Freitag, 12. Oktober 2018

Dogman

© Xenix Filmdistribution GmBH

★★★★

"Die Bemerkung, dass sein Film deshalb bisweilen etwas überfrachtet wirkt, muss sich Garrone gefallen lassen. Treibt er diesen Stil in seinen nächsten Projekten so weiter, begibt er sich wohl schon bald in die Nähe der Selbstparodie. Doch Dogman bleibt – nicht zuletzt dank Garrones Qualitäten als Regisseur – davon noch verschont. Die Geschichte vom kleinen Marcello, der sich in einer gnadenlosen Welt nach Ruhe und Frieden sehnt, berührt; die darin integrierte Milieuzeichnung ist hochgradig atmosphärisch."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Bad Times at the El Royale

© Twentieth Century Fox Film Corporation

★★★★

"Ohne moralisierend zu wirken, wird die Frage in den Raum gestellt, worin denn eigentlich der Reiz liegt, sich ins Leben von zwielichtigen Lügnern hineinzuversetzen. Tarantino fühlte sich zu solchen Gestalten hingezogen und machte sie zu seinen Helden. Goddard zoomt heraus und will wissen, warum das funktioniert hat. Eine schlüssige Antwort findet der Film trotz einer Laufzeit von 140 Minuten leider nicht. Dafür wartet er mit hohem Unterhaltungswert, grossartiger Kamera- und Ausstattungsarbeit sowie, in bester Thriller-Manier, mit unzähligen, ungemein stilsicher inszenierten Spannungsmomenten auf."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Dienstag, 9. Oktober 2018

Venom

Wenn die akademische Filmwissenschaft dereinst ihre Bücher über das Superheldenkino des frühen 21. Jahrhunderts schreibt, wird sie Sam Raimis Spider-Man 3 (2007) als Meilenstein identifizieren. Nicht etwa, weil der von Kritik und Publikum für mässig befundene Film in irgendeiner Form stilbildend war, sondern weil er mit seiner überfrachteten Handlung und seinen bisweilen lächerlichen Szenen das Ende jenes Proto-Superheldenbooms besiegelte, der 2000 mit Bryan Singers X-Men begonnen hatte.

Auf Spider-Man 3 folgte die Zeitenwende. 2008 war sowohl das Jahr von Christopher Nolans Genre-Meisterstück The Dark Knight als auch von The Incredible Hulk und Iron Man – den Filmen, mit denen das "Marvel Cinematic Universe" seinen Anfang nahm. Es war das Jahr, in dem sich die Verhältnisse in Hollywood wirtschaftlich und ästhetisch zu verschieben begannen.

Und nun, so scheint es, wird Spider-Man 3 endgültig zu Grabe getragen – und seine Ära mit ihm. Nachdem seit 2007 bereits zwei neue Schauspieler ins Spider-Man-Kostüm geschlüpft sind – im Dezember wird ein dritter hinzukommen – gerät in Ruben Fleischers Venom noch die letzte grosse Eigenheit von Raimis Film in die Recyclingmaschinerie des Superheldengeschäfts: der Marvel-Schurke Venom, ein amorphes Alien, genannt Symbiont, das andere Lebensformen besetzen muss, um zu überleben.

Fleischer (Zombieland, Gangster Squad) erzählt dessen Herkunftsgeschichte ohne jeden Verweis auf Spider-Man, Venoms traditionellen Gegenspieler. Stattdessen konzentriert er sich auf Eddie Brock (Tom Hardy), in dessen Körper sich Venom (gesprochen von Hardy) besonders wohlfühlt, und der mithilfe seines ausserirdischen "Untermieters" die finsteren Pläne des milliardenschweren Wissenschaftlers Carlton Drake (Riz Ahmed) durchkreuzen will.

Darin steckt Potenzial. Wie Deadpool und Logan vor ihm ist Venom überwiegend von der Pflicht befreit, eine über sich selbst hinausweisende Franchisengeschichte zu erzählen, und kann sich somit ganz auf seine eigenen Angelegenheiten konzentrieren. Zudem ist Venom mehr ein blutrünstiges Monster als ein klassischer Comic-Bösewicht, was den Drehbuchautoren Kelly Marcel, Jeff Pinkner und Scott Rosenberg allerlei spannende Erzählansätze ermöglicht.

Eddie Brock (Tom Hardy) ist vom Alien Venom (gesprochen von Tom Hardy) besessen.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Doch das Potenzial bleibt unerfüllt. Venom ist ein dröges, zahnloses und frustrierend unfokussiertes Werk, das es zu vielen Fansegmenten auf einmal recht machen will. Der Tonfall des Films schwingt hin und her zwischen düsterem Grusel-Superheldenfilm und schwarzer Buddy-Komödie Marke Deadpool.

