Mittwoch, 7. Oktober 2009

The Hurt Locker

Gezeichnet vom Krieg: Staff Sergeant William James (Jeremy Renner, vorne) und Sergeant J.T. Sanborn (Anthony Mackie) sind bei jedem ihrer Aufträge in akuter Gefahr. Dass James so etwas wie ein Outlaw ist, macht die Sache nicht einfacher.

5 Sterne

Der Irakkrieg wird im amerikanischen Kino erstaunlich wenig als Thema aufgegriffen. Der Respekt und die Angst vor dem Missgriff scheinen selbst die streitlustigen Filmemacher abzuschrecken. Michael Moores subversive Doku Fahrenheit 9/11, die sich grundsätzlich mit den Fehlern von George W. Bushs Administration auseinandersetzt, Paul Haggis' Drama In the Valley of Elah und Robert Redfords Thesenfilm Lions for Lambs, der sich sowohl mit dem Irak als auch mit dem Konflikt in Afghanistan beschäftigt, markieren die filmischen Höhepunkte in sechs Jahren Krieg. Kathryn Bigelows neustes Werk, The Hurt Locker, geht einen nicht gerade einfachen Mittelweg zwischen dokumentarisch angehauchtem Drama, Thesenfilm und Actionstreifen. Die gefeierte Regisseurin von Filmen wie Point Break, Blue Steel oder Strange Days liefert eine rohe, zuweilen ungemütliche Interpretation einer einzelnen Facette des Krieges. Eine Oscarnomination für "Bester Film" wäre alles andere als eine Überraschung.

Eingeführt wird The Hurt Locker mit einem Zitat von Chris Hedges, seines Zeichens Korrespondent der New York Times und Autor des Bestsellers War Is a Force That Gives Us Meaning. "The rush of battle is a potent and often lethal addiction, for war is a drug.", heisst es zu Beginn des Films. Und diese Aussage ist Programm. Die ganze Sache trägt immer wieder Züge eines Horrortrips. Aber nicht auf unangenehm-verquere Weise wie in Terry Gilliams überdrehter Sci-Fi-Distopie-Satire Brazil, sondern auf eine eloquente, cineastisch höchst elegante Weise. Zu verdanken ist diese Art des Erzählens unter anderem Mark Boal, dem Drehbuchautor, der schon mit Paul Haggis zusammen das Skript zu In the Valley of Elah verfasst hat. Boal hat im Irak Erfahrungen aus erster Hand sammeln können, da er dort als Journalist gemeinsam mit einem Bombenentschärfungstrupp, wie er auch in The Hurt Locker beschrieben wird, unterwegs war. Seine Erlebnisse und die Aussagen der Soldaten arbeitete er akribisch ins Drehbuch hinein. So überrascht es nicht, dass The Hurt Locker stellenweise gnadenlos echt wirkt. Doch auch die satirische Note kommt keineswegs zu kurz. Etwa wenn der neue GI im EOD (Explosive Ordnance Disposal) fragt, weshalb das Camp nicht mehr Camp Liberty, sondern Camp Victory heisst, und Sergeant J.T. Sanborn ihm antwortet, dass Camp Victory ermutigender klinge - dem Zuschauer bleibt das Lächeln da irgendwie im Halse stecken. Das muss die Lakonie sein, die man bekommt, wenn man zu lange im Krieg ist. Mark Boal muss es schliesslich wissen. Und er vermittelt diese Lakonie, die, zumindest im Falle der Hauptfigur, William James, schon fast an bedingungslose Selbstaufgabe grenzt, schmerzhaft realistisch. Der einzige Vorwurf, der Boal gemacht werden könnte, ist das etwas übertriebene Vertrauen ins eigene Talent. So wirkt The Hurt Locker an einigen Stellen doch etwas aufgesetzt, beispielsweise die ganze Beziehung zwischen William James und dem kleinen irakischen Jungen, den wir nur als "Beckham" kennenlernen (er spielt für sein Leben gern Fussball) - ein starker Kontrast zum ansonsten vorherrschenden Realismus.

Aber ein gutes Drehbuch garantiert bekanntermassen noch keinen guten Film. Ebenso wichtig ist die Schauspielleistung. Stars hat The Hurt Locker nur in den Nebenrollen zu bieten. Ralph Fiennes gibt sich als britischer Soldat die Ehre, während Guy Pearce in den amerikanischen Kampfanzug geschlüpft ist. In weiteren Rollen sind auch noch David Morse und Christian Camargo zu sehen. In der Hauptrolle glänzt Jeremy Renner, der Staff Sergeant William James die nötige Tiefe verleiht. Sein William James ist nicht die klischeehafte Kampfmaschine, vielmehr lebt er die Auffassung, dass der Krieg eine Droge ist. Er mag seine lebensgefährliche Arbeit und ist schlichtweg zu begeisterungsfähig, als dass er merken würde, wie er andere in Gefahr bringt. Gleichzeitig ist er aber auch ein durchaus verletzlicher und schuldbewusster Mensch, dessen Trophären ihn nicht davon ablenken können, dass er dem Krieg hoffnungslos verfallen ist. An seiner Seite überzeugen Brian Geraghty und vor allem Anthony Mackie als Bombenspezialisten. Mackies Monolog gegen Ende des Films ist in jeder Hinsicht berührend und zeigt besser als jede Explosion den Horror des Krieges auf.

Apropos Explosion: Dem Team, welches Bigelow mit den nötigen Spezialeffekten versorgt hat, gebührt ein dickes Lob. Die Minenexplosionen sind frei von jeglicher Pyromanie, sondern beschränken sich in erster Linie auf Schall und Rauch. Und das ist im Endeffekt viel kraftvoller als grosse Feuerwerke. Actionfilm ja, aber ein mit professioneller Hand geführter.

Ebenso beeindruckend ist die Kameraarbeit von Barry Ackroyd, der von Looking for Eric bis United 93 schon Filme fast jeden Genres bebildert hat. Seine Bilder sind roh, aber, wie der Film selbst