Mittwoch, 30. November 2011

Award Season: New York Film Critics Circle


Manche lieben sie, manche hassen sie, entkommen kann ihr keiner. Die alljährliche Award Season kommt auch heuer langsam in die Gänge. Mit den Ehrungen des New York Film Critics Circle wurden nun die ersten Kritikerpreise verliehen. Dabei werden oft schon die Weichen für die Oscarverleihung Ende Februar gestellt. Doch das Urteil der Kritiker ist nicht immer der Weisheit letzter Schluss - besonders nicht für die Academy. Man erinnere sich an vergangenes Jahr, als die Gilde der Schreibenden The Social Network beinahe einstimmig zu ihrem Favoriten erkoren, die Filmgemeinde aber The King's Speech bevorzugte. Mit The Artist, Michel Hazanavicius' Rückbesinnung auf das Hollywood der 1920er Jahre, hat nun aber ein Film gewonnen, welcher der Academy sicher auch ausnehmend gut gefällt. Zudem scheint sich Bennett Millers Baseball-Drama Moneyball nun definitiv zu den Favoriten um einen Platz in der Best-Picture-Auswahl der Academy (zwischen fünf und zehn werden es sein) zu gesellen. Und die Chancen von The Tree of Life sind offenbar auch intakt - leider. Wir freuen uns auf eine spannende Award Season.

Bester Film: The Artist
Beste Regie: Michel Hazanavicius - The Artist
Bestes Drehbuch: Steven Zaillian, Aaron Sorkin - Moneyball
Beste Hauptdarstellerin: Meryl Streep - The Iron Lady
Bester Hauptdarsteller: Brad Pitt - The Tree of Life; Moneyball
Beste Nebendarstellerin: Jessica Chastain - The Tree of Life; The Help; Take Shelter
Bester Nebendarsteller: Albert Brooks - Drive
Beste Kamera: Emmanuel Lubezki - The Tree of Life
Bester Non-Fiction-Film (Dokumentation): Cave of Forgotten Dreams
Bester fremdsprachiger Film: A Separation
Bestes Debüt: J.C. Chandor - Margin Call
Special Award: Raoul Ruiz

Donnerstag, 24. November 2011

Melancholia

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Mit seinen jüngsten kontroversen Äusserungen hat der Däne Lars von Trier einmal mehr sich selber brillant in Szene gesetzt. Entsprechend gross ist das Interesse an seinem neuen Film. In Melancholia bietet er eine persönliche, bildstarke und perfekt stilisierte Weltuntergangsgeschichte.

Zweifel über den Ausgang von Melancholia räumt Regisseur und Autor von Trier schon in der Anfangsviertelstunde aus: In einem langen, von extremen Zeitlupenaufnahmen geprägten Prolog wird in beeindruckenden Bildern das Ende der Welt fast schon schwelgerisch inszeniert. Der gigantische Planet Melancholia bewegt sich auf die Erde zu und räumt sie mühelos aus dem Weg. Was folgt, sind zwei Charakterstudien. Der erste Teil ist der zum Scheitern verdammten Vermählung (zu deren Gästen auch Schauspielgrössen wie John Hurt, Charlotte Rampling und Jesper Christensen gehören) der depressiven Justine (Kirsten Dunst) mit dem hilflosen Michael (Alexander Skarsgård) gewidmet, der zweite beschäftigt sich mit den Ängsten von Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) angesichts des nur scheinbar gefahrlosen Vorbeiziehens des neu entdeckten, titelgebenden Himmelskörpers.

