Sonntag, 20. September 2009

Public Enemies

Love in the Time of the Great Depression: John Dillinger (Johnny Depp) hat sich in Billie (Marion Cotillard) verliebt, wird aber andauernd verfolgt. Dies ist Billie (Marion Cotillard) aber herzlich egal, da er sie fasziniert.

4 Sterne

Die Amerikaner sind ein illustres Völkchen. Während der grossen Wirtschaftskrise, die von 1929 bis in die frühen 1940er Jahre andauerte, machten brutale Gauner das Land der unbegrenzten Möglichkeiten unsicher. Ähnlich wie die Outlaws aus dem 19. Jahrhundert, die vom Westerngenre schon unzählige Male abgefeiert und verklärt wurden, raubten sie Banken aus und töteten dabei auch unschuldige Menschen. Doch die Symbolkraft dieser Aktionen schien wichtiger zu sein als die Anzahl toter Zivilisten. Die Auflehnung gegen die reiche Obrigkeit beeindruckte in den frühen 30er Jahren ein ganzes Land und die Gangster wurden bejubelt - die Todesopfer machten alles nur dramatischer. Michael Mann erzählt mit seinem Film Public Enemies diesen turbulenten Abschnitt der amerikanischen Geschichte am Beispiel von John Dillinger. Diese routinierte Aufarbeitung kommt episch, aber chaotisch daher.

Dass Michael Mann ungewöhnliche Geschichten erzählen kann, hat er schon mehrfach bewiesen. So inszenierte er zum Beispiel den Kultfilm Heat oder den spannungsgeladenen Thriller Collateral. Aber Mann hat in seiner Karriere nicht nur Hits produziert. Immer mal wieder wurde der Kinozuschauer mit mehr oder minder mittelmässigen Streifen wie Miami Vice oder The Insider abgespeist. Ob Public Enemies in die Kiste des Mittelmasses gehört oder der grösste Film über die Outlaws der Great Depression seit Bonnie and Clyde ist, wird unter Kinofans zurzeit eifrig diskutiert. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden Polen, da der Film grandiose und mittelmässige Aspekte gleichermassen zu bieten hat.

Es ist wahrscheinlich das Beste, bei den Schauspielern anzufangen. Der Cast von Public Enemies spielte nämlich bei der Promotion des Films eine zentrale Rolle. Und es kann wohl niemand abstreiten, dass die beiden männlichen Hauptfiguren - zumindest vom finanziellen Standpunkt aus gesehen - perfekt gecastet sind. Es gibt momentan wohl keinen beliebteren Hollywood-Schauspieler als Johnny Depp. Damit ist es schon so gut wie sicher, dass seine gesamte Fangemeinde ins Kino strömt. Ob es den vornehmlich weiblichen Fans letztendlich gefällt, kann dem Studio herzlich egal sein. Depps Gegenpart ist ebenfalls eine potentielle Goldgrube. Christian Bale hat mit seiner Rolle als Batman in Batman Begins und The Dark Knight den Durchschnittskinogänger auf sich aufmerksam gemacht. Seitdem lässt sich sein Name problemlos vermarkten. Sind die beiden Akteure aber auch das Geld wert, welches sie die Produzenten kosteten (denn grosse Namen sind, wie man weiss, nicht gratis)? Die Frage kann man ohne weiteres mit Ja beantworten. Vor allem Johnny Depp liefert eine Performance ab, die John Dillinger ein durchaus menschliches Antlitz verleiht. Der stetige Gefühlswechsel zwischen Selbstsicherheit und Selbstzweifel wird von Depp sehr gut interpretiert. Doch auch Bale macht seine Sache mehr als gut. Als rastloser FBI-Inspektor weiss der Schauspieler zu glänzen. Neben diesem Duo, welches sich auf der Leinwand einen glaubwürdigen Psychokrieg liefert, geht die zurückhaltend wirkende Marion Cotillard beinahe unter. Aber trotzdem beweist sie auch in Public Enemies ihr enormes Talent. Für La Môme bekam sie einen Oscar, für Manns Film dürfte zumindest eine Nomination im Bereich des Möglichen liegen. Abgesehen vom Trio Depp/Bale/Cotillard gibt es keine erwähnenswerte Leistungen, wohl aber nennenswerte Auftritte. So verkörpert Billy Crudup den legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover, was sich auf jedem Bewerbungsschreiben sehen lässt, und Giovanni Ribisi ist in der Rolle des Gauners "Creepy Karpis", der erst 1979 starb und als letzter "Public Enemy" gilt, zu sehen.

