Samstag, 27. März 2010

The Blind Side

Trautes Familienidyll: Leigh Anne Tuohy (Sandra Bullock) kümmert sich um ihren Sohn SJ (Jae Head, links) und den adoptierten Familienzuwachs Michael Oher (Aaron Quintin).

2 Sterne

Amerikaner mögen Sportfilme. Besonders wenn das Ganze auf wahren Begebenheiten beruht, kennt ihre Gier nach Aufsteigergeschichten keine Grenzen. John Lee Hancock hat mit der Buchverfilmung The Blind Side, welche den Beginn der Karriere des Footballstars Michael Oher beleuchtet, genau diese Sparte des Kinopublikums angesprochen - der finanzielle Erfolg liess entsprechend nicht lange auf sich warten. Sogar die Academy erbarmte sich seiner und nominierte den Streifen für "Best Picture", während die Hauptdarstellerin Sandra Bullock sogar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Dies sind wohl die einzigen Gründe, weshalb man sich als Cinephiler The Blind Side ansehen wollen könnte. Hat man ihn gesehen, kann man das Buch, in welchem die Fehler der Academy aufgelistet sind, um ein grosses Kapitel erweitern. Hancocks Film ist nichts anderes als ein schlechter Sportfilm - so einfach ist das.

Zugegeben, Sportfilme zu drehen ist nicht einfach. Kaum ein anderes Genre driftet so leicht in kitschiges Pathos ab. Lustigerweise ist dies aber nicht das Hauptproblem von The Blind Side. Im Gegenteil, die Footballszenen sind überraschend unspektakulär geraten, was dem Streifen gut zu Gesicht steht. Nein, das wahre Problem ist das Drehbuch von John Lee Hancock selbst. Dabei hat der Mann schon bewiesen, dass er schreiben kann. Aus seiner Feder stammt beispielsweise das Drehbuch zu Clint Eastwoods unterschätztem A Perfect World. Überhaupt könnte man denken, dass ein ehemaliger Mitarbeiter Eastwoods in der Lage wäre, einen ansprechenden Film zu drehen. Aber nein, es ist ihm nicht gelungen. Es mutet wie Ironie des Schicksals - oder besser Ironie der Academy - an, dass für Hancocks Schmonzette Eastwoods routinierter Sportfilm Invictus aus der Liste der Nominierten für "Best Picture" weichen musste.

Woran krankt das Skript von The Blind Side? Das gravierendste Problem sind wohl die Figuren. Denn der Film ist - oder sollte es zumindest sein - ein Stück weit eine Charakterstudie, die das Zusammenprallen zweier Gesellschaftsklassen unter die Lupe nimmt. Der arme Junge aus dem Ghetto wird von der moderat republikanischen Familie der gehobenen Mittelklasse aufgenommen. Anstatt sich sklavisch von Michael Lewis' Buch zu leiten, hätte The Blind Side einen anderen Weg gehen können und zu einem ernstzunehmenden Gesellschaftsdrama werden können. Aber das Infragestellen der sozialen Struktur in den USA verkauft keine Tickets. Stattdessen übergeht Hancock jegliche Charakterzeichnung und verlässt sich auf die üblichen Konventionen des Genres. Entsprechend ist dem Zuschauer das Schicksal der Protagonisten relativ egal. Auch werden viele Figuren ziemlich unmotiviert verheizt, ohne dass man auch nur ihre Namen erfährt. Zudem kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass in The Blind Side ein Hauch von Rassismus mitschwingt. Die Stereotypen der Gesellschaft spotten jeder Beschreibung. Der einzige rechtschaffene Schwarze ist Michael Oher, während alle anderen im Ghetto von Memphis sexistische Machos sind. Auch bei der weissen Bevölkerung findet keinerlei Nuancierung statt. Die Oberklasse-Republikanerinnen sind gackernde Hühner, die aussehen, als kämen sie vom Dreh der Senioren-Fassung von Sex and the City. Doch das ist bei weitem nicht der einzige Makel von Hancocks Drehbuch. The Blind Side fehlt es an Spannung und an Stringenz. Viele Szenen wirken dazugepappt und sinnlos. Interesse an der Storyentwicklung kommt nie auf. Und zu "guter" Letzt scheint sich der Streifen auch nicht entscheiden zu können, was er eigentlich sein will. Für ein Drama gibt es zu viele meist unlustige One-Liner und unangebrachte Slapstick-Einlagen, für eine Komödie wird die Fassade der Gesellschaftskritik zu vehement aufrechterhalten. Unausgegorenheit, dein Name ist The Blind Side.

