Freitag, 9. Oktober 2009

Inglourious Basterds

Nun schlagen die Juden zurück: Der "Bärenjude" Donny Donowitz (Eli Roth, links) und Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) knöpfen sich mit ihrem Trupp Nazis vor.

4.5 Sterne

Dass Quentin Tarantino ein Legastheniker ist, sehen wir für einmal schon dem Titel seines Films an. Dabei es handelt sich nicht einmal um einen Fehler seinerseits. Es ist lediglich eine Hommage an den Videoverleih, in welchem er einmal gearbeitet hat, wo das Vorbild für Inglourious Basterds, der "Makkaroni-Kriegsfilm" The Inglorious Basterds - Originaltitel: Quel maledetto treno blindato - mit dem "ou"-Schreibfehler im Verzeichnis stand. Das Vorbild war bereits mehr oder weniger eine B-Film-Verarbeitung von Robert Aldrichs Klassiker The Dirty Dozen und wurde nun durch den Kultregisseur Tarantino noch einmal aufgepeppt. Viele Stars haben sich zusammengefunden, um einen Film zu drehen, der sich überhaupt nicht ernst nimmt, eine Seltenheit bei Tarantino, und Filmanspielungen en masse zu bieten hat. Leider kommen sich die beiden Plots stellenweise arg in die Quere.

Quentin Tarantinos Filme sind Geschmackssache. Die einen sehen in ihm den Messias des post-postmodernen Films, während andere ihn als klauenden Filmkenner verdammen. Beide Standpunkte haben ihre Berechtigung, doch die Verfechter der beiden werden sich bei ihrem Verdikt über Inglourious Basterds wohl einig sein. Denn Tarantinos neuster Film verbindet geschickt opulenten Stil mit Anleihen aus der Filmhistorie. Dies fängt schon beim Prolog an. Sieht man sich diesen genau an, ist er im Prinzip nichts anderes als eine Neuinterpretation und eine Mischung gleichermassen aus den berühmten Eingangssequenzen von The Good, the Bad and the Ugly und Once Upon a Time in the West - Vorlagen, die während des ganzen Films immer wieder aufgegriffen werden. Und selbst Louis de Funès ist vor einer Verneigung Tarantinos nicht sicher, da der Plan, der im letzten Akt im Zentrum steht, doch starke Ähnlichkeit mit La grande vadrouille hat.

Auch der Rest des Films ist gespickt mit vor Spannung knisternden Szenen und zuweilen genialen Dialogen. Diese sind die wahre Stärke von Tarantinos Skript. Der Dialogfilm wurde aus Hollywood quasi verbannt. Inglourious Basterds aber bringt diese Form des Drehbuchs in einer Extremform zurück auf die Leinwand. Der Film besteht grundsätzlich aus nichts anderem als spannenden Gespräche, die mitunter auch länger als eine Viertelstunde dauern und den Zuschauer überhaupt nicht langweilen. Zu einem fantastischen Skript fehlt dem Film aber leider die überzeugende Handlung. Die beiden Plots, die Tarantino präsentiert, passen nicht wirklich zueinander und verleihen Inglourious Basterds eine gewisse Dissonanz. Neben der frech und rebellisch wirkenden Basterds-Geschichte wirkt der etwas ernstere und getragenere Plot der auf Rache sinnenden Jüdin teilweise etwas schwerfällig. Wie das Ganze aber zu Ende geführt wird, ist stilvoll, brutal, historisch absolut verkehrt, filmgeschichtlich einwandfrei und unglaublich unterhaltsam.

Die illustren Charaktere und die Schauspielleistungen sind eine Sache für sich. Hans Landa zum Beispiel ist ein kühler, kalkulierender, blitzgescheiter Opportunist, der ohne mit der Wimper zu zucken sein Land verkauft. Gespielt wird er von einem hervorragend aufspielenden Christoph Waltz, der, egal ob er Deutsch, Englisch, Französisch oder Italienisch spricht, den Kinozuschauer an seinen Sitz fesselt. Waltz ist ein Filmschauspieler par exellence. Aus zurückhaltender Mimik und Gestik holt er das Maximum heraus. Seine Performance wird ihm mindestens eine Oscarnomination einbringen (ja, es ist wieder soweit, Filme müssen mit den Academy Awards im Hinterkopf besprochen werden). Während Waltz' Leistung jeden Filmkenner erfreut, unterhält Brad Pitt das gesamte Publikum. Aldo Raine ist ein selbstbewusster Yankee mit Apachenblut, der in jeder Lage cool wirkt. Egal ob er seine Männer à la The Dirty Dozen - mit den haargenau gleichen Einstellungen, wohlgemerkt - auf ihren Auftrag einschwört ("We'll be doing one thing and one thing only: Killing Nazis.") oder sich mit fürchterlichem Italienisch durch ein Gespräch mit Hans Landa ringt - die lustigste Szene des Films. Pitt hatte offensichtlich Spass an diesem Part und spielt Raine entsprechend enthusiastisch. Er und Waltz sind definitiv die schauspielerischen Highlights von Inglourious Basterds. Doch der Reigen der Stars hört bei diesem Duo noch längst nicht auf. Diane Kruger spielt eine waschechte Femme fatale, die Aldo Raine in Sachen Coolness in fast nichts nachsteht - ihr Schauspiel wirkt stellenweise aber leider etwas gestellt -, Eli Roth verkörpert Raines rechte Hand, den "Bärenjuden", der seine Opfer mit einem Baseballschläger bearbeitet - die entsetzten Geräusche und Gesichter im Kino sind vorprogrammiert - und Til Schweigers Figur Hugo Stiglitz, welche wie Giulio Andreottis Kabinettsmitglieder in Il divo vorgestellt wird, scheint ihm auf dem Leib geschrieben zu sein - ein überdurchschnittlich gewalttätiger deutscher Deserteur, der kaum einen Ton von sich gibt. Wer Schweigers relativ beschränktes schauspielerischers Talent kennt, weiss, dass er gut daran tut, wenn er wenig zu sagen hat. Daniel Brühl hingegen macht seine Sache nur mässig gut, was zur Folge hat, dass einem sein Frederick Zoller nach kurzer Zeit schon auf die Nerven geht. Entsprechend feuert man Shosanna Dreyfus, stark gespielt von Mélanie Laurent, innerlich an, als sie schliesslich die Waffe auf ihn richtet. Auch die zahlreichen Gastauftritte tragen zum Reiz des Films bei. So gibt Martin Wuttke Hitler der Lächerlichkeit preis - und das mit einer Stimme, die ganz eindeutig an Bruno Ganz in Der Untergang erinnert -, Mike Myers mimt einen britischen General und Bela B. Felsenheimer durfte einen Platzanweiser spielen, während der Regisseur von Quel maledetto treno blindato, Enzo G. Castellari "sich selbst" zum Besten gibt.

Inglourious Basterds ist überdies fantastisch bebildert und geschnitten. Robert Richardson beweist beim Versuch, Aufnahmen, die man in einem Western vermuten würde, mit typischen Kriegsfilmeinstellungen zu verbinden, ein gutes Händchen. Es ist nicht zuletzt seinen Einstellungen zu verdanken, dass man den langen Dialogen eifrig folgt. Unterstützt wird diese Leistung von Sally Menkes Schnitt, der mehrmals sehr fantasievoll Szenen miteinander verbindet. Und um die Lobgesänge abzurunden, soll auch noch der von Tarantino ausgewählte Soundtrack/Score erwähnt werden. Dieser ist wie immer sehr eklektisch, verfehlt seine Wirkung aber überhaupt nicht. Allein schon "The Verdict" von Ennio Morricone ist das Eintrittsgeld wert. Zwar hätte Morricone ursprünglich den ganzen Score komponieren sollen, musste aus Zeitgründen aber absagen. Schade drum.

Ja, Inglourious Basterds ist ein mehr als nur guter Film, man könnte sogar sagen, er sei Quentin Tarantinos bester. Der Regisseur hat sich für einmal nicht bei anderen Filmen bedient, sondern die Anspielungen wirklich als Hommagen eingesetzt. Man ist sich stellenweise zwar nicht sicher, ob man sich nun in einem Pseudokriegsfilm, einer Parodie oder einem Thriller befindet, doch diese Unentschlossenheit des Films wird durch herrlich gestreckte Dialoge, grösstenteils gute Schauspielleistungen und genüsslich gezeigter Gewalt wettgemacht. Zudem bietet Inglourious Basterds eine gelungene Umschreibung der Geschichte, die jedem gefallen wird, der genug von den historisch korrekten Filmen über den Zweiten Weltkrieg hat.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

The Hurt Locker

Gezeichnet vom Krieg: Staff Sergeant William James (Jeremy Renner, vorne) und Sergeant J.T. Sanborn (Anthony Mackie) sind bei jedem ihrer Aufträge in akuter Gefahr. Dass James so etwas wie ein Outlaw ist, macht die Sache nicht einfacher.

5 Sterne

Der Irakkrieg wird im amerikanischen Kino erstaunlich wenig als Thema aufgegriffen. Der Respekt und die Angst vor dem Missgriff scheinen selbst die streitlustigen Filmemacher abzuschrecken. Michael Moores subversive Doku Fahrenheit 9/11, die sich grundsätzlich mit den Fehlern von George W. Bushs Administration auseinandersetzt, Paul Haggis' Drama In the Valley of Elah und Robert Redfords Thesenfilm Lions for Lambs, der sich sowohl mit dem Irak als auch mit dem Konflikt in Afghanistan beschäftigt, markieren die filmischen Höhepunkte in sechs Jahren Krieg. Kathryn Bigelows neustes Werk, The Hurt Locker, geht einen nicht gerade einfachen Mittelweg zwischen dokumentarisch angehauchtem Drama, Thesenfilm und Actionstreifen. Die gefeierte Regisseurin von Filmen wie Point Break, Blue Steel oder Strange Days liefert eine rohe, zuweilen ungemütliche Interpretation einer einzelnen Facette des Krieges. Eine Oscarnomination für "Bester Film" wäre alles andere als eine Überraschung.

Eingeführt wird The Hurt Locker mit einem Zitat von Chris Hedges, seines Zeichens Korrespondent der New York Times und Autor des Bestsellers War Is a Force That Gives Us Meaning. "The rush of battle is a potent and often lethal addiction, for war is a drug.", heisst es zu Beginn des Films. Und diese Aussage ist Programm. Die ganze Sache trägt immer wieder Züge eines Horrortrips. Aber nicht auf unangenehm-verquere Weise wie in Terry Gilliams überdrehter Sci-Fi-Distopie-Satire Brazil, sondern auf eine eloquente, cineastisch höchst elegante Weise. Zu verdanken ist diese Art des Erzählens unter anderem Mark Boal, dem Drehbuchautor, der schon mit Paul Haggis zusammen das Skript zu In the Valley of Elah verfasst hat. Boal hat im Irak Erfahrungen aus erster Hand sammeln können, da er dort als Journalist gemeinsam mit einem Bombenentschärfungstrupp, wie er auch in The Hurt Locker beschrieben wird, unterwegs war. Seine Erlebnisse und die Aussagen der Soldaten arbeitete er akribisch ins Drehbuch hinein. So überrascht es nicht, dass The Hurt Locker stellenweise gnadenlos echt wirkt. Doch auch die satirische Note kommt keineswegs zu kurz. Etwa wenn der neue GI im EOD (Explosive Ordnance Disposal) fragt, weshalb das Camp nicht mehr Camp Liberty, sondern Camp Victory heisst, und Sergeant J.T. Sanborn ihm antwortet, dass Camp Victory ermutigender klinge - dem Zuschauer bleibt das Lächeln da irgendwie im Halse stecken. Das muss die Lakonie sein, die man bekommt, wenn man zu lange im Krieg ist. Mark Boal muss es schliesslich wissen. Und er vermittelt diese Lakonie, die, zumindest im Falle der Hauptfigur, William James, schon fast an bedingungslose Selbstaufgabe grenzt, schmerzhaft realistisch. Der einzige Vorwurf, der Boal gemacht werden könnte, ist das etwas übertriebene Vertrauen ins eigene Talent. So wirkt The Hurt Locker an einigen Stellen doch etwas aufgesetzt, beispielsweise die ganze Beziehung zwischen William James und dem kleinen irakischen Jungen, den wir nur als "Beckham" kennenlernen (er spielt für sein Leben gern Fussball) - ein starker Kontrast zum ansonsten vorherrschenden Realismus.

Aber ein gutes Drehbuch garantiert bekanntermassen noch keinen guten Film. Ebenso wichtig ist die Schauspielleistung. Stars hat The Hurt Locker nur in den Nebenrollen zu bieten. Ralph Fiennes gibt sich als britischer Soldat die Ehre, während Guy Pearce in den amerikanischen Kampfanzug geschlüpft ist. In weiteren Rollen sind auch noch David Morse und Christian Camargo zu sehen. In der Hauptrolle glänzt Jeremy Renner, der Staff Sergeant William James die nötige Tiefe verleiht. Sein William James ist nicht die klischeehafte Kampfmaschine, vielmehr lebt er die Auffassung, dass der Krieg eine Droge ist. Er mag seine lebensgefährliche Arbeit und ist schlichtweg zu begeisterungsfähig, als dass er merken würde, wie er andere in Gefahr bringt. Gleichzeitig ist er aber auch ein durchaus verletzlicher und schuldbewusster Mensch, dessen Trophären ihn nicht davon ablenken können, dass er dem Krieg hoffnungslos verfallen ist. An seiner Seite überzeugen Brian Geraghty und vor allem Anthony Mackie als Bombenspezialisten. Mackies Monolog gegen Ende des Films ist in jeder Hinsicht berührend und zeigt besser als jede Explosion den Horror des Krieges auf.

Apropos Explosion: Dem Team, welches Bigelow mit den nötigen Spezialeffekten versorgt hat, gebührt ein dickes Lob. Die Minenexplosionen sind frei von jeglicher Pyromanie, sondern beschränken sich in erster Linie auf Schall und Rauch. Und das ist im Endeffekt viel kraftvoller als grosse Feuerwerke. Actionfilm ja, aber ein mit professioneller Hand geführter.

Ebenso beeindruckend ist die Kameraarbeit von Barry Ackroyd, der von Looking for Eric bis United 93 schon Filme fast jeden Genres bebildert hat. Seine Bilder sind roh, aber, wie der Film selbst, nicht ohne Eleganz.

Bleibt eigentlich nur noch die Interpretation des Titels. Sieht man sich The Hurt Locker an, dann dürfte der Fall nach dem mit 131 Minuten etwas lang geratenen Film klar sein. Wer sich mit Pirates of the Caribbean auskennt, sollte mit "Davey Jones' Locker " vertraut sein. Es handelt sich um die See, die alles verschlingt, was sie zu fassen bekommt. Und in Kathryn Bigelows Film? Es ist der Irak, in welchem immer noch Kinder als Bomben missbraucht werden, Familienväter bedroht werden, damit sie sich den Bombengurt umschnallen, und in dem jeder Soldat nach und nach im eigenen Schmerz ertrinkt - wie Sergeant J.T Sanborn, der zwei Tage vor der Heimkehr quasi zusammenbricht.

Wieder einmal hat Kathryn Bigelow ihrem Namen alle Ehre gemacht. The Hurt Locker ist ein realistisches und streckenweise beklemmendes Stück Spannungsfilm, welches seine Wirkung überhaupt nicht verfehlt. Wer Apocalypse Now als den definierenden Film zum Vietnamkrieg interpretiert, der sollte auch The Hurt Locker als die ultimative Verarbeitung des Irakkriegs, eines seit sechs Jahren andauernden amerikanischen Traumas, ansehen. Die Oscarnominationen für Bigelows Film dürften mehr als nur im Bereich des Möglichen liegen. Ob eine Goldstatuette für "Bester Film" angezeigt ist, mag bezweifelt werden, doch es wäre der Academy problemlos zuzutrauen, wieder einmal einen bitteren Kriegsfilm als Film des Jahres auszuzeichnen.