Wie schon der viele Zuschauer schockierende Antichrist aus dem Jahr 2009 ist auch Melancholia ein Versuch Lars von Triers, seine sporadisch auftretenden Depressionen filmisch zu verarbeiten. Anders als in seinem letzten Film aber sieht er hier von allzu ekelerregenden Szenen ab und bemüht sich, das Innenleben seiner Charaktere auf subtilere Art und Weise sichtbar zu machen. Dies kommt dem Kinoerlebnis tatsächlich zugute und fördert auch die Bereitschaft, über Sinn und Zweck des Ganzen zu reflektieren. So fällt etwa auf, dass Justine und Claire elegant als psychologische Negative konzipiert wurden; während erstere ob der drohenden Apokalypse ihre für sie nun sinnlos gewordene Angst vor dem Leben überwinden kann, verfällt ihre Schwester in an Depression grenzende Panik. Der nahende Planet wiederum scheint in seiner Rolle als interstellare "Abrissbirne" ein Symbol für die das Leben erstickende Melancholie zu sein.

Die depressive Braut Justine (Kirsten Dunst) tanzt mit ihrem Vater (John Hurt). Noch ahnt niemand etwas vom drohenden Unheil aus dem All.
Doch von Trier hat nicht nur die Präsentation des Subtexts seit Antichrist verbessert, auch seine Regie ist behutsamer geworden. Zwar setzt er immer noch auf eine etwas zu verwackelte Kamera, doch dafür glänzt sein Opus in Sachen Erzählfluss – auch wenn sich der zweite Teil etwas in die Länge zieht – und Schauspielführung. Sein grösstes Verdienst aber ist die hervorragende Konstruktion von Atmosphäre. Über dem ganzen Film hängt ein Gefühl des kurz bevorstehenden Unheils, verstärkt durch das Präludium von Richard Wagners "Tristan und Isolde" als musikalisches Leitmotiv, welches bei der finalen Zerstörung fortissimo aus den Lautsprechern donnert.

Lars von Trier liefert auch mit seinem neuen Werk keine einfache Kost. Es mag zugänglicher – und besser – sein als mancher andere Film des Regisseurs, aber die Gefahr, frustriert zu werden, besteht dennoch. Melancholia ist in vielen Punkten klassisches Arthouse-Kino und wird den einen Zuschauer begeistern, während er dem anderen nichts als Mühe bereitet. Wer sich einer cineastischen Herausforderung stellen will, dem sei es ans Herz gelegt, den Gang ins Kino anzutreten. Eines steht fest: Ästhetischer ist die Welt noch nie untergegangen.

★★★★½

Donnerstag, 17. November 2011

Restless

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Eine Romanze zu drehen, in der eine Krebskrankheit eine tragende Rolle spielt, ist heikel, da die Sache schnell ins allzu Kitschige abrutschen kann. Dass dies aber nicht immer der Fall sein muss, zeigt Gus Van Sant in Restless, einer hinreissenden Liebeskomödie mit leisen capraesken Anklängen.

Der Teenager Enoch (Henry Hopper) ist der Aussenseiter schlechthin. Seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen und er drei Monate im Koma lag, will sein Leben nicht mehr richtig funktionieren. Zur Schule geht er nicht mehr; die Beziehung mit seiner Ersatzmutter, seiner Tante, ist gespannt; und Freunde hat er sowieso keine mehr. Einzig der "Geist" eines japanischen Kamikazepiloten, Hiroshi (Ryo Kase), leistet ihm Gesellschaft. Eines von Enochs wenigen Hobbys ist das Besuchen von Beerdigungen fremder Leute. An einer solchen trifft er die an einem Hirntumor erkrankte Annabel (Mia Wasikowska), die ihn mit ihrer Lebensfreude und ihrer Liebe zur Natur (und Charles Darwin) anzustecken versucht.

Wer im Juni dieses Jahres Submarine von Richard Ayoade im Kino gesehen hat, wird unweigerlich diverse Parallelen zu Restless feststellen. Tatsächlich scheint Gus Van Sant in seinem neuen Indie-Film dem Briten Ayoade in seiner verqueren Darstellung jugendlichen Aussenseitertums nachzueifern. Überhaupt wurde dem Film allgemein vorgeworfen, nichts anderes als ein fantasieloser Abklatsch von Arthur Hillers Love Story für den jungen Erwachsenen des 21. Jahrhunderts zu sein. Ja, die Geschichte um eine durch Krankheit intensivierte Beziehung sowie das Credo, dass der Tod die Lebenden um ein Vielfaches härter trifft als die Sterbenden, erfinden das Rad nicht neu. Aber dass Innovation auch innerhalb eines bekannten Schemas möglich ist, ist beileibe kein Geheimnis.