Hält wenigstens Sandra Bullock, was ihr Oscar verspricht? Sie ist blond, sie hat ihren Südstaatendialekt schön brav gelernt und sie spricht in abgehackten Sätzen wie Rorschach in Watchmen. Es ist erstaunlich, was heute nicht alles einen Academy Award bekommt. Hinter der Auszeichnung stand wohl einfach die Idee, man sollte Bullock endlich auszeichnen, bevor sie nur noch in Rom-Coms wie The Proposal oder All About Steve mitwirkt. Sie ist keineswegs schlecht, aber sie hat doch arg mit der Farblosigkeit ihres Charakters zu kämpfen. Quinton Aaron macht sich ganz gut in der Rolle des Michael Oher und zieht schnell wenigstens ein bisschen Sympathie auf sich. Jae Head hingegen, der den Sohn von Leigh Anne Tuohy (Sandra Bullock) mimt, geht einem von Anfang bis Ende auf die Nerven. Dies geht sogar so weit, dass man sich wünscht, dass er während des Autounfalls in der Mitte des Films mindestens die Sprachgabe verliert, sodass man sich seine altklugen Bemerkungen und seine an eine Kreissäge erinnernde Stimme nicht mehr anhören muss. Man muss sich schon fragen, was ein Film falsch macht, wenn er einen zu derartigen Gedanken verleitet. Immerhin kommt während des dritten Akts noch Kathy Bates hinzu, die dem Film mit ihrer kecken Art etwas echte schauspielerische Klasse verleiht. Alle anderen Darsteller sind nichts anderes als Staffage und hinterlassen auch keinerlei Eindruck, weshalb auf sie auch nicht speziell eingegangen werden soll.

Die Klischees machen auch vor den technischen Aspekten nicht Halt. Der Mainstream-Kameramann Alar Kivilo (Year One, The Lake House) bietet zwar solide Arbeit, überzeugt aber nicht mit sonderlich innovativen oder kreativen Ideen. Auch der Cutter Mark Livolsi reisst einen nicht unbedingt vom Hocker. Diese Eintönigkeit im technischen Sektor geht sogar so weit, dass der renommierte Komponist Carter Burwell, Haus-Komponist für Joel und Ethan Coen, mit einem langweiligen Score vom Fliessband enttäuscht. Alle diese Punkte laufen letzten Endes auf ein Fazit hinaus: The Blind Side ist einfach ein uninspirierter Film, der zwar eigentlich Gutes will, dies aber überhaupt nicht schafft. Und so muss man sich wieder einmal die unangenehme Frage stellen: Darf man einen Film, dessen Anliegen prinzipiell gut ist, schlecht finden? Ja, denn es ist nicht nur der Wille, der zählt. So bewegt sich John Lee Hancocks Kitsch-Vehikel auf einer ähnlichen Schiene wie John Q oder Pay It Forward.

Ist The Blind Side ein typischer Gutmenschenfilm, der zwar filmisch enttäuscht, das Herz aber am rechten Fleck hat? Nicht wirklich, da der Streifen auch vor rassistischen Untertönen nicht zurückschreckt. Zudem versetzen einen gewisse Humorversuche in Rage und die gefühlvollen Momente wirken aufgesetzt und lächerlich. Grosses Kino, ja selbst grosses Sportkino, sieht anders aus. Fans des Genres und von Sandra Bullock werden wahrscheinlich ihre Freude daran haben, der Rest des Publikums wird sich wohl fragen, was der Film soll. Der Geschichte wird The Blind Side vor allem als weiteres Zeugnis für die Unergründlichkeit der Wege der Academy in Erinnerung bleiben. Etwas anderes hat John Lee Hancock nicht verdient.