Der Grund, weshalb das Gros der Schauspielleistungen aus Public Enemies nicht im Gedächtnis haften bleibt, ist die Indifferenz, mit der die verschiedenen Figuren angegangen werden. Dies zeigt sich bei den Schiessereien besonders stark. Wer wen umbringt und ob jemand von Bedeutung erschossen wurde, bleibt fast gänzlich im Dunkeln. Da täuscht auch die stellenweise eingesetzte Wackelkamera, die eines Epos nicht würdig ist, nicht über den Fakt hinweg, dass der Zuschauer wirklich nur Zuschauer ist. Zwar findet diese Kameraführung in den meisten positiven Rezensionen zu Public Enemies Erwähnung, doch die Dissonanz zur opulenten Fotografie, die man im Rest des Films vorfindet, ist zu gravierend. Wenn der Kamerameister Dante Spinotti mit der Handkamera auffährt, fühlt man sich trotz aller Nähe hoffnungslos verloren. Logisch, die Anonymität der Opfer, egal ob Ganove oder Ordnungshüter, ist Teil des Konzepts des Streifens. Die verwirrende Ära der Wirtschaftskrise und der Prohibition wird mit filmischen Mitteln dargestellt. Doch mehr als ein anerkennendes Nicken wird dieser Kunstgriff dem Publikum nicht entlocken. Es stellt sich die Frage, ob eine zuschauerfreundlichere Umsetzung nicht lohnenswerter gewesen wäre.

Zugegeben, schlecht ist Michael Manns neuster Streich überhaupt nicht. Sieht man von den erwähnten Mängeln ab, ist Public Enemies ein unterhaltender und meisterhaft gemachter Gangsterfilm. Dante Spinottis Kameraführung ist, wenn sie nicht wackelt, einsame Klasse und versetzt einen mühelos in die USA von 1933. Auch William Ladd Skinners und Patrick Lumbs Ausstattung ist schlichtweg brillant. Autos, Gebäude und Inneneinrichtungen sehen unglaublich echt aus, schreien nach Oscar und erfreuen das Herz des nostalgischen Kinogängers. Und auch die Kostümdesignerin Colleen Atwood darf auf ein Goldmännchen, es wäre bereits ihr drittes, hoffen. Neben diesen eher kleinen Vorzügen glänzt Public Enemies aber auch in einer grösseren Disziplin: Das Drehbuch, basierend auf Bryan Burroughs Buch, geschrieben von Ronan Bennett, Ann Biderman und Michael Mann selbst, ist voll von Verweisen auf die amerikanische Kriminellenszene der 1930er Jahre. Persönlichkeiten wie "Baby Face" Nelson, den man vielleicht noch aus O Brother, Where Art Thou? kennt, "Pretty Boy" Floyd oder Tommy Carroll wurden bravourös in das Skript eingearbeitet. Zudem wird einem die Liebesgeschichte zwischen John Dillinger und Billie Frechette ganz ohne Kitsch präsentiert.

Mit Public Enemies verhält es sich ähnlich wie mit Watchmen: Der neutrale Kritiker wird den Film gut finden, mehr nicht. Als Ganzes handelt es sich sicher nicht um ein Meisterwerk, dazu geht es an einigen Stellen zu schnell und zu unübersichtlich zu und her. Doch in Einzelteilen beweist Public Enemies nichts anderes als Brillanz (Ausstattung, Kamera). Geschichtlich Interessierte werden Gefallen am Plot finden, Actionliebhaber werden die Schiessereien lieben und Cinephile werden sich an Dante Spinottis wunderbar komponierten Bildern nicht sattsehen können. Michael Mann hält einmal mehr für jeden etwas bereit.

Montag, 7. September 2009

Alle Anderen

"Och, hattu dir dat Köpfchen angehauen...?" Gitti (Birgit Minichmayr) neckt ihren Freund Chris (Lars Eidinger) nach dessen Missgeschick, was ihm nicht besonders gefällt. Kann die Entfremdung noch gestoppt werden?

3 Sterne


Es ist tragisch, wenn einem Film der Erfolg deswegen verwehrt wird, weil er zu publikumsunfreundlich gemacht ist. Klar, es gibt Werke, die zwar mehr oder minder bewusst am Zuschauer vorbeiproduziert sind - Michael Manns Thriller Public Enemies oder Tony Gilroys Anwaltsdrama Michael Clayton zum Beispiel -, aber dennoch einen genug fesselnden Inhalt haben, um zu beeindrucken. Bei dermassen grossen Themen ist die Distanz zum Publikum auch als fortgeschrittenes Stilmittel zu interpretieren. Doch man braucht kein Filmkenner zu sein, um zu erraten, dass solche Extravaganzen einem deutschen Independentfilm nicht allzu gut zu Gesicht stehen. Entsprechend ist Maren Ades neuster Film, Alle Anderen, in welchem fast über die ganze Länge nur zwei Personen zu sehen sind, nicht der grosse Renner, als solcher er einem von verschiedenen Seiten angepriesen wurde.

Der Plot von Alle Anderen ist weder neu noch sonderlich originell: Ein Pärchen macht Ferien. Sie pflegt einen eher verrückten Lebensstil, während er der Langweiler aus dem Bilderbuch ist. Reibungen und Spannungen sind vorprogrammiert. Hm, hat man diese Ausgangssituation nicht schon mindestens zehnmal in ähnlicher Form gesehen? Doch, aber die veraltete Geschichte von Alle Anderen ist für einmal nicht der Grund, weshalb man das Kino mit gerunzelter Stirn verlässt. Aber der Reihe nach: Man kann viel über die Fehler von Ades Film schreiben, doch es ist nicht so, dass er nicht auch seine positiven Aspekte hat. Zwar sind diese vornehmlich in der Form zu finden, doch sie sorgen immerhin dafür, dass sich Alle Anderen auf keiner Flop-Liste am Ende des Jahres wiederfinden muss.

Symptomatisch für Maren Ades Film ist das von ihr selbst geschriebene Skript. Einerseits brilliert dieses durch lebensechte und beklemmende Dialoge, andererseits aber wird dieser Vorzug derart überstrapaziert, dass - das prägnante Modewort sei dem Schreibenden verziehen - der Fremdschämfaktor die Schmerzgrenze übersteigt. Natürlich ist dies das kleinere Übel als, sagen wir, schlechte Schauspieler oder eine übertrieben wackelige Kamera. Aber es tut dem Filmgenuss dennoch einen Abbruch. Die Kunst des realistischen Schreibens liegt nicht zuletzt darin, es nicht zu übertreiben. Doch abgesehen davon kann man sich über die Dialoge von Ade nicht weiter aufhalten. Die teils recht kryptische Handlung ist eher ein Grund zur Kritik. Alle Anderen wechselt den Tonfall quasi im 5-Minuten-Takt. Damit wurde zwar eine schöne Brücke zur dargestellten Beziehung geschaffen - eine, formal gesehen, gekonnte Parallele - doch es verleiht dem Film eine ganz eigene Art der Sprunghaftigkeit und Inkohärenz. Im einen Moment schäkert sie mit einem Kind herum, in einem anderen läuft er ohne Vorwarnung ungespitzt in eine Glastüre. Eine Szene, die besser in einen Slapstick-Film als in ein Beziehungsdrama passen würde.

Auch schauspielerisch überzeugt Alle Anderen nicht zu 100%. Birgit Minichmayr, zuletzt herrlich in Der Knochenmann, macht das Beste aus ihrer sehr verqueren Figur - sie wurde an der Berlinale dafür mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet - und verleiht dem Film eine gewisse schauspielerische Klasse. Ihr Partner jedoch, Lars Eidinger, macht kaum etwas. Er steht apathisch in der Landschaft herum, er mahnt seine Freundin, sich nicht so seltsam aufzuführen, und er läuft in Glastüren und schlägt sich dabei die Stirn auf (siehe oben). Man kann zwar zumindest halbwegs die Figur dafür verantwortlich machen, doch auch so spielt Eidinger das Talent, welches ihm zweifelsohne innewohnt, überhaupt nicht aus. Die weiteren für die Handlung wichtigen Schauspieler sind nicht besonders zahlreich, sodass sie hier auch noch den ihnen zustehenden Platz erhalten. Hans-Jochen Wagner spielt Hans, die etwas unsympathische Nemesis von Chris (Lars Eidinger). Er macht seine Sache relativ gut und ist bei jedem seiner wenigen Auftritte eine Bereicherung, was aber vielleicht auch daran liegt, dass man als Zuschauer froh ist, für einmal jemand anderen als Eidinger und Minichmayr auf der Leinwand zu sehen. Hans' schwangere Frau Sana wird von Nicole Marischka verkörpert. Sie ist eine blasse Bourgeoise, die von Marischka ebenso blass dargestellt wird. Die Figur Sana ist wohl auch der satirischste Teil von Alle Anderen. Die langweiligste Figur von allen - ja, sie schlägt sogar Chris - wird als die Traumpartnerin per se hingestellt, was einer Birgit Minichmayr selbstredend nicht in den Kram passt.

Ein zweifelhaftes Kompliment muss dem Kameramann Bernhard Keller gemacht werden. Seine Bilder sind zwar stimmig, haben aber den Anschein, als würde sich auf Sardinien, wo der Film spielt, hinter jeder Ecke ein Killer lauern, so roh ist Alle Anderen fotografiert. Vergleichbare Kameraführungen findet man in der Regel in amerikanischen Schlitzerfilmen. Auch schafft Keller es, dem Ferienparadies Sardinien jegliche Idylle zu nehmen. Ein farbloser Himmel und flimmernde Luft erinnern überraschend stark an Filme über den Irakkrieg.

Es muss bemerkt werden, dass Alle Anderen für eine Altersgruppe gemacht ist, der der Schreibende noch lange nicht angehört. Die gemeinsamen Ferien, der Wunsch, wie "alle Anderen" zu sein, gegenseitiges Desinteresse und Unverständnis, dies sind alles Themen, mit denen sich jemand, der auf der Schwelle zur Volljährigkeit steht, nur bedingt identifizieren kann. Aber trotzdem darf die Frage gestellt werden, warum sich Alle Anderen fast jeglicher erzählerischer Ästhetik entzieht. Maren Ade verzichtet auf viel Dramaturgie und erzählt dafür lieber von abstrusen und unfreiwillig komischen Missgeschicken, überempfindlichen Charakteren und einer ungeschnittenen Outdoor-Sexszene, welche einfach nur obsolet wirkt. Und Gespräche über Geschlechtsteile sind auch nur ansatzweise interessant.

Stark gekürzt wäre Alle Anderen als Bewerbungsfilm für eine Filmakademie zweifellos geeignet. Doch als abendfüllender Kinofilm fällt Maren Ades dritter Film in wichtigen Punkten durch. Einige Stilmittel werden zu exzessiv bemüht, andere zu wenig; sinnvollen Konventionen, wie zum Beispiel einem Handlungsmotor, wurde getrotzt und als Helden wurden zu unsympathische Schnittmuster benutzt. Kurz: Alle Anderen hat auf der formalen Ebene viel Gutes zu bieten, versagt aber letztendlich beim Versuch des Spagats zwischen akademischem Kunst- und unterhaltendem Kinofilm.