Samstag, 27. Dezember 2008

Religulous

5 Sterne

Es ist schwierig genug, Religion öffentlich zu kritisieren. Noch schwieriger ist es aber, Religion öffentlich lächerlich zu machen, denn dann können sich die Theisten nicht einmal mehr auf eine Diskussion einlassen. Wenn über Religionen gelacht wird, dann spüren ihre Anhänger, dass ihr Glauben sozusagen als Irrglauben entlarvt wird und das macht sie wütend. Welche Konsequenzen diese religiöse Wut haben kann, wurde uns im Jahre 2005 verdeutlicht, als in der muslimischen Welt wütende Proteste entbrannten, weil ein dänischer Karikaturist Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlichte. Dass Religulous auch mit derartigen Folgen zu rechnen hat, ist unwahrscheinlich. Dennoch stellt sich einem die Frage während des ganzen Films.

Der Regisseur der Doku Religulous ist kein Unbekannter: Larry Charles inszenierte 2003 den trashigen Musikfilm Masked and Anonymous und 2006 die brachiale Pseudodoku Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan. Vor allem der zweitgenannte Film schlug hohe Wellen und sorgte unter anderem dafür, dass mehrere kasachische Regierungsvertreter sich in der Presse gegen Sacha Baron Cohen in derbster Weise äusserten. Dafür wird bei Religulous die Presse gar nicht erst bemüht - die Tiraden gegen den Interviewer Bill Maher erfolgen bereits im Film. Doch dieser gibt die Beschimpfungen jeweils ungerührt zurück. Das Konzept des Films ist einfach: Zunächst bereist der Stand-Up-Comedian Maher die USA und führt Gespräche mit allerlei Leuten. So spricht er mit dem Senator von Arkansas, einem Jesus-Darsteller, Lastwagenfahrern und christlichen Wissenschaftlern. Er selbst ist überzeugter Atheist, der seine Gesprächspartner jeweils arg ins Schleudern bringt und sie mit provokanten, aber gut durchdachten Fragen aufs Glatteis führt. Doch seine Reise ist nicht auf Amerika beschränkt! Maher verschlägt es auch in den Vatikan, nach Jerusalem und an den Ort, wo angeblich die Apokalypse beginnen sollte - und dabei handelt es sich nicht um das CERN in Genf. Wer sich fragt, wie Bill Maher an seine Interviewpartner, die sich mehrmals ziemlich veräppelt vorkommen, rankam, dem sei gesagt, dass die Crew von Religulous hervorragend getarnt war. Unter dem Vorwand, eine Dokumentation mit dem Titel A Spiritual Journey zu drehen, kam Maher an die Leute heran - und überfiel sie dann sogleich mit kritischen und teilweise etwas gar herablassenden Fragen. Doch das allein macht den Film nicht aus. Religulous ist voll von ironischen Untertiteln - etwa wenn das Handy des Imams läutet (!) und unten eingeblendet wird: "Death 2 Bill Maher! LOL" oder erklärend steht "He has got no doctor's degree." - fetziger Musik und filmischen Einspielungen - entweder um das Geschehen zu kommentieren oder anhand eines Beispiels zu zeigen, wie lächerlich sich der Befragte gerade gemacht hat. Doch er benutzt auch Dinge wie Zitate amerikanischer Gründerväter, um zu beweisen, dass Amerika nicht auf dem Grundsatz des Glaubens gegründet wurde. Durch diese Stilmittel wird Religulous zur vollendeten Komödie, der es aber trotzdem auf Tatsachenforschung ankommt. Es lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass der Film zu den lustigsten des Jahres gehört, wohl nur noch übertroffen von Burn After Reading und Tropic Thunder.

Dokumentationen lassen sich nicht besonders einfach kritisieren, vor allem eine wie Religulous. Selten liess sich so genau sagen, wem ein Film gefallen wird und wem nicht. Larry Charles' neuster Streich wird Atheisten und Zynikern gefallen. Er wird die Leute unterhalten, die gerne sehen, wie Leute blossgestellt werden, die gerne sehen, wie ein Franziskaner sagt, die Kirche beleidige alles, was Jesus wollte. Gläubige und Zartbesaitete wird er vor den Kopf stossen und beleidigen. Das macht aber nichts, denn der Film ist nicht für sie gemacht. Religulous wurde gedreht, damit sich Atheisten erheben, um die Religion zu stürzen - eine sehr radikale Aussage, vielleicht sogar zu radikal ("Religion must die, so mankind can live!"). In erster Linie soll aber auf den hohen Unterhaltungswert des Films hingewiesen werden. Es wird zwar 100 Minuten lang fast nur geredet, aber immer dann, wenn man sich denkt, man habe es jetzt gesehen, kommt wieder ein neuer Aspekt der Religionskritik hervor und man ist wieder voll bei der Sache.

Wird Religulous die Leute auf die Strasse treiben? Die Antwort lautet: Nein. Dafür gibt es zwei Gründe: Bill Maher ist bei Theisten aller Art bereits verhasst, viel verscherzt hat er sich mit dem Film also nicht. Der zweite Grund ist, dass das Ansinnen des Films vollkommen klar ist. Die Tiraden gegen die Religion kommen überhaupt nicht unerwartet.

Es lohnt sich nicht, noch länger über Religulous zu referieren. Jedem, der nach dieser Kritik nun denkt, der Film wäre etwas für ihn, dem sei er empfohlen. Alle anderen sollen sich nur bewusst sein, dass Religion nicht zum ersten Mal ausgelacht wird. Da es sich bei diesem Schreiberling um einen Atheisten handelt, dürfte sein Verdikt klar sein: Religulous gehört zu den besten Dokumentarfilmen seit Jahren!