter Ego viele erzählerische Probleme der vorangegangenen Filme. Das Schema von Pro- und Antagonist wird durch die anfängliche Freundschaft zwischen Peter und Curt "Lizard" Connors angenehm differenziert; die Kampfchoreografien sind dynamisch und mitreissend – auch wenn das 3-D praktisch zwecklos ist –; James Horners Musikscore besticht durch experimentelle Klänge; Webb lässt feine Anspielungen auf Hitchcocks Rear Window einfliessen; die Idee, dass Spider-Man für Peter eine Bürde darstellt, wird trefflicher gehandhabt als bei Raimi; und Andrew Garfield ist ohne jeden Zweifel der überzeugendere Hauptdarsteller, als es Tobey Maguire war.

The Amazing Spider-Man wird derzeit primär deshalb von der Kritik gescholten, weil es sich bei ihm um einen womöglich unnötigen Reboot handelt. Als Film an sich aber ist Marc Webbs Zweitwerk ein befriedigendes Coming-of-Age-Actiondrama, das der filmischen Spider-Man-Franchise nicht nur ihre Würde zurückgibt, sondern auch die richtigen Prioritäten setzt: Herz und Charaktere.

★★★

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