Donnerstag, 31. Dezember 2020

Kinojahr 2020: Top 10

1
UNCUT GEMS
(Josh Safdie, Benny Safdie, USA)

2
LOVERS ROCK
(Steve McQueen, Grossbritannien/USA)

3
LITTLE WOMEN

(Greta Gerwig, USA)

4
I'M THINKING OF ENDING THINGS
(Charlie Kaufman, USA)

5
ABOUT ENDLESSNESS
(Om det oändliga, Roy Andersson, Schweden/Deutschland/Norwegen)

6
KNIVES OUT
(Rian Johnson, USA)

7
NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS
(Eliza Hittman, USA/Grossbritannien)

8
THERE IS NO EVIL

(شیطان وجود ندارد, Mohammad Rasoulof, Iran)

9
THE ASSISTANT
(Kitty Green, USA)

10
FIREBALL: VISITORS FROM DARKER WORLDS
(Werner Herzog, Clive Oppenheimer, Österreich/Grossbritannien/USA)




HONOURABLE MENTIONS
  • A Beautiful Day in the Neighborhood (Marielle Heller)
  • Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan (Jason Woliner)
  • Corpus Christi (Jan Komasa)
  • Days of the Bagnold Summer (Simon Bird)
  • Kajillionaire (Miranda July)

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Lovers Rock

© Amazon Prime/Des Willie/BBC/McQueen Limited

★★★★★

"Mit einer Laufzeit von nur 68 Minuten ist der Film so flüchtig wie die Erfahrung, die er – ungemein erfolgreich – abzubilden versucht. Doch so wie die zahlreichen Figuren wohl bis zum nächsten Wochenende von den Erinnerungen an Samstagnacht zehren werden, so setzt sich «Lovers Rock» mit seiner hypnotisch unmittelbaren Inszenierung im Gedächtnis fest."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Sonntag, 27. Dezember 2020

ONE FOR YOU: Best of 2020


2020 is drawing to a close, and Olivia Tjon-A-Meeuw gathered Astrit Abazi and me in front of our respective microphones in order to talk about our favourite movies of the year. Listen in on Spotify or wherever you get your podcasts, which films we picked, what we think of each other's choices, and who is objectively right.

Donnerstag, 24. Dezember 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #15: Merry (M)X(C)mas mit "The Nightmare Before Christmas", "Elf" und unseren Lieblingsfilmen 2020!

© Olivier Samter

Die letzte Maximum Cinema-Podcastepisode des Jahres 2020 steht, nach obligaten Pandemie-News, ganz im Zeichen von Weihnachten und Neujahr: Olivier hat Daniel, Lola und mich dazu gebracht, mit The Nightmare Before Christmas (1993) und Elf (2003) zwei seiner Lieblings-Weihnachtsfilme zu schauen. Und danach lassen wir alle unsere Lieblingstitel der letzten zwölf Monate Revue passieren – wobei sich Daniel als Ideendieb entpuppt. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar.

Mittwoch, 23. Dezember 2020

Ma Rainey's Black Bottom

Eine bearbeitete Version dieser Kritik ist auch auf Maximum Cinema erschienen.

Mit dem oscarprämierten Fences (2016) und einem inzwischen arg verwässerten HBO-Deal hat sich Denzel Washington zum inoffiziellen Verwalter des künstlerischen Erbes des legendären afroamerikanischen Dramatikers August Wilson aufgeschwungen. George C. Wolfes Netflix-Titel Ma Rainey's Black Bottom, der von Washington produziert wurde und ursprünglich Teil einer längeren HBO-Reihe von Wilson-Verfilmungen hätte sein sollen, zeigt, dass dieses Arrangement ein zweischneidiges Schwert ist.

Um zu verstehen, was sich Washington unter einer angemessenen Leinwandinterpretation eines Wilson-Stücks vorstellt, genügt ein Blick hinter die Kulissen von Fences, seiner eigenen Adaption des gleichnamigen Tony-Gewinners von 1985: "Die Stars des Films sind das Skript und August Wilsons Worte", nannte Koproduzent Todd Black das Motto bei den Dreharbeiten. Washingtons zentrale Regieanweisung an jedes Crewmitglied war unmissverständlich: "Don't make any decision without August Wilson's words leading you to make that decision." Wilson, der zu diesem Zeitpunkt schon rund zehn Jahre tot war, wurde als alleiniger Drehbuchautor aufgeführt.

