Sonntag, 10. Mai 2009

Il divo

In der Ruhe liegt die Kraft: Giulio Andreotti (Toni Servillo, Mitte) lässt sich nicht auf die fruchtlosen Streitereien im italienischen Parlament ein. Eine Einstellung, die, wie sich herausstellen wird, so verkehrt nicht ist.

4.5 Sterne

Die politische Instabilität, welche Italien seit Jahrzehnten prägt, eignet sich hervorragend für brisante, satirische oder ganz einfach die Vergangenheit aufarbeitende Filme. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, dass das ausländische Publikum nicht aussen vor bleibt, da man bei 59 Regierungen in nunmehr 64 Nachkriegsjahren leicht den Überblick verliert. Giulio Andreotti, um den sich Il divo dreht, war an 33 dieser Regierungen beteiligt, wobei er selber siebenmal Ministerpräsident war. Ausserdem geniesst Andreotti mit seinen nun 90 Jahren das Amt eines Senators auf Lebenszeit und wäre vor drei Jahren, im Alter von 87 Jahren, beinahe noch Präsident des italienischen Senats geworden. Dieses erstaunliche Leben, gepaart mit unzähligen Skandalen und Korruptionsvorwürfen, liefert die Grundlage für Paolo Sorrentinos überambitionierten Film.

Il divo beginnt gleich wie diese Rezension. Bevor der Film überhaupt anfängt, erscheinen einige Schlüsselfakten über die politischen Verhältnisse im Italien der 1970er Jahre - ein etwas zerknirschtes Entgegenkommen der Macher für Nichtitaliener und Nachgeborene. Man merkt, wie stark Sorrentino das Thema Giulio Andreotti unter den Nägeln brannte. Er ist immerhin mit dieser schillernden, aber zugleich unschein- und unnahbaren Persönlichkeit aufgewachsen. Sorrentino (Jahrgang 1970) kannte in seiner Kindheit wahrscheinlich keinen anderen Politiker als Andreotti. Wie schon Todd Haynes' Versuch, sich dem Phänomen Bob Dylan auf unübliche Weise zu nähern - I'm Not There wurde richtigerweise überall mit einem Kaleidoskop verglichen - umgeht auch Paolo Sorrentino sämtliche geltenden Konventionen, die man normalerweise einhält, wenn man sich filmisch einem Politiker annähern will. Es fehlt beispielsweise ein klarer Aufbau. Wer sich nicht mit der Thematik auskennt, wird sich schnell verloren fühlen und sich verzweifelt an wiederkehrenden Motiven festhalten, wobei das einzige wirklich durchgehende Motiv von Il divo Giulio Andreotti selbst ist. Der Film passt sich seiner Hauptfigur in jedem Charakterzug an. Wortreiche Dialoge sind eine Seltenheit, Durchsichtigkeit stellt sich nie ein. Erst im letzten Akt, als es auf den berühmten Mafia-Prozess zugeht, kehrt filmische Normalität ein. In den zuvor gesehenen 80 Minuten reihen sich Ausschnitte aus Andreottis Leben aneinander, die zwar miteinander verknüpft, aber äusserst kompliziert sind. Es ist ein unmögliches Unterfangen, alle eingewobenen Seitenhiebe und Anspielungen, die Il divo einem bietet, zu erkennen. Andererseits schuf Sorrentino in seinem Film durchaus auch Raum für etwas Intimität, die sich vor allem in den wenigen Gesprächen des Ehepaares Andreotti widerspiegelt. Und auch der für Italien typische Humor, der zum Beispiel in der Komödie Non Pensarci erstklassig vorgetragen wurde, kommt nicht zu kurz. Hintergründige oder sarkastische Einzeiler finden sich an den unglaublichsten Stellen, das Parlament ist sowieso ein lebender Witz und es wird auch mit einem herrlichen Augenzwinkern auf die Eigenheit der italienischen Politiker, plötzlich mysteriösen "Unfällen" zum Opfer zu fallen, hingewiesen.

Der Untertitel des Films, La straordinaria vita di Giulio Andreotti (Das aussergwöhnliche Leben des Giulio Andreotti), übertreibt keineswegs. Die schweigsame Schlaftablette, als die Andreotti dargestellt wird, scheint ein eindeutiger Beleg dafür zu sein, dass stille Wasser tief sind. Toni Servillo, der für den Film in die Rolle von Andreotti geschlüpft ist, überzeugt im beinahe regungslosen Zustand. Während er in Gomorra nur in einer Nebenrolle zu sehen war, ist er in Il divo in nahezu jeder Szene anwesend. Und in jeder Szene hat er bzw. Andreotti die totale Kontrolle über das Geschehen. Schüttelt ihm jemand die Hand, lässt er sie schütteln, gibt er eine Anweisung, wird sofort gehorcht, sagt er etwas, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Ebenso beeindruckend ist die allgegenwärtige Ruhe des Mannes. Selbst wenn sich das Parlament im Ausnahmezustand befindet, wartet er seelenruhig darauf, dass es weitergeht. Auch der Spitzname "Il Divo", der in radikalem Widerspruch zur Meinung des Magazins "Panorama" steht (es taufte ihn "Belzebù"), trifft zu. Während Andreottis Mitstreiter, die nach Art eines Leone-Westerns eingeführt werden, einer nach dem anderen von Attentaten oder von der Justiz aus dem Verkehr gezogen werden, scheint er selbst unverwundbar zu sein.

Il divo geht nicht nur in der Erzählweise locker mit den üblichen Vorgaben an einen Film um, er ist auch bildlich relativ eigen. Dies trägt zwar teilweise etwas exzentrische Züge - die Skateboard-Szene in der Mitte des Films hat den unangenehmen "What the hell?!"-Effekt - ist aber ansonsten recht wirksam und vermag durchaus zu überzeugen.

Paolo Sorrentino hat Giulio Andreotti ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt, was an seiner Unangreifbarkeit aber wohl nicht allzu viel ändert. Dennoch beeindruckt Il divo mit einer wortlosen Eloquenz, eleganten Bildern, satirischem Unterton und einem Toni Servillo in Hochform. Der Reigen dauert knapp 110 Minuten und hinterlässt genug Gesprächsstoff, um sich den Rest des Tages zu vertreiben. Sollte man aber auf die Idee verfallen, sich zu notieren, wer im Film mit wem und wieso, dann endet man wie Giulio Andreotti: Mit nicht enden wollendem Kopfweh.