Liebe, bevor es zu spät ist: Die krebskranke Annabel (Mia Wasikowska) tröstet ihren neu gefundenen Freund Enoch (Henry Hopper).
Allein schon mit Enoch und Annabel haben Van Sant und Autor Jason Lew ein hervorragendes Protagonistenpaar kreiert, welches ebenso sympathisch wie ungewöhnlich ist. Das Paar entzückt mit herrlich exzentrischen, aber dennoch nicht gänzlich unrealistischen Gesprächen und Unternehmungen. Zudem hat es Lew auch sehr gut verstanden, die eigentlich todtraurige Geschichte sorgfältig mit Humor auszustatten. So finden Enoch und Annie die Romantik im Makabren ("You can't just 'seppuku' yourself on my deathbed!") und im Lakonischen ("How are you?" – "Same old, same old, still dying"). Dass dies nicht geschmacklos wirkt, sondern den Film herzerwärmend und romantisch macht, ist sicherlich auch Henry Hopper und Mia Wasikowska, die hier mit ihrer Kurzhaarfrisur etwas an Jean Seberg erinnert, zu verdanken; die Chemie zwischen den beiden stimmt perfekt. Sie sind auch einer der Gründe, warum man Restless die vereinzelten Stellen, an denen er sich dem Kitschigen nähert, nur zu gerne verzeiht. Ein anderer ist der Umstand, dass selbst in diesen Momenten die Ehrlichkeit und die Anmut der zentralen Liebesgeschichte über die etwaige Rührseligkeit triumphiert, ganz im Stile der Romanzen eines Frank Capra (Mr. Smith Goes to Washington, It's a Wonderful Life) – "capracorny" eben.

Gus Van Sant präsentiert einen feinfühligen, warmen und melancholischen Film, der für einen kalten grauen Herbsttag bestens geeignet ist. Denn obwohl hier der Tod im Mittelpunkt steht, ist Restless vor allem eines: ein Aufsteller.

★★★★★

Freitag, 11. November 2011

Grave of the Fireflies


★★★★★★

As far as animated films go, there is almost no surpassing Grave of the Fireflies – save for a few selected Pixar gems. Apart from taking a powerful stand against war and poignantly commemorating Japan’s civilian casualties in World War II, it tells a compelling, resonating and deeply haunting (anti-)war story that’s impossible to shake off. If you needed conviction that humanistic war films are the best ones out there, you need to look no further than Grave of the Fireflies – a cinematic masterpiece in its own right.

Ganze Kritik auf The Zurich English Student (online einsehbar).

Donnerstag, 10. November 2011

Der Verdingbub

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Der Berner Markus Imboden liefert nach zehn Jahren wieder einmal einen Kinospielfilm ab. Mit dem Thema der Verdingkinder greift er darin ein unrühmliches Stück jüngerer Schweizer Historie auf. Das Resultat ist Der Verdingbub, ein ansprechender, aber sehr unsteter Film.

Der 15-jährige Waisenjunge Max (Max Hubacher) wird irgendwann während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf einen Hof im Kanton Bern geschickt, wo er bei der Familie Bösiger unterkommt. Diese erwartet von ihm aber vorab Feldarbeit. Die Liebe, die er sich von seinem neuen Heim erhoffte, bekommt er nicht. Im Gegenteil, "Vater" (Stefan Kurt), "Mutter" (Katja Riemann) und deren Sohn Jakob (Maximilian Simonischek) halten sich mit bösartigen Sticheleien nicht zurück. Max' Leben ändert sich aber schlagartig, als Berteli (Lisa Brand), mit der er sich nach und nach anfreundet, auch auf dem Hof abgeliefert wird. Die einzigen Fluchtmöglichkeiten aus dem harten Alltag sind für die beiden die Schule und Max' Handorgelspiel.

Dass Markus Imboden ein grosser Bewunderer des klassischen Schweizer Kinos und der grossen Literaten des Landes ist, ist in jeder Einstellung seines neuen Films spürbar. Kurt Gloors Drama Der Erfinder scheint Bildsprache und -komposition sowie die Darstellung des helvetischen Landlebens an der Schwelle zur Moderne inspiriert zu haben, während die beklemmende Atmosphäre auf Leopold Lindtbergs Friedrich-Glauser-Verfilmung Matto regiert zurückgreift. Die korrupte Dorfgemeinschaft scheint einer Erzählung aus Gottfried Kellers Seldwyla-Zyklus entsprungen zu sein – wenn auch nicht ganz so ironisch –, und die Thematik selber basiert sicherlich nicht nur auf den Erlebnisberichten echter Verdingkinder, sondern auch, mindestens teilweise, auf Jeremias Gotthelfs Bauernspiegel und dem darauf basierenden Radiohörspiel aus den 1950er Jahren. 

Heilende Musik: Verdingbub Max (Max Hubacher) lenkt sich mit seinem Handorgelspiel vom harten Arbeitsalltag ab.
Dieses Traditionsbewusstsein ist Imboden hoch anzurechnen, vor allem weil sich in Der Verdingbub immer wieder neue film- und literaturhistorische Kleinigkeiten entdecken lassen. Dennoch wirkt die Angelegenheit stellenweise fast ein wenig so, als ob dem Regisseur – und auch dem Drehbuchautor Plinio Bachmann – ob der vielen Einflüsse der Fokus etwas abhanden kam. Die erste Hälfte des Films irrt erschreckend ziellos herum und bietet ausser einigen höchst atmosphärischen Bildern einer alten Schweiz wenig Nennenswertes. In der zweiten Stunde erhält der Film dann glücklicherweise eine Struktur und seine – durchwegs sehr sorgfältig entwickelten, wenn auch etwas künstlichen – Charaktere ein konkretes Ziel, was der Spannung des Ganzen sehr zuträglich ist. Wie der Verlauf der Geschichte sind auch die Schauspielleistungen etwas unausgeglichen. Positiv stechen besonders Maximilian Simonischek, Andreas Matti (Fascht e Familie) und Stefan Kurt, der das Phlegma eines Josef Bierbichler (Das weisse Band) imitiert, hervor; eher unvorteilhaft fällt vor allem Lisa Brand auf, der einige zusätzliche Stunden Schauspielunterricht nicht geschadet hätten. Erwähnenswert ist auch der leider allzu kurze Gastauftritt von Hanspeter Müller-Drossaart.

Der Verdingbub mag kein Meisterwerk des Schweizer Kinos sein, doch dank einer starken zweiten Hälfte und einiger inspirierter Hommagen lässt sich der Film in guter Erinnerung behalten.

★★★★☆☆

Sonntag, 6. November 2011

Directors' Top 5: Joel and Ethan Coen


Joel and Ethan Coen are amongst my favourite directors working today, right alongside masters like Clint Eastwood and Martin Scorsese. I love their unique style, their sense of tradition whilst still being hugely original, their unmistakable dry sense of humour, and their unassuming way of making movies. They have given us fantastic stories and indelible characters, and are an essential part of modern Hollywood. So after watching their films over and over again, writing lenghty reviews about them and even analysing them in my matura paper (“U.S. 20th Century History Through the Lense of the Coen Brothers”), I feel that it’s time to list my personal favourites from their œuvre.

Ganze Liste auf The Zurich English Student (online einsehbar).

Samstag, 5. November 2011

The Adventures of Tintin

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Nach fünf kleineren Verfilmungen wurden die Tim & Struppi-Comics des Belgiers Georges Remi, besser bekannt als Hergé, nun erstmals von Hollywood aufgegriffen. The Adventures of Tintin ist herrlich nostalgisches Abenteuerkino für alle Altersklassen.

Auf einem Flohmarkt in Brüssel stösst der junge Reporter Tintin (Jamie Bell) auf ein Modell des legendären Segelschiffs "Unicorn" aus dem 17. Jahrhundert. Kaum gekauft, schon buhlen zwielichtige Gestalten darum. Als das prächtige Modell tatsächlich verschwindet, ruft das die beiden schusseligen Detektive Thomson und Thompson (Simon Pegg/Nick Frost) auf den Plan, die dem Fall aber nicht gewachsen scheinen. Also beschliesst Tintin, der Sache mit seinem treuen Hund Snowy selbst auf den Grund zu gehen. Es stellt sich heraus, dass die "Unicorn" der Schlüssel zu einem sagenhaften Schatz ist, der irgendwo verborgen liegt. Zusammen mit dem trinkfesten Captain Haddock (Andy Serkis) begeben sich Tintin und Snowy auf ein halsbrecherisches Abenteuer.

Das Universum, das Hergé in seinen Comics geschaffen hat, ist in vielen Punkten nicht nur ein Produkt seiner Entstehungszeit – den Dreissiger- und Vierzigerjahren –, sondern auch eine romantische Rückbesinnung auf das, rückblickend zumindest so interpretierte, abenteuerlustige 19. Jahrhundert, wie es in den Romanen Robert Louis Stevensons, Herman Melvilles und Jules Vernes geschildert wurde. Demnach ist das Altmodische ein Faktor, der bei jeder filmischen Adaption vorhanden sein muss. Dies haben die Produzenten Kathleen Kennedy, Peter Jackson und Steven Spielberg, der auch gleich auf dem Regiestuhl sass, in The Adventures of Tintin hervorragend umgesetzt. Die Geschichte um verlorene Schätze, berüchtigte Piraten, versteckte Hinweise sowie die Suche danach bis in die exotischsten Ecken der Erde – entsprechend finden sich zahlreiche Reminiszenzen an Spielbergs Indiana Jones-Reihe – wird, mit Ausnahme der von James Camerons Avatar salonfähig gemachten Performance-Capturing-Technik, von der Moderne "gestört". Selbst der Titelvorspann erweist dem klassischen Zeichentrickfilm seine Reverenz.

Schatzsuche ahoi: Der bärbeissige Captain Haddock (Andy Serkis) und der junge Tintin (Jamie Bell) trotzen im Beiboot den Gefahren der Hochsee.
Doch obwohl der Film durch seine mitreissenden, aufregend gefilmten Actionszenen, John Williams' Musik und seinen Retro-Charme besticht, ist er doch nicht ohne Mängel. So fällt etwa die Exposition eine Spur zu temporeich und gehetzt aus; Tintins ewige Kommentare nerven mitunter etwas; das 3D wäre nicht unbedingt nötig gewesen; und das Ganze hinterlässt, bei aller Nostalgie, kaum einen bleibenden Eindruck. Die Ausnahme stellt Andy Serkis' Performance als Captain Haddock dar. Serkis, der dieses Jahr schon als Affe Caesar in Rise of the Planet of the Apes brillierte, verdient sich hier – einmal mehr – einen Platz im Pantheon der grossartigen Motion-Capture-Schauspielleistungen. Mit seinem mal bedrohlichen, mal melancholischen, mal freundlichen, aber immer virtuosen Knurren (in perfektem schottischem Dialekt) verleiht er dem Film einige willkommene Ecken und Kanten.

Eine bessere Hollywood-Verfilmung von Hergés Geschichten hätte man sich wohl nicht wünschen können. The Adventures of Tintin bleibt dem originalen Material treu, wird aber auch Uneingeweihte problemlos überzeugen können. Spielberg bietet wieder einmal bestes Unterhaltungskino alter Schule.