Das Ziel dieser Ergebenheit vor dem Originaltext ist so verständlich wie legitim: Indem er ihn durch das Massenmedium Film einem breiteren Publikum möglichst "ungefiltert" bekannt macht, will Washington Wilsons Platz im Pantheon des zeitgenössischen amerikanischen Theaters zementieren und dafür sorgen, dass er im kollektiven Bewusstsein nicht mehr von weissen Autoren wie David Mamet (Glengarry Glen Ross) oder Tony Kushner (Angels in America) überschattet wird. Unter diesem Gesichtspunkt darf Fences, ein textlich dichtes Kammerspiel mit einem herausragenden Schauspielensemble, als durchschlagender Erfolg bezeichnet werden.

Ma Rainey (Viola Davis) ist der grösste Blues-Star der Zwanzigerjahre.
© David Lee/Netflix

Gleichzeitig ist der Film aber alles andere als ein Meisterwerk der Inszenierung. Washingtons Regie ist dermassen funktional, dass sie sich kaum von jener einer aufwendigen Theater-Aufzeichnung unterscheidet. Wären die Darsteller*innen, insbesondere Viola Davis, Stephen McKinley Henderson und Washington selbst, weniger einnehmend, wäre Fences weniger eine Hommage an die Dynamik und die anhaltende Relevanz von Wilsons Schaffen als eine sperrige und letztlich inkommensurable Annäherung an ein Live-Erlebnis.

Warum das für Ma Rainey's Black Bottom von Belang ist? Weil George C. Wolfes Wilson-Verfilmung ist aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie Fences. Washington mag hier nur produziert haben, das Drehbuch mag Ruben Santiago-Hudson zugeschrieben werden – doch auch dieser Film rekonstruiert mehr als er adaptiert.

Abgesehen von ein paar evokativen langen Einstellungen und der einen oder anderen kreativen Ausleuchtung, ist es das Quellenmaterial, das in Ma Rainey den Ton angibt. Die Geschichte von Ma Rainey (Viola Davis), der herrischen "Mother of the Blues", die im Chicago der Zwanzigerjahre zusammen mit ihrer eingespielten Band (Colman Domingo, Glynn Turman, Michael Potts) und einem aufmuckenden Trompetenspieler (Chadwick Boseman) ein Album aufnehmen muss, wird mitsamt aller bühnenspezifischen Eigenheiten aus Wilsons Stück übernommen, wobei besonders die seitenlangen Monologe herausstechen, in welche die Figuren in entscheidenden Momenten spontan verfallen. Auch fällt auf, wie scheinbar ziellos Tobias A. Schliesslers Kamera umherirrt, wie willkürlich Andrew Mondsheins Schnitt wirkt, sobald kein Redegefecht auf dem Programm steht.

An einem heissen Sommertag muss Ma Rainey in Chicago ein Album aufnehmen.
© David Lee/Netflix

Wie schon bei Fences hat aber auch diese eiserne Konzentration auf den Text ihren Reiz – und auch Ma Rainey, immerhin inszeniert von einem gelernten Theaterregisseur und 45 Minuten kürzer als Washingtons Wilson-Monument, erfüllt seinen Zweck. Es ist wahrlich beeindruckend, einmal mehr Wilsons Qualität als literarischer Chronist des afroamerikanischen Lebens im 20. Jahrhundert vorgeführt zu bekommen. Anhand des frühen Musik-Superstars Ma Rainey verhandeln Wilson und Santiago-Hudson die weisse Vermarktung schwarzer Kunst, die nicht selten in der historischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. In einem der ersten längeren Gespräche des Films diskutieren Bandleader Cutler (Domingo), Pianist Toledo (Turman), Bassist Slow Drag (Potts) und Trompeter Levee (Boseman) darüber, ob es überhaupt einen Unterschied gibt zwischen dem höflichen Respekt, den sie ihren weissen Arbeitgebern aus finanziellen Gründen entgegenzubringen haben, und der Angst, die sie aufgrund von Lynchmobs und Alltagsrassismus seit ihrer Kindheit begleitet.

Eine der grossen Stärken von Ma Rainey ist, dass es ihm gelingt, diese gesellschaftlichen Fragen in einen Zusammenhang mit der kulturellen Vormachtstellung des "weissen Geschmacks" zu stellen. Es ist die perfide "Kuratierung" schwarzer Kultur – etwa das begrenzte Privilegieren einzelner Künstler*innen oder die zynische Aneignung, sozusagen das Whitewashing, gewisser Innovationen –, die dafür gesorgt hat, dass in den multikulturellen, multiethnischen Vereinigten Staaten bis heute von einem weissen Mainstream ausgegangen wird.

