Donnerstag, 13. November 2014

Interstellar

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat. 

Wird über Christopher Nolan gesprochen, wird gerne der Begriff "Meisterregisseur" bemüht. Mit Filmen wie Memento, The Dark Knight und Inception mauserte sich der Brite zum populärsten Hollywood-Filmemacher der Gegenwart. Doch Interstellar, sein neuestes Opus magnum, ist eine Selbst-Demontage.

Es war einmal ein Projekt, ersonnen von Produzentin Lynda Obst und Physiker Kip Thorne, welches den vielleicht grössten noch unrealisierten Schritt in der wissenschaftlichen Entwicklung des Menschen – die Eroberung des Weltalls – auf die Leinwand bannen sollte. Steven Spielberg bekundete Interesse, tat sich mit Drehbuchautor Jonathan Nolan zusammen und begann mit der Erarbeitung einer Rohfassung von dem, was nun unter dem Titel Interstellar weltweit in den Kinos zu sehen ist. Doch nach einigen Jahren der Planung wurde Spielberg von Jonathans älterem Bruder Christopher, welcher zu diesem Zeitpunkt gerade The Dark Knight Rises, den dritten und letzten Teil seiner Batman-Reihe abgedreht hatte, als designierter Regisseur ersetzt; Teile des bestehenden Drehbuch-Entwurfs wurden übernommen, andere von Grund auf überarbeitet. Ein Blick in die Produktionsgeschichte kann vielleicht als Erklärungshilfe dafür dienen, dass Interstellar nach knapp drei Stunden Laufzeit den Eindruck hinterlässt, man habe gerade drei verschiedene Filme von höchst unterschiedlicher Qualität gesehen.

Da wäre einmal das erste Drittel von Christopher Nolans Weltraum-Epos: In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft steht die Menschheit am Rande des Aussterbens; Staubstürme und Pflanzenfäule bedrohen die globale Nahrungsversorgung. Wie so viele andere ist der ehemalige Astronaut Cooper (Matthew McConaughey) dazu gezwungen, als Bauer zu arbeiten. Diese ersten 40, 50 Minuten glänzen mit ihrer atmosphärischen Darstellung einer keineswegs abwegigen Dystopie; Kameramann Hoyte van Hoytema weiss diese triste Zukunft in herausragende impressionistische Bilder zu übersetzen. Verfasst wurde dieses Kapitel offenbar weitestgehend in Eigenregie Jonathans.

Neue Horizonte: In der nahen Zukunft erforschen Cooper (Matthew McConaughey, links), Amelia (Anne Hathaway) und Romily (David Gyasi) erdähnliche Planeten in einer fremden Galaxie.
© 2014 Warner Bros. Ent.
Eine Schwerkraft-Anomalie im Zimmer seiner Tochter führt Cooper in ein geheimes NASA-Labor im Untergrund, wo Wissenschaftler (darunter Michael Caine und Anne Hathaway) eine Expedition durch ein Wurmloch in der Nähe von Saturn vorbereiten; Interstellar wird zum Science-Fiction-Abenteuer – das zweite Drittel beginnt. Hinter dem Wurmloch nämlich befindet sich eine fremde Galaxie, in der potenziell bewohnbare Planeten nur darauf warten, von Cooper und einigen anderen NASA-Piloten erforscht zu werden. Hier macht sich denn auch die Drehbuch-Mitarbeit des diesbezüglich eher begrenzt begabten Christopher bemerkbar: Der Tonfall wird sentimentaler, die Dialogzeilen abgedroschener; der wissenschaftliche Fachjargon häuft sich, ebenso die von Hans Zimmers Score stimmig begleiteten Actionszenen, in denen sich Nolan einmal mehr als begnadeter Inszenator erweist. Noch überzeugt der Film weit gehend als grundsolide Science-Fiction-Unterhaltung.

Doch im Schlussdrittel hebt Nolan ab, will zu viel und verschätzt sich kolossal. Eine Reise durch die Dimensionen mündet in eine salbadernde Dreiviertelstunde voller unerklärlich spontaner Erkenntnisse, an Selbstparodie grenzender Möchtegern-Komplexität und haarsträubender, geradezu hanebüchen harmonischer Auflösungen; man fühlt sich erinnert an die desaströsen Kitsch-Fabeln Cloud Atlas und Winter’s Tale. Der Versuch, wie einst Stanley Kubrick in der konfus-brillanten, auf Ambiguität abzielenden "Beynd the Infinite"-Sequenz in 2001: A Space Odyssey die Grenzen der Logik zu sprengen, kann Nolan nicht gelingen: Dafür ist sein Kino zu wörtlich, zu sehr davon besessen, jede Einzelheit erklären zu müssen. In Interstellar wird aus dem "Meisterregisseur" ein ganz profaner Blender. 

★★

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