Zwar funktioniert gerade Letzteres mitunter recht gut – vor allem dank Tom Hardys aberwitziger Doppeldarbietung –, doch Eddie Brocks beleidigungsreicher innerer Dialog mit Venom wird immer durch den austauschbaren, auf ernst getrimmten Plot ausgebremst, bevor er richtig in Schwung kommt. Es beschleicht einen der Verdacht, Hardy sei der einzige Mitwirkende, der sich in einer Komödie wähnt. Er ächzt, feixt und setzt sich in Hummeraquarien, als wäre er Jim Carrey, während um ihn herum betretene Blicke und humorlose Gespräche das Geschehen dominieren.

Zusammen mit Venom geht Eddie gegen die düsteren Machenschaften des Milliardärs Carlton Drake (Riz Ahmed) vor.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Natürlich ist Ruben Fleischer nicht dazu verpflichtet, eine Komödie zu machen. Ebenso wenig darf man von ihm und seinem Autorenteam verlangen, sich vollauf dem Horrorgenre zu verschreiben. Das Problem jedoch ist, dass Venom beides zugleich tun will – vielleicht nicht in der Theorie, wohl aber in der Praxis. Den Zuschauerinnen und Zuschauern wird keine Horrorkomödie geboten – kein Ghostbusters (1984), kein The Frighteners (1996) –, sondern eine Komödie, in der die Lacher zu kurz kommen, sowie ein Gruselfilm, dem die nötige Atmosphäre fehlt.

Letztlich enttäuscht dieses dissonante, unsauber zusammengeschusterte Konstrukt mehr als es ärgert. Trotz eines stellenweise grässlichen Drehbuchs ("like a turd in the wind") sind die Zutaten für einen anregenden eigenständigen Superheldenfilm da – einfach nicht in der richtigen Dosis und Reihenfolge. Was bleibt, ist der Eindruck, dass hier, mit Ausnahme von Tom Hardy, niemand so richtig bei der Sache war.

★★

Montag, 8. Oktober 2018

A Star Is Born

Wie oft lässt sich die gleiche Geschichte gewinnbringend erzählen? Dieser Frage geht der mehrfach oscarnominierte Schauspieler Bradley Cooper (Silver Linings Playbook, American Sniper) in seinem Regiedebüt nach: Sein A Star Is Born ist nach den Versionen von George Cukor (1954) und Frank Pierson (1976) das dritte Remake von William Wellmans gleichnamigem Technicolor-Klassiker aus dem Jahr 1937.

Dass der Plot der Affiche schon zu Wellmans Zeiten ziemlich generisch war, tut hier nichts zur Sache. Das A Star Is Born-Vehikel lebt von seiner schnörkellosen Darstellung der grausam simplen Show-Business-Logik: Eine junge Entertainerin – eine Schauspielerin im Original, eine Sängerin in den Neuauflagen – erreicht die Spitze des Stardaseins, während ihr Mentor in der Versenkung verschwindet. Es ist eine Kulisse, vor der Darstellerinnen zu Legenden werden: Janet Gaynor, Judy Garland, Barbra Streisand – und jetzt Stefani Germanotta, besser bekannt als Lady Gaga.

Sie übernimmt hier die Rolle von Ally, einer Kellnerin mit fabelhaftem Gesangstalent. Als der abgehalfterte Country-Musiker Jackson Maine (Bradley Cooper) auf sie aufmerksam wird, verändert sich ihr Leben für immer: An Jacksons Seite – professionell und romantisch – wandelt sie sich innert kürzester Zeit vom Bandmitglied zur gefeierten Solokünstlerin. Doch ihr Erfolg wird überschattet von Jacksons Alkohol-, Drogen- und Gesundheitsproblemen.

Coopers A Star Is Born krankt nicht daran, dass das Tellerwäscherin-zur-Millionärin-Schema von Hollywood schon hundertfach abgespult wurde. Das Problem liegt darin, dass diese spezifische Geschichte, jene von A Star Is Born, bereits dreimal erzählt wurde – und dass die vorliegende Fassung nicht einmal dann funktioniert, wenn man keinen einzigen ihrer Vorgänger gesehen hat.

Denn es scheint, als hätte der Legendenstatus dieser Quasi-Franchise Cooper und seine Co-Autoren Eric Roth und Will Fetters zur Nachlässigkeit verleitet. Ally und Jackson sind keine überzeugend ausgearbeiteten Figuren, sondern bleiben Schablonen. Ihr Verhalten – und somit auch jegliche narrative Entwicklung – wird nicht durch äussere Umstände, sondern durch ihre Mediengeschichte bestimmt. Dinge geschehen nicht, weil sie organisch aus der Handlung folgen, sondern weil sie 1937, 1954 und 1976 auch geschahen.

Ihr Stern geht auf, seiner geht unter: Ally (Lady Gaga) und Jackson Maine (Bradley Cooper).
© 2018 Warner Bros. Ent.
Das mag zum einen das Versäumnis von Drehbuch und Regie sein. So zeugt etwa Coopers wiederholter Versuch, mit dem emotionalen Vorschlaghammer über fehlende kausale Zusammenhänge hinwegzutäuschen, nicht eben von sauberem Handwerk. Doch zum anderen liefert dieser bisweilen frustrierend inkohärente Film auch den Beleg, dass sogar die Lebenszeit von einem kanonischen Werk wie A Star Is Born begrenzt ist. Der Fluss der Zeit hat die Feinheiten der Erzählung und der Charakterisierungen bis zur Unkenntlichkeit glatt geschliffen.

Zudem wirkt die zentrale Beziehung, gerade vor dem Hintergrund von #MeToo und Time's Up, wie ein hoffnungsloser Anachronismus. Besonders Jacksons frühes Werben um die selbstbewusste Ally ist von einer unangenehmen Aufdringlichkeit; mehrmals stossen Verneinungen und Wünsche von Ally auf taube Ohren. Diese dubiosen Elemente sind zwar nicht so eklatant, als dass sie Jackson als Protagonisten disqualifizieren würden; doch sie untergraben allzu oft die Romantik, die der Film heraufzubeschwören versucht.

A Star Is Born pocht mit Nachdruck auf seine Daseinsberechtigung. Musik, so der grossartige Sam Elliott (als Jacksons Bruder Bobby) kurz vor dem Ende, sei ja auch nur das Arrangieren der immer gleichen zwölf Töne. Doch es gelingt dem Film nicht, dieses Selbstbewusstsein zu rechtfertigen. Bradley Coopers Debüt auf dem Regiestuhl ist wenig mehr als eine Sammlung überwiegend ansprechender Lady-Gaga-Songs, zwischen denen überlieferte Plotfetzen durch ein emotionales Vakuum schwirren.

★★

Sonntag, 7. Oktober 2018

RBG

It seems necessary to acknowledge two things at the outset of this review of RBG: first, that in terms of presentation, Betsy West and Julie Cohen's portrait of U.S. Supreme Court Justice Ruth Bader Ginsburg is a fairly conventional work; and second, that is unapologetically partisan, in spite of its inclusion of a few conservative and conservative-adjacent voices.

Neither point undermines the project's ultimate success, however. Not only can those who are left craving a more nuanced, more balanced perspective follow up their viewing with Jill Lepore's recent New Yorker piece on Bader Ginsburg and RBG: Beyond Notorious, a six-part documentary podcast affiliated with West and Cohen's film. There's also the fact that RBG is less interested in being biographical and historical than in addressing the current political climate in the United States.

Considering its subject, this is more than warranted. Ruth Bader Ginsburg, affectionately nicknamed "The Notorious R.B.G." by her newly minted Millennial fan base, has become an unlikely focal point of American progressivism in recent years. At 85, she represents a generation that younger people, especially on the left of the political spectrum, tend to distrust, if not outright malign. Her well-publicised friendship with fellow Supreme Court Justice Antonin Scalia, an ardent right-winger, whose death in 2016 caused a crisis from which the Court has yet to recover, has raised more than a few liberal eyebrows. Her long-standing insistence on compromise and calm, collected discourse seems at odds with an era in which the term "civility" is most often used by political operatives seeking to discredit opposition to increasingly authoritarian policies.

And yet, as America's political landscape has changed since Bill Clinton appointed Bader Ginsburg in 1993, so has the Supreme Court. After taking her seat on the bench as a centrist, confirmed with overwhelming bipartisan support, the Court's subsequent rightward shift, particularly following its controversial decision to effectively award the presidency to George W. Bush in 2000, has seen "RBG" become a leading voice of liberal dissent.

The Notorious R.B.G.
© Magnolia
West and Cohen carefully work their way up to "The Notorious R.B.G." the cultural icon – by way of Joan Ruth Bader the precocious child of Russian Jewish immigrants, Ruth Bader the Cornell student, and Ruth Bader Ginsburg the Harvard Law School graduate, Columbia professor, women's rights litigator, and U.S. Court of Appeals Judge. They paint an engaging portrait of an arresting personality, a brilliant legal mind, and a conscientious professional using the established mechanisms of the law to tackle the complex systems of oppression that underpin said law.

This is what makes RBG such a rousing experience, especially set against the United States' situation in this very moment – with a racist misogynist occupying the White House, a looming constitutional crisis, and a hyperpartisan credibly accused of multiple sexual assault being admitted to the Supreme Court after repeatedly lying in his confirmation hearing.

The film convincingly, and often touchingly, frames Bader Ginsburg as a major figure of America's past, present, and, one is left hoping by the end, its future. She serves as a symbol of principled resistance, of legal and above all intellectual pushback against the regressive spirit that has taken hold in American politics, and which is steadily gaining traction elsewhere. As much as it may tick all the stylistic boxes, RBG, by virtue of its extraordinary protagonist, is a truly inspiring movie.

★★★★

Samstag, 6. Oktober 2018

Leave No Trace

© Praesens Film AG

★★★

"Trotz der menschlichen Problematik im Kern der Geschichte bleibt Granik stets im neutralen Beobachtermodus: Szenen ziehen vorbei, ohne sich mit überzogener Dramatik aufzudrängen – aber auch ohne sonderlich tiefe Eindrücke zu hinterlassen. Leave No Trace bleibt zwar konstant interessant, doch ein wenig ist der Titel eben doch Programm."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Dienstag, 2. Oktober 2018

Lazzaro felice

© Filmcoopi

★★★★

"Trotz der thematischen Vielschichtigkeit und dem Sinn fürs Parabelhafte verliert Rohrwacher Lazzaro und dessen einzigartigen Charakterbogen nicht aus den Augen. Lazzaro felice bleibt bis zum Schluss ein berührender Film über klar umrissene, emotional nachvollziehbare Menschen auf der Suche nach ein wenig Halt in einer sich stetig wandelnden Welt."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Montag, 1. Oktober 2018

Roma

When Gravity won seven Oscars in 2014, including one for direction, it was widely seen as the crowning achievement of Alfonso Cuarón's illustrious career. To be sure, the CGI-heavy space thriller was a visual feast, but five years on, much about its narrative feels hokey, ill-suited to the grandeur of the imagery. In a way, Roma, Cuarón's first project as an Academy Award winner, rectifies that – the substance has caught up with the style.

Roma is Cuarón's first film since Y tu Mamá también, released in 2001, to take place in a recognisably everyday setting. It trades in space, wizarding schools (Harry Potter and the Prisoner of Azkaban), and dystopian wastelands (Children of Men) for a rigorously defined, deeply personal time and place: the megalopolis of Mexico City between the summers of 1970 and 1971, as experienced by a middle-class family and, most notably, its indigenous live-in maid Cleo (Yalitza Aparicio).

This is a setting Cuarón knows intimately, and it shows. Born in 1961, the son of a well-to-do nuclear physicist from the Mexican capital, the events which roughly bookend his latest film – the 1970 FIFA World Cup and the infamous "Hawk Strike" massacre – will likely have had a significant impact on him.

Maybe that's why he is working with more creative freedom than ever before here: apart from directing Roma, he also wrote, produced, edited, and – in an unprecedented move – shot it, foregoing the services of long-time collaborator and three-time Oscar winner Emmanuel Lubezki (Children of Men, The Tree of Life, Gravity, Birdman). The difference is surprisingly noticeable. Whereas Lubezki is a master of the free-flowing camera that effortlessly glides through three-dimensional space, Cuarón, though equally fond of long takes, is almost a minimalist: he shoots in expressive black-and-white; he pans along straight lines, turns the camera up, down, left, and right in simple 90-degree angles, keeps it perfectly still to zero in on a detail – a shattered window, a pensive Cleo, a wailing student protestor cradling a fallen comrade.

Roma follows a year in the life of Cleo (Yalitza Aparicio), who works as a maid for a bourgeois family in Mexico City.
© Netflix
There is a plot here – quite a bit of it, actually – but Cuarón doesn't push it into the foreground, recalling at times Mike Leigh's brand of seemingly incidental storytelling. There is an unwanted pregnancy, a failing marriage, a harrowing subplot of radicalised machismo, but even though the emotional toll of all these elements is played out in full, they are still dwarfed by the sheer enormity of the life that surrounds them. Few scenes pass by without at least three or four things happening at once. Street scenes are dominated by the deafening clamour of the big city; elsewhere, nature provides an overwhelming intensity of sound. The narrative is interlaced with grand, sweeping set pieces featuring hundreds of extras.

The world Roma conjures up feels authentic, almost viscerally lived-in. This is Cuarón's Ulysses, his People on Sunday; and 1970s Mexico City is his 1900s Dublin, his late-1920s Berlin. It is told in indelible moments and images, which demand to be seen, heard, and felt in a movie theatre (which is ironic, given Netflix co-produced) – and which to recount in detail cannot hope to do justice to their breathtaking beauty.

★★★★★