Die allerbesten Szenen des Films sind die, in denen hinter das schwierige, ja arrogante Gehabe der grossen titelgebenden Diva geblickt wird: Starallüren mögen ein Teil davon sein; aber wer sich als unabhängige schwarze, bisexuelle Frau im US-Showbusiness der Zwanzigerjahre behaupten will, muss sich jener Druckmittel bedienen, die ihr zur Verfügung stehen. Ma Rainey ist sich bewusst, dass ihre Figur und ihre Stimme Handelswaren sind, also zieht sie (noch) einen Nutzen daraus, sich rar zu machen: Wer zu spät zu Albumaufnahmen erscheint und sich unnahbar verhält, lässt den weissen Managern und Studiobesitzern (hier vertreten durch Jeremy Shamos und Jonny Coyne) weniger Zeit, einem ins Handwerk zu pfuschen – und zögert den Moment heraus, in dem das Label, Schallplattentechnik sei Dank, auch ohne Künstlerin Profit aus ihrem Gesang schlagen kann.

In den Aufnahmepausen entladen sich die Konflikte unter den Bandmitgliedern Levee (Chadwick Boseman, 2.v.l.), Cutler (Colman Domingo, rechts), Toledo (Glynn Turman, links) und Slow Drag (Michael Potts).
© David Lee/Netflix

Die allzu bühnengetreue Inszenierung des Stoffs, welche die Erörterung dieser Themen bisweilen etwas gar didaktisch wirken lässt, findet ihre Rettung in einem Cast, der dem von Fences in nichts nachsteht. Viola Davis unterläuft mit ihrer lauten, offenherzig erotischen Ma Rainey das gewissenhaft-propere Image, das ihr in Filmen wie Doubt (2008), The Help (2011) und, ja, Fences angedichtet wurde. Chadwick Boseman, in seiner letzten Rolle vor seinem Krebstod im August dieses Jahres, begeistert als geradezu manischer Levee vor allem dann, wenn er sich mit den ruhiger agierenden Domingo, Turman und Potts auseinandersetzt und sich dabei an der unscharfen Grenze zwischen freundschaftlichem Sticheln und ernsthaften Anwürfen zurechtfinden muss.

Es sind diese einfühlsamen und vielschichtigen Interpretationen von Wilsons faszinierenden Figuren, die einen handwerklich blassen Film zu einer sehenswerten Theateradaption machen. Doch sie täuschen auch nicht darüber hinweg, dass man den wegweisenden Werken des grossen Dramatikers Verfilmungen wünschen würde, die über ehrfürchtiges Rezitieren hinausgehen.

★★★

Montag, 14. Dezember 2020

City Hall

There may be no greater testament to the power of veteran documentarian Frederick Wiseman's craft than the sequence heralding the home stretch of his latest.

Arriving roughly 200 minutes into the four-and-a-half-hour behemoth that is City Hall, a quietly fascinating exploration of the inner and outer workings of Boston's city government, it finds Wiseman and his long-standing cinematographer John Davey sitting in on a polite but animated community centre discussion about the potential impacts the opening of a cannabis dispensary might have on the majority-Black neighbourhood of Dorchester.

Featuring the businessmen spearheading the venture, citizens concerned about what such a store might do to anything from the traffic situation to employment opportunities, a state rep standing in for her constituents, and city representatives outlining the city's role as a mediator, the 45-minute sequence plays out like a standalone documentary featurette. Arguments are heard, rebuttals are made, neat corporate visions are confronted with the lived experience of those to whom the business should eventually cater to. As the debate deepens, it starts touching on some of the most salient rifts in contemporary America – such as mass incarceration, income inequality, and the question whether governments, at any level, are willing and able to enact change that is commensurate with the needs of the people most affected.

It's a stunning passage, one of the most engrossing that cinema has had to offer in 2020. That Wiseman lets it – and the film that surrounds it – run to the length that they do is by no means an exercise in non-conformist affectation. Rather, the decision is wholly in service of what makes Wiseman such an essential artist of the non-fiction format, and, at almost 91, possibly better equipped to tackle the current era than many of his younger peers: more than anything, his institutional portraits – whether they are dedicated to places of art (Ballet, National Gallery), education (High School, At Berkeley), or politics (State Legislature), or to entire towns (Monrovia, Indiana) – display a profound belief in the power of extensive engagement to gain a new perspective on the everyday processes that dictate our world.

Boston mayor Marty Walsh serves as City Hall's de facto protagonist.
© Zipporah Films

Just as there was a certain poetry in making a film about the New York Public Library at the outset of the Trump presidency, there is irony and poignancy in making a purely observational documentary like City Hall at a time where it feels like American democracy is unravelling at the seams. Indeed, it could almost seem frivolous to cast local government in as positive a light as Wiseman does here, given that, thanks to virulent disinformation, radical polarisation, rampant corruption, and a Republican Party who has fully embraced near-fascist far-right populism, trust in the efficacy and fundamental good will of government is at an historic low.

