Samstag, 3. April 2010

Up in the Air

Wer ist hier effizient? Ryan Bingham (George Clooney) instruiert die naive Natalie Keener (Anna Kendrick), wie man seinen Koffer am besten packt.

5.5 Sterne

Mit der Finanzkrise 2008/2009 hat sich im US-Film ein ganz neuer Themenbereich aufgetan: die Problemstellung Arbeitswelt. Alte Strategien werden überdacht, "Effizienz" ist das magische Wort und die Person, die an Tradition festhält, ist persona non grata. Das zentrale Werk dieser neuen Thematik ist Up in the Air von Jason Reitman. Interessanterweise basiert sein Film nicht auf einer Originalidee, sondern ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Walter Kirn aus dem Jahr 2001, dem Jahr, in dem die Internetblase platzte. Wie schon in Thank You for Smoking und Juno schafft es Reitman auch hier, die ernste Grundlage mit Humor zu versehen, ohne sie jedoch ihrer Relevanz zu berauben. Doch Up in the Air ist weder eine heitere Komödie noch eine moralisierende Parabel über die heutige Zeit. Der Film geht vielmehr auf die verschiedenen urbanen Typen der Moderne ein und untersucht ihre Weltanschauungen und ihr Streben nach Glück. So schafft Jason Reitman einmal mehr den Spagat zwischen Gesellschaftskritik und leichtfüssiger Unterhaltung.

Hauptfiguren müssen sich entwickeln, heisst es. Sei es ein Buch, ein Theaterstück oder ein Film, die im Mittelpunkt stehende Person muss während des Werks eine Veränderung durchmachen. Ryan Bingham, Dreh- und Angelpunkt von Up in the Air, ist ein Musterbeispiel dafür. Er ist eine von diesen Figuren, die man hassen sollte, es aber nicht kann. Sein Lebensstil ist extravagant, seine Einstellung von Vorurteilen geprägt - oder, wie er selbst sagt: "I stereotype, it's faster." - und sein Ziel banal: 10 Millionen Vielfliegermeilen, um sich zu der exklusiven Gruppe der Leute, die dieses Kunststück fertiggebracht haben, zu gesellen. Er verdient sein Geld als Abgesandter einer Firma, die für andere Leute Angestellte entlässt. Nebenher hält Ryan auch Vorträge darüber, wie einfach man sich sein Leben machen kann, wenn man keinerlei Beziehungen pflegt und sich von Gefühlen distanziert. George Clooney brilliert in dieser Rolle. Kein anderer Schauspieler hätte Ryan Bingham spielen können. Wie einst Cary Grant weiss auch Clooney ganz genau, wie man das Publikum so manipulieren kann, dass sie auch noch das grösste Ekelpaket sympathisch finden. Und das liegt nicht nur daran, dass der Mann ein unwiderstehliches Lächeln hat. Das ist echte Schauspielkunst und hätte Clooney wohl verdientermassen seinen ersten Hauptrollenoscar eingebracht, wenn nicht im selben Jahr eine noch grossartigere Performance - Jeff Bridges in Crazy Heart - nominiert gewesen wäre. Seis drum. Ryan Bingham ist seine Rolle, daran gibt es nichts zu deuteln.

Wie war das mit der sich entwickelnden Hauptperson? Bessert sich Ryan etwa? Wird er wie Ebenezer Scrooge zu einem allseits beliebten Wohltäter? Nein, denn dazu ist das grossartige Drehbuch von Jason Reitman und Sheldon Turner zu raffiniert. Man kann dem Skript vielleicht vorwerfen, die Unterteilung in eine primäre Handlung pro Akt sei gesucht; doch die Souveränität, mit welcher alle Handlungsstränge zu einem überzeugenden Ende führen, zeugt von grosser Klasse. Aber das Duo Reitman/Turner überzeugt nicht nur mit einer originellen Erzählweise und brillant konstruierten Charakteren, sondern auch mit geistreichen und stellenweise rasend schnellen Dialogen. Wenn sich Ryan mit einer weiblichen Protagonistin ein Rededuell liefert, fühlt man sich ins Jahr 1940 zurückversetzt, als sich Cary Grant und Rosalind Russell in His Girl Friday die schnippischen Bemerkungen nur so um die Ohren schlugen. Das Meisterhafte an diesen Dialogen sind aber nicht nur die stellenweise urkomischen Wortwechsel, sondern auch das, was man zwischen den Zeilen findet. Hört man sich beispielsweise Ryans Vortrag über "What's in Your Backpack?" genau an, sieht man darin das Geständnis eines gebrochenen Mannes, der sein Leben seiner Arbeit widmet und noch nicht begriffen hat, wie sehr ihm dies schadet. Aber wie heisst es so schön? Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und das tut man in Up in the Air wahrlich mehr als man es vom Thema erwarten könnte.

Ein grosses Verdienst des Drehbuchs ist auch die Schaffung starker Frauenrollen. Vera Farmiga glänzt als Alex, die sich selbst als weibliche Version von Ryan tituliert ("Just think of me as you with a vagina."). Sie fungiert als sein realistisches Liebesinteresse, welches sich letzten Endes aber auch als unglückliche Sackgasse entpuppt. Farmiga verkörpert das Gleichgewicht zwischen Ernsthaftigkeit und Witz, das Up in the Air dermassen bravourös hält. Auch die wesentlich jüngere Anna Kendrick liefert starkes Schauspiel. Ihre Natalie ist die Personifikation der jungen, dynamischen Generation, die zurzeit die Berufswelt auf den Kopf stellt. Ihr Glaube an die neuen Technologien wirkt anfangs extrem naiv und unverschämt und man gönnt es ihr fast, dass ihr geliebter Freund sie per SMS sitzen lässt. Aber nach und nach merkt man, dass auch Kendricks Charakter seine Gründe für dieses Vertrauen hat. Schliesslich macht auch Natalie eine tiefgreifende Veränderung durch, die sie am Ende vollends von Ryan, der mittlerweile zu einer Art Mentor geworden ist, trennt.

Up in the Air zeigt grundsätzlich, wie ein Mensch durch seine Umwelt, seinen Umgang damit und die damit verbundenen Konsequenzen beeinflusst wird. So begegnen uns im Laufe des Films viele flüchtige Bekanntschaften, die Ryan trotzdem irgendwie tangieren. Sei es Sam Elliott als Pilot, der hier im Prinzip seine Rolle als The Stranger aus The Big Lebowski wieder aufnimmt und damit für eine wunderbare Szene sorgt; sei es Jason Bateman, der als Ryans Chef zwischen Tradition und Fortschritt vermitteln muss; oder sei es Danny McBride, durch den Ryan in der wohl besten Szene des Films endgültig zum fühlenden Menschen mutiert - sie alle hinterlassen bei der Hauptfigur sowie beim Zuschauer einen bleibenden Eindruck. Auch die Leute, die als Entlassene herhalten müssen, ein Mix aus wahrer Geschichte und bekannten Gesichtern wie JK Simmons oder Zach Galifianakis - Alan aus The Hangover -, überzeugen mühelos.

Geht man auf die technischen Aspekte eines Films ein, fällt einem meistens die Kamera auf. Kein Zweifel, Eric Steelberg hat gute Arbeit geleistet, insbesondere beim Vorspann, in welchem einem die USA aus der Vogelperspektive gezeigt wird, überaus passend untermalt von Woody Guthries "This Land Is Your Land" in der Version von Sharon Jones & The Dap-Kings, doch der wahre Meister der Technik in Up in the Air ist Dana E. Glauberman, die Cutterin. Wie ihr eine Oscarnomination verwehrt blieb, ist ein Rästel. Ihre Klasse zeigt sich gleich in den Anfangsminuten, als im Stakkato-Stil Ryans Packritual vorgestellt wird. Ihr Schnitt gibt den Inhalt des Films wieder: Schnell und effizient muss alles sein.

Jason Reitman ist mit Up in the Air ein weiterer Volltreffer gelungen. Sein Film strotzt vor leichtfüssiger Satire und schnellen Screwball-Dialogen, lässt aber auch Herz, Charakterstudie und nachvollziehbares Drama nicht vermissen. Der Satz "Er hat den Zeitgeist getroffen" wird in letzter Zeit leider sehr inflationär gebraucht, hier ist er beinahe angebracht. Denn der Zeitgeist ist meistens der negative beladene Zeitungeist, weshalb man hier "Er hat den Zeitgeist mitten ins Herz getroffen" sagen sollte. Up in the Air ist wahrscheinlich der Film über unsere Zeit. Möglicherweise wird er schlecht altern und in Vergessenheit geraten, aber im Hier und Jetzt ist er nichts weniger als der essentielle Film über das noch junge 21. Jahrhundert. Und dafür zieht dieser Kritiker vor Jason Reitman den Hut.