Sonntag, 14. März 2010

The Men Who Stare at Goats

Superkräfte kämen jetzt gerade gelegen: Ex-Soldat Lyn Cassady (George Clooney, links) und Reporter Bob Wilton (Ewan McGregor) geraten im Irak mit Amateur-Geiselnehmern aneinander.

4.5 Sterne

Mit The Hurt Locker räumte bei den diesjährigen Oscars ein Film, der auf kritische Weise den Irakkrieg thematisiert, sechs Auszeichnungen ab. Sozusagen als komödiantisches Gegenstück zu Kathryn Bigelows Drama kommt nun The Men Who Stare at Goats des Schauspielers Grant Heslov (Good Night, and Good Luck, Leatherheads) zu uns in die Kinos. Es handelt sich dabei um eine freie Adaption des gleichnamigen Romans von Jon Ronson, der sich mit den paranormalen Truppen der US-Armee auseinandersetzt. Schenkt man dem Buch Glauben, dann hat ein Militäroffizieller namens Jim Channon in den 1970er Jahren die New-Age-Bewegung "studiert" und aufgrund seiner Erfahrung das "First Earth Battalion" ins Leben gerufen. Der Sinn dieses Unternehmens war die Schaffung einer alternativen Form des sprichwörtlichen Kampfes für den Frieden. Der Trailer und der Film selber betonen, dass an der erzählten Geschichte, die man auf den ersten Blick wohl als Unsinn abstempeln würde, mehr wahr sei, als man sich vorstellen kann. Doch ob das Ganze nun Wirklichkeit oder erlogen ist, spielt letzten Endes keine Rolle. The Men Who Stare at Goats ist eine Militärfarce erster Güte, die sich mühelos zu Klassikern wie MASH oder - in geringerem Masse - Stanley Kubricks Satire Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb gesellt.

Skurriler könnte die Prämisse von The Men Who Stare at Goats wohl kaum sein: George Clooney, Ewan McGregor, Jeff Bridges und Kevin Spacey spielen in einem Film mit, der auf einem Tatsachenbericht beruht, welcher sich um sogenannte Jedi-Ritter dreht, die übernatürliche Kräfte wie Telepathie, Unsichtbarkeit und Hellsehen besitzen. Das Endprodukt ist genau das, was man erwarten würde: Eine abgedrehte Komödie/Satire mit urkomischen Darstellern und einer mehr oder minder zweitrangigen Story. Aber es ist dennoch bewundernswert, wie Grant Heslov bzw. sein Drehbuchautor Peter Straughan Jon Ronsons Buch in eine recht kohärente Angelegenheit verwandelt haben. Das Hin- und Herhüpfen zwischen den aktuellen Geschehnissen und der Geschichte der "New Earth Army" gestaltet den Film abwechslungsreich und erlaubt den grossen Namen genug Screentime. Denn der grösste Wert von The Men Who Stare at Goats ist sicherlich sein starbesetzter Cast. Ewan McGregor erinnert einen anfänglich zwar stark an seine Rolle in The Ghost Writer, hat aber bald alle Sympathien auf seiner Seite, da er, wie anfangs das Publikum, von den hirnverbrannten Machenschaften der Armee völlig vor den Kopf gestossen ist. An seiner Seite glänzt George Clooney, dessen Performance Erinnerungen an die ersten beiden Teile der "Numskull-Trilogy" von Joel und Ethan Coen (O Brother, Where Art Thou?, Intolerable Cruelty) weckt. Man könnte sich wahrlich keinen besseren Schauspieler als Clooney in der Rolle des Lyn Cassady, des Supersoldaten in Existenzkrise, vorstellen. Er ist verrückt und vielleicht sogar eine Spur unheimlich, aber man hat ihn sehr schnell ins Herz geschlossen. Kudos für Clooney, der sein komödiantisches Talent auch für eine derartige Produktion hergibt. In kleineren Rollen sind ausserdem Stephen Lang - der Bösewicht aus Avatar -, Jeff Bridges und Kevin Spacey zu sehen. Letztere ergänzen das Duo McGregor/Clooney hervorragend. Bridges spielt die reale Figur des Jim Channon, der für The Men Who Stare at Goats in Bill Django umbenannt wurde, mit der gleichen liebenswürdigen Lockerheit, mit der er in The Big Lebowski bereits die Massen begeisterte. Der Kinosaal bebt vor Lachen, wenn er Blumen an Rekruten verteilt - etwa an den herrlich doof grinsenden Stephen Lang - und dabei Hippie-Slogans von sich gibt. Auf der anderen Seite des Sympathie-Spektrums steht Kevin Spacey, den man wahrscheinlich als den Hauptantagonisten des Films bezeichnen könnte. Aber man mag ihn trotz der Arroganz seiner Figur irgendwie. Dies liegt vermutlich primär an seinen idiotischen und daher unglaublich lustigen Anwandlungen; sei es seine Quietschstimme beim Telepathietraining oder sein seliger Gesichtsausdruck, wenn ihm LSD untergeschoben wird.

Peter Straughans Drehbuch mag kein Meisterwerk der Erzählung sein; trotzdem bewegt es sich trotzdem auf hohem Niveau und bringt das Kunststück fertig, aus allem einen Witz zu machen. Denn es gibt Szenen in The Men Who Stare at Goats, die gefährlich ins allzu Esoterische abzudriften drohen, im letzten Moment aber von einer Absurdität, die man so nicht hat kommen sehen, gerettet werden. Zudem erweist sich Straughan als Meister des stummen Witzes. Selten sorgte ein wortloser Blickwechsel zweier Protagonisten für Pandemonium im Kino (Stichwort: Augenfunkeltechnik). Aber auch die Dialoge sitzen und tragen ihren Teil zum allgemeinen Gelächter während des Films bei. The Men Who Stare at Goats hat überdies durchaus seine satirischen Momente, die man in einem Film, der während des Irakkriegs spielt, sehr gerne sieht. Und dabei bekommen nicht nur die amerikanischen Streitkräfte ihr Fett ab, sondern auch naive Geschäftsleute, Kriegsreporter und die Massenmedien.

Auch über die technische Ausführung von The Men Who Stare at Goats darf man sich nicht beklagen. Kameramann Robert Elswit - Oscar 2008 für There Will Be Blood - findet einen gelungenen Mittelweg zwischen klassischen Kriegsfilmbildern und einer kunstvollen Kameraführung mit fantasievollen Schwenks und Einstellungen. Tadellos ist auch Tatiana Riegels Schnitt.

Eine Frage hat die Amerikaner in Bezug auf diesen Film sehr beschäftigt: Darf man eine Komödie über den Irakkrieg drehen? Ist es nicht pietätlos, den Kriegsalltag mit Pseudo-Schiessereien zwischen zwei amerikanischen Truppen, militärischer Inkompetenz oder der Vorstellung, dass Männer dazu ausgebildet werden, Ziegen mit Blicken zu töten, darzustellen? Auch die wunderbare Schlussszene gibt die im Irak stationierten Soldaten der Lächerlichkeit preis. Vielleicht ist auch gerade dies das Schöne an Grant Heslovs Film: Der Krieg an sich spielt eigentlich keine Rolle. Es ist eine simple Komödie, die zwar einige aufrührerische Ansätze beinhaltet, alles in allem aber vordergründig zur Unterhaltung des Publikums dient. Somit kann den moralischen Bedenken nur entgegnet werden: Man darf eine Komödie über den Krieg drehen, zumindest wenn ein Talent wie Grant Heslov dafür verantwortlich zeichnet.

Die Befürchtungen, dass alle lustigen Szenen bereits im Trailer gezeigt wurden, haben sich nicht bewahrheitet. The Men Who Stare at Goats ist ein höchst unterhaltsamer Angriff auf die Lachmuskeln, der mit einer gesunden Länge (95 Minuten) sich auch niemals in die Länge zieht. Der Film ist eine Perle der absurden Komödie und ist inmitten der Möchtegern-Lustspiele, die zurzeit das US-Kino erobern, eine Wohltat für Freunde guter Unterhaltung. Gespickt mit Stars, die sich auch für Slapstickeinlagen nicht zu schade sind, tollen Sprüchen, witzigen Verschrobenheiten und der richtigen Dosis Story ist The Men Who Stare at Goats ein absolut empfehlenswerter Film und schon jetzt ein Kandidat für den lustigsten Film 2010.