However, this is where Wiseman's approach pays dividends, for while there is precious little politics in City Hall – though Boston Mayor Marty Walsh, sort of a protagonist-by-default, offers his fair share of speechifying – there is a lot of policy, of the slow, unspectacular, but ultimately indispensable let's-schedule-a-meeting-and-talk-things-over kind. In fact, it doesn't take long for it to become obvious that the film's title, by Wiseman's standards, has to be understood more as a metaphor than a strictly programmatic scene setter.

Over the course of 274 utterly enthralling minutes, "city hall" comes to encompass the entirety of Boston's civic apparatus, which does include the usual markers of small-scale bureaucracy – citizen information hotlines, registry offices, traffic court, and other sources of day-to-day exasperation – and larger-scale government activity, most notably in the form of Walsh's frequent public-speaking engagements and meetings with selected heads and representatives of various departments.

Debate is the heart of democracy.
© Zipporah Films

At the same time, however, City Hall is careful to stress both the importance of an active populace to working governance as well as the small deeds that often go unnoticed in the discourses surrounding civil service, drowned out by the echoes of Ronald Reagan's withering "I'm from the government and I'm here to help" laugh line. As the film builds up to the quasi-climactic cannabis shop debate, much of its runtime is dedicated to other kinds of public outreach initiatives, which range from housing assistance to Veterans Day get-togethers, and events where practical problems are tackled with good-faith discussions about how to best apply limited resources to the broadest possible benefit – be that an anti-eviction task force deliberating on best practices to combat homelessness, or a meeting on school admissions that ends up turning on the scarcity of available accommodations.

There is something utopian about this patient and uncynical depiction of a relatively well-functioning public service undergirded by an involved polity, even as it struggles to stave off the dysfunction seeping in from Washington D.C. (Walsh, a veteran Democrat who assumed the mayoral office in 2014, references the difficulty of dealing with the current federal government several times.) In the ultimate instance of form following function – and without ever invoking the glorified myth of harmonious bipartisanship – City Hall makes the unfashionable case for spirited, meticulous, fact-based, long-form debate as perhaps the single most crucial pillar of democracy, American or otherwise. Although it may prove a difficult entry point to newcomers to Wiseman's work, due to its unwieldy length, it is an unassumingly riveting reminder that, nigh on 60 years into his filmmaking career, the man is still sharpening his craft.

★★★★★

Samstag, 12. Dezember 2020

Mangrove

© Des Willie/BBC/McQueen Limited

★★★★

"Das mag wie die britische Entsprechung von Aaron Sorkins wortgewaltigem The Trial of the Chicago 7 (2020) klingen, erweist sich aber rasch als ein in jeder Hinsicht überlegenes Werk. Wo Trial Figuren, Politik und Kontext auf leicht verdauliche Karikaturen herunterbrach, zeigt Mangrove Mut zur Komplexität."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 10. Dezember 2020

The Midnight Sky

© Netflix / Ascot Elite

★★★

"Das Drama wirkt wie ein Querschnitt des introspektiven Hollywood-Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre: hier der Protagonist in Endzeitstimmung aus Ad Astra (2019) und die extremen Überlebenskunststücke aus The Martian (2015), dort die hemdsärmelig-amerikanischen Tugenden und die Liebe zum hölzernen Plot-Twist, wie man es aus Interstellar (2014) und Arrival (2016) kennt. Die Mischung weiss durchaus zu gefallen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Mittwoch, 9. Dezember 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #14: Die Samichlaussack-Episode, feat. "Advent, Advent", "Fatman", "If Anything Happens I Love You" und "The Midnight Sky"

© Olivier Samter

Wie viele Themen können in einer Episode des Maximum Cinema-Podcasts verhandelt werden? In Folge 14 machen Daniel, Lola, Olivier und ich die Probe aufs Exempel und diskutieren über die neue SRF-Miniserie Advent, Advent, den seltsamen Weihnachts-Actionfilm Fatman mit Mel Gibson als Santa Claus, den seichten Netflix-Kurzfilmhit If Anything Happens I Love You sowie George Clooneys Science-Fiction-Drama The Midnight Sky. Zudem widme ich dem frischgekrönten Solothurn-Ehrenpreisträger Frank Braun eine Laudatio und verweise auf die Klasse von Werner Herzogs neuem Film und Steve McQueens Small Axe-Anthologie. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar.