Mittwoch, 23. Dezember 2009

Whatever Works

Frischer Wind in der Junggesellenwohnung: Boris Yellnikoff (Larry David) weiss nicht so recht, wie er mit der jungen Melody (Evan Rachel Wood), die sich bei ihm einquartiert, umgehen soll.

5 Sterne


Woody Allen zählt zu den fleissigsten Filmemachern Hollywoods. Seit ungefähr 1970 hat er mit wenigen Ausnahmen jedes Jahr ein Drehbuch verfasst und umgesetzt. Dabei entstanden hinreissende Filme wie Annie Hall (1977), eine wegweisende Liebeskomödie, die zurecht mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, Love and Death (1975) oder Manhattan (1979). Insbesondere in den letzten Jahren sprach das Brooklyner Original wieder vermehrt Freunde des ernsten Kinos an, etwa mit dem Liebesdrama Match Point (2005) oder Cassandra's Dream (2007), einer Studie von Schuld und Sühne im Stile der griechischen Tragödie. Letztes Jahr erschien der bittersüss-frivole Vicky Cristina Barcelona, der die Kritiker im Sturm eroberte. Doch irgendwie ist Woody Allen in Barcelona nicht richtig zu Hause, ebenso wenig in London, wo er auch einige Filme drehte. Mit Whatever Works kehrt er in die multikulturelle heimische Metropole zurück und greift gleichzeitig seine alten Stilmittel wieder auf: Das Niederreissen der vierten Wand, das Fokussieren auf einen neurotischen Zeitgenossen und die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Für den Grossteil der Rezensenten ist es ein Fehlgriff, für den Schreibenden (fast) ein Treffer ins Schwarze.

Whatever Works ist für so manchen Kinogänger nichts anderes als eine Notlösung. Ist eine andere Vorstellung ausverkauft, dann fährt man mit dem Finger über das Programm und stösst auf den Namen "Woody Allen" und die Titulierung "Liebeskomödie". Man denkt bei sich, dass wohl nichts anderes bekömmlicher wäre und setzt sich ahnungslos in den Kinosaal. Doch statt einer harmlosen und schnell vergessenen Posse über zwei Liebende bekommt man zunächst eine Gruppe Herren in mittleren Jahren zu sehen, die darüber diskutieren, ob und wenn nicht, weshalb, Religion nicht funktioniert. Nach einer Weile erhebt sich einer der Protagonisten und fängt an darüber zu reden, dass sie von Menschen in einem Kino beobachtet werden. Und schon wäre die vierte Wand, die Grenze zwischen den Teilnehmern einer Geschichte und den Beobachtern, erstmals ernsthaft angeknackst. Die Idee ist natürlich alles andere als neu. Die einseitige Interaktion zwischen der Hauptfigur und dem Kinozuschauer hat Allens Filme der 1970er Jahre entscheidened geprägt. Wer erinnert sich nicht an Alvy Singer in Annie Hall, der bei einer Diskussion mit einem bockigen Zeitgenossen mir nichts, dir nichts den Literaturprofessor Marshall McLuhan quasi aus dem Hut zaubert, seinem Gegenüber damit die Sprache verschlägt, sich zur Kamera wendet und "If it were that easy in real life..." sagt? Doch die Persönlichkeit von Boris Yellnikoff, der Hauptfigur von Whatever Works, ist der von Alvy - und überhaupt fast allen von Woody Allen selber gespielten Charakteren - dermassen ähnlich, dass das Stilmittel hervorragend passt. Die Komik von Allens Drehbuch liegt aber bei weitem nicht nur in einem lustigen Einfall. Zugegeben, die Geschichte ist grundsätzlich recht einfach - ein älterer Mann und seine junge Freundin/Frau -, doch sie ist gespickt mit derart vielen Wendungen und neuen Entwicklungen, dass sie bis zum Schluss interessant bleibt. Ausserdem werden an den richtigen Stellen neue Charaktere eingeführt, die der manchmal etwas ins Flache abzudriften drohenden Story wieder den nötigen Schwung verleihen. Woody Allen hat es auf eine wunderbare Art und Weise geschafft, diese neuen Figuren nicht als blosse Staffage auftreten zu lassen, sondern er hat sich für jede einzelne eine spezielle Entwicklung ausgedacht. Die pfiffigen Dialoge, die stellenweise an die "Machine Gun Dialogues" aus den Screwball-Komödien der 1940er Jahre erinnern, sind aber eindeutig die grösste Stärke von Whatever Works. Besonders der anfänglich höchst einseitige Austausch zwischen dem intelligenten Boris und der naiven Melody ist voller herrlicher Sarkasmen. Die beiden, deren Marotten einander sehr gut ergänzen bzw. entgegentreten, sind ein klassisches "Odd Couple", das bestens funktioniert.

Im Schauspielensemble von Whatever Works sucht man vergebens nach grossen Namen. Schmälert das die Freude am Film? Keineswegs. Larry David ist die ideale Besetzung für Boris. Wie Woody Allen verkörpert auch David den von sich selbst überzeugten, mit dem Leben unzufriedenen, hypochondrischen, hibbeligen New Yorker. Sein komödiantisches Talent äussert sich aber nicht allein dadurch, dass er den Zuschauer in jeder Lage zum Lachen bringen kann. Er schafft es sogar, alle Sympathien auf seiner Seite zu halten, egal ob er wildfremde Menschen anpflaumt, über seine Fast-Nominierung für den Physiknobelpreis schwadroniert oder ohne jede Spur von Reue darauf zurückblickt, wie er einem Kind Schachfiguren an den Kopf geknallt hat. Der Grund dafür ist wohl beim Donald-Duck-Effekt zu suchen. Eine Figur ist glaubwürdig und liebenswert, wenn sie so fehlerhaft wie möglich ist. Wieder einmal hat Woody Allen bewiesen, dass er ein Gespür für dreidimensionale Charaktere hat (Boris' Entwicklung unterstützt die These.). Die weibliche Hauptfigur wird von der mehr oder weniger bekannten Evan Rachel Wood verkörpert. Sie spielt Melody, das Klischee-Landei aus dem Südstaat Mississippi, die - aus unerfindlichen Gründen (?) - etwas an Boris findet. Mit einem breiten Akzent, Schusseligkeit und einer Tendenz, das zu tun, was Boris sauer aufstösst, spielt sie sich in die Herzen der Zuschauer. Zwar wurde der Figur von diversen Kritikern vorgeworfen, sie entwickle sich bis zum Ende nicht, doch auch hier beweist Woody Allen, dass feine Nuancen durchaus eine Entwicklung aufzeigen können. Whatever Works dreht sich in den ersten beiden Akten grösstenteils um Boris und Melody und wie sie miteinander zurechtkommen. Die Beziehung mündet in eine Hochzeit und verläuft ganz passabel, bis Melodys Mutter vorbeikommt. Patricia Clarkson übernahm diesen Part. Wer der Meinung ist, dass scheinbar strenggläubige Christinnen, die mit der Grossstadt, insbesondere New York, konfrontiert werden und sich dabei ändern, sei ein veraltetes Konzept, der wird hier durch Clarksons Leistung Lügen gestraft. Denn eine derart radikale, aber gleichzeitig vollauf glaubwürdige Verwandlung hat die Komödienwelt noch selten gesehen. Zudem hat Melodys Mutter einige umwerfend komische One-Liner zu bieten. Ihr Mann, gespielt von Ed Begley Jr., taucht im Laufe des Films auch auf. Zwar mag Begleys Auftritt nur ein Gimmick sein, um die Aussage von Whatever Works zu unterstreichen, zu sein; doch was der Schauspieler/Umweltschützer daraus macht, ist solide und obendrein humorvolle Arbeit. Der Einzige, der schauspielerisch nicht ganz mitzuhalten vermag, ist Henry Cavill, der Randy James, das jüngere Interesse in Liebesdingen für Melody, zum Besten gibt. Er ist erträglich, aber sehr, sehr farblos. Cavill ist wohl das einzige Klischee in Whatever Works, das nicht aufgeht.

Will uns Woody Allens neuster Wurf etwas Spezielles sagen? Jawohl. Die Antwort liegt angenehmerweise im Titel des Films. "Whatever works" ist Boris Yellnikoffs Lebensmotto und bedeutet soviel wie "Auch wenn es ungewöhnlich erscheint, wenn es passt, dann passts und niemand kann daran etwas ändern!". Bezogen auf die Liebe, bei Woody Allen ein immer wiederkehrendes Thema, ist dies eine mehr als nur nachvollziehbare Moral. Überlegt man es sich genau, dann war das auch ein Ton, der in Vicky Cristina Barcelona gespielt wurde. Offene Beziehung, geschlossene Beziehung oder Ménage à trois - solange es passt, soll man es nicht hinterfragen.

Die Sozialkritik von Match Point, die Frivolität von Vicky Cristina Barcelona, der dunkle Zynismus von Cassandra's Dream, die dezente Spannung von Scoop - das sind alles Aspekte, die Whatever Works nicht mitbringt. Aber trotzdem steht er qualitativ über all diesen Filmen und beweist einmal mehr, dass die alte Woody-Allen-Formel die beste ist und bleibt. Romantische Ironie, temporeicher verbaler Schlagabtausch und absurde Situationen machen diesen Film sehenswert. Die Kritiker, die Whatever Works nichts abgewinnen können, müssen einem leid tun, denn sie beweisen eine beklagenswerte Humorlosigkeit. Alle anderen dürfen sich jetzt schon auf den Allen-Film mit dem Jahrgang 2010 - You Will Meet a Tall Dark Stranger - freuen.

Montag, 21. Dezember 2009

Looking for Eric

Psychotherapie einmal anders: Eric Bishop (Steve Evets, links) unterhält sich mit einem imaginären Eric Cantona (Eric Cantona) über alles, was mit seinem Leben falsch läuft.

5 Sterne

Spielfilme über Berühmtheiten, die sich tatsächlich selber spielen, sind nichts Neues. Qualitativ variieren die Beispiele aber gewaltig. Sidekicks war eine peinliche Idealisierung von Chuck Norris, während Being John Malkovich weithin als Perfektionierung der Idee angesehen wird. In diesem breiten Spektrum gibt es viele Filme, die unterschiedlich stark und auf verschiedene Weise mit ihren berühmten Figuren umgehen. Ken Loach benutzt seinen Star, Manchester-United-Legende Eric Cantona, in seinem neusten Werk, Looking for Eric, als skurrilen Verfremdungseffekt, Handlungskatalysator und sogar Deus ex machina. Gleichzeitig ist es dem 73-jährigen Sozialisten aus Überzeugung gelungen, eine zutiefst menschliche Geschichte zu erzählen, in der sein Lieblingsthema, die britische Working Class, auch seinen Platz findet. Was man letzten Endes zu sehen bekommt, ist ein tragikomischer Film über das Leben, Familienwerte, Loyalität und, nicht zuletzt, den Fussball - die schönste Nebensache der Welt.

Es ist die traurige Wahrheit, dass man als Zuschauer bei Filmen, die auf prominente Cameos zugeschnitten sind, oft das Spielchen "Finde den Plot" spielen darf. Häufige Probleme sind unnötiges Beweihräuchern der auf der Leinwand agierenden Grösse oder die Stlisierung derselben zur heldenhaften Ikone. Looking for Eric geht aber einen erfrischend anderen Weg. Eric Cantona hält sich im Hintergrund und berät die Hauptfigur. Dabei beschränken sich seine Äusserungen in manchen Dialogen auf französische Sprichwörter, die man sich problemlos in einem chinesischen Glückskeks vorstellen könnte. Die daraus resultierende Absurdität ist urkomisch. Drehbuchautor Paul Laverty, der nicht zum ersten Mal mit Ken Loach kollaboriert, weiss sehr wohl, wie man die unterschiedlichen Zielgruppen von Looking for Eric angehen muss. Fussballfans und -aficionados würden am liebsten ins Fachsimpeln der Titelfigur Eric mit Eric Cantona mit einstimmen, während Freunde von Loachs ernsteren Filmen vor allem in der zweiten Hälfte voll auf ihre Rechnung kommen. Was bemängelt werden muss, ist, dass der ernste Teil der Geschichte, der selbst den letzten von Laverty geschriebenen Film, das Drama It's a Free World... (Regie: Ken Loach), an Intensität übertrifft, zu abrupt einsetzt und so gar nicht zum im Grunde genommen nachdenklichen und melancholischen Ton von Looking for Eric passen will. Urplötzlich werden kriminelle Gangs und gnadenlose Polizeigewalt thematisiert. Doch wer den Regisseur kennt, weiss, dass auch das kein Beinbruch ist. Spätestens beim Dénouement ist man den Verantwortlichen dankbar für den etwas unbeholfenen Schlenker ins Genre des Sozialdramas. Hier soll nichts über das Ende verraten werden, nur soviel: Die Schlussszene ist lustig, einfallsreich, pragmatisch und erinnert einen an die Solidaritätsbekundung von George Baileys Freunden und Sympathisanten in It's a Wonderful Life.

Stars, die nicht dank ihren schauspielerischen Fähigkeiten berühmt geworden sind, werden oft auf übelste Weise von den Kritikern demontiert, wenn sie sich auf der Leinwand versuchen. In manchen Fällen hat das sicher seine Berechtigung, doch in anderen ist die spöttische Kritik nichts weiter als ein Vorurteil. Vielleicht hat Eric Cantona Glück, dass er in Looking for Eric einerseits keine Hauptrolle spielt und andererseits bereits in mehreren Filmen sein Können unter Beweis gestellt hat, am prominentesten wohl als Monsieur de Foix in Shekhar Kapurs Historienfilm Elizabeth. Zwar wird Cantona nie einen grossen Preis für seine Schauspielkunst erhalten, doch er spielt solide und vermag, wahrscheinlich auch weil er sich selber spielen darf, durchaus zu überzeugen. Seine Sprüche sitzen, er wirkt sympathisch und man erkennt auf den ersten Blick, warum es in Manchester auch heute noch zu einem Verkehrschaos kommt, wenn er durch die Stadt spaziert. Cantonas Selbstironie, grösstenteils in Bezug auf seine schwierige Persönlichkeit als Fussballer, wirkt nicht gezwungen und er enthüllt sogar, dass sein Lieblingsmoment in seiner Karriere kein selber erzieltes Tor, sondern eine geniale Vorlage war. Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt, eine nette Metapher und eine hervorragende Szene ist es allemal. Dass sein unrühmlichster Moment, sein Sprungkick gegen einen Crystal-Palace-Fan, fast gänzlich ausgelassen wird - im Abspann bekommen wir immerhin die dazugehörige Pressekonferenz, die nur aus einem Satz bestand, zu sehen -, sei dem Regisseur, dem Drehbuchautoren und dem grossen Fussballer verziehen.

Die weiteren Darsteller, die tragenden Figuren, sind erstklassig besetzt. Steve Evets verkörpert die Hauptfigur Eric mit viel Herz, Humor und britischen Lower-Class-Charme. Der vorab aus dem Fernsehen bekannte Schauspieler hat einige umwerfende Szenen mit Cantona zu meistern. Doch auch im dramatischen Teil vermag das Manchester-Fast-Original - er stammt aus dem Arbeiter-Vorort Salford - mühelos zu begeistern. Stephanie Bishop, eine Debütantin im Schauspielfach, spielt die von Eric begehrte Frau, die er vor 30 Jahren verliess. Zwar hat man Typen ihresgleichen auch schon oft gesehen, eine bodenständige und moderne Frau, die alles im Griff hat (oder zu haben scheint), man denke an Emma Thompson in Last Chance Harvey, doch Bishops Performance lässt das altbekannte Muster in neuem Glanz erstrahlen. Ebenso überzeugend agiert Erics Jungmannschaft, die beiden Sprösslinge Ryan und Jess, gespielt von Gerard Kearns und Stefan Gumbs, sowie die selbstständige Tochter Sam (Lucy-Jo Hudson). Alle drei sind hierzulande noch unbeschriebene Blätter, doch die Leistungen des jugendlichen Trios sind nichtsdestoweniger beeindruckend.

Looking for Eric ist ein Film, der von seinen Charakteren angetrieben wird. Die sorgfältige Figurenzeichnung hat zur Folge, dass sich der Zuschauer wirklich mit den Protagonisten, vor allem Eric Bishop, identifizieren kann. Zudem thematisiert Ken Loach entfernt auch soziale und ethische Fragen wie Loyalität und Treue. "God once said: "Leave your wi... you can change your wife, change your politics, change your religion. But never, never can you change your favourite football team!"", sagt einer von Erics Kumpanen. Eine überaus wahre Lehre, welche moderne Fussballfans gerne vergessen.

Looking for Eric ist ein kleiner Arthouse-Film, dem nie so viel Aufmerksamkeit zuteil werden wird, wie er es verdienen würde. Als Zuschauer lacht und bangt man mit den Charakteren mit und freut sich über jede Szene mit Eric Cantona. Zugegeben, der Film ist nichts für die Geschichtsbücher. Bald wird Looking for Eric in Vergessenheit geraten und zur Randnotiz der Filmhistorie werden. Aus diesem Grund sollte man ihn sich ansehen, solange man kann. Es lohnt sich wirklich! Wo sonst hat man schon einmal einen kiffenden, Trompete spielenden Ex-Fussballstar gesehen, der sich selber spielt?