★★★★½

Mittwoch, 2. November 2011

Abduction

Obwohl die Kinoadaptionen von Stephanie Meyers Twilight-Romanen internationale Kassenschlager sind, entwickeln sie sich für die mitwirkenden Darsteller doch langsam zu einem Karriere-Handicap. Die beiden Hauptakteure der Serie, Robert Pattinson und Kristen Stewart, haben schon länger begriffen, dass kreischende Früh-Teenager nicht die stabliste Fan-Basis bilden. Entsprechend versuchen sie – bislang eher mässig erfolgreich –, von ihrem Twilight-Image wegzukommen und ihr schauspielerisches Spektrum zu erweitern oder, in Stewarts Fall, zu schon früher errungenen Erfolgen zurückzukehren. Nun scheint auch Taylor Lautner, der in den Meyer-Verfilmungen Werwolf Jacob gibt, einen dahin gehenden Weg einzuschlagen. In Abduction, dem neuen Film des renommierten Regisseurs John Singleton (Boyz N the Hood), wandelt er nun auf den Spuren von Matt Damons Actionhelden Jason Bourne. Dumm nur, dass er sich für seinen erhofften Durchbruch im alle Demografien ansprechenden Kino einen der schlechtesten Filme des Jahres ausgesucht hat.

Nathan (Lautner) ist ein gewöhnliche
r 18-Jähriger, der niemandem speziell auffällt – was bei seinem durchtrainierten Körper, den schneeweissen Zähnen und seinen hirnrissigen Stunts doch eher seltsam wirkt. Die wichtigsten Personen in seinem Leben sind seine gleichaltrige Nachbarin Karen (Lily Collins), mit deren Freund (?) er mehrmals aneinandergerät, seine High-School-Kumpel und seine Eltern Kevin (Jason Isaacs) und Mara (Maria Bello). Nur etwas bedrückt ihn: Immer wieder wird er von einem realistisch anmutenden Traum heimgesucht, den niemand erklären kann. Eines Tages entdeckt er auf einer Internet-Datenbank für entführte Kinder sich selbst. Kurz darauf werden seine "Eltern" kaltblütig ermordet, woraufhin er mit Karen fliehen muss.
Abduction mag wie eine billige Kopie eines Teils der Bourne-Trilogie wirken, doch die Wahrheit ist noch um ein Vielfaches jämmerlicher; der Film ist vielmehr ein Quasi-Plagiat von D.J. Carusos Eagle Eye, der seinerseits stark bei der bisher einflussreichsten Action-Franchise des 21. Jahrhunderts abkupferte. Auch die dahinter stehende Absicht scheint bekannt, war Carusos – eigentlich ganz passabler – Streifen doch auf Shia LaBeouf (Transformers) zugeschnitten, um diesen als ernst zu nehmenden Schauspieler zu etablieren. Kurz gesagt: Singletons neuer Film ist ein Plagiat eines Plagiats. Doch das allein ist bei weitem noch nicht sein grösstes Manko – wie traurig.
Man kann nicht behaupten, dass Abduction aufgrund eines massiven Defizits versagt. Vielmehr leidet das Projekt an einer Vielzahl von Unstimmigkeiten, Löchern und Mängeln, die das ganze Konstrukt letzten Endes zum Einsturz bringen. Dies fängt schon bei der selbst für Actionfilm-Verhältnisse allzu dünnen Story an. Der Film besteht zu einem schönen Teil aus Nathan und Karen, die von einem Ort zum nächsten fliehen. Hie und da treffen sie entweder auf einen Verfolger, den sie – stark wie sie eben sind – in einem dreiminütigen Kampf ausschalten; oder sie werden von einer der beiden jagenden Parteien angerufen, was zu kurzzeitiger Charakterentwicklung führt, welche ihrerseits aber weitestgehend wirkungslos bleibt, da es sich bei den Hauptfiguren um uninteressante, unsympathische und realitätsferne Abziehbildchen handelt. Dass Taylor Lautner als Hauptdarsteller überfordert und verloren wirkt – vielleicht weil ihm langsam bewusst wird, dass ein gestählter Körper einem das Schauspielern nicht abnimmt – und Lily Collins unsagbar schlecht spielt, macht die Sache nicht besser. Noch schlimmer ist aber ist die manipulative Darstellung von Nathans Eltern. Jason Isaacs und Maria Bello verbringen ihre immerhin ansehnliche Screentime grösstenteils damit, liebenswert-ironische Kommentare über ihren Sohn zu machen. Einen wirklichen Einfluss auf die Geschichte haben sie nicht. Der einzige Grund für ihre Existenz ist der Moment ihres Todes, der darauf angelegt ist, den Zuschauer Trauer empfinden zu lassen. Das Ableben eines Elternteils zum blossen "Plot Device" herabzustufen, mag zwar kein neueres Phänomen sein, doch eine Entschuldigung ist dies noch lange nicht. Es ist und bleibt ein Kunstgriff aus der untersten Schublade.

Aber selbst wenn man von diesem Stück Geschmack
losigkeit absieht, ist das Drehbuch von Shawn Christensen – seines Zeichens Mitglied der Rockband stellastarr* – kaum zu retten. Die Dialoge variieren zwischen banal-belanglos, schmerzhaft künstlich und fast schon belustigend unbeholfen. Auch die schwachen Bemühungen, lustig zu sein, laufen ins Leere. Im besten Fall unterhalten die Einzeiler mit ihrer kümmerlichen Qualität; im schlechtesten laden sie zu heftigem Kopfschütteln ein. Überdies scheint Christensen das heilige Prinzip "Show, don't tell" nicht bekannt zu sein. Mehrfach lässt er seine Figuren Dinge beschreiben, die Off-Screen passieren, und, in einem besonders dunklen Moment, verleitet er Nathan dazu, seiner Psychiaterin (gespielt von der armen Sigourney Weaver) einen Traum zu erzählen, den sie offensichtlich in- und auswendig kennt.
Doch auch die Leistung von Regisseur Singleton ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Der Film ist dürftig inszeniert und lässt jegliche Form von Rhythmus und Timing vermissen. Es scheint mehr Zeit für die Produkteplatzierung als für die Erarbeitung eines kohärenten Erzählflusses aufgewendet worden sein; Apple, deren Produkte in einem Werbekatalog nicht prominenter hätten ausgestellt werden können, und die Stadt Pittsburgh, die offenbar nichts unversucht lässt, ihren Ruf als langweilige Stadt loszuwerden, werden sich bedanken. Überzeugen aber wenigstens Singletons Actionszenen? Immerhin will man in einem solchen Film auch visuell unterhalten werden. Leider versagt Abduction auch in dieser Hinsicht. Entweder sind einzelne Kampfsequenzen viel zu lang und hätten unbedingt einer Überarbeitung bedurft, oder sie verpuffen ohne auch nur ansatzweise mitzureissen. Erschwerend hinzu kommt die lächerliche Kampfphysik, der man nur zu gut die CGI-Behandlung ansieht.

Neue Fans wird sich Taylor Lautner mit seinem neuesten Film sicher nicht einhandeln. Wenn man zwölf Jahre alt ist und noch nie einen Actionfilm gesehen hat, dürfte einem
Abduction wie brutales, kerniges, hochspannendes Actionkino vorkommen. Allen anderen wird John Singletons weichgespülter Jason-Bourne-Abklatsch höchstens ein müdes Lächeln entlocken. Der Film ist infantil, plump und in seiner Selbstzufriedenheit hochgradig nervend. Abduction verkauft s
ein Publikum für dumm – sehr schön veranschaulicht durch die Information via Untertitel, dass die Story einen Abstecher nach "London, England" macht – und hat mittlerweile dennoch mehr als das Doppelte seines Budgets eingespielt. Darüber lässt sich eigentlich nur noch hohl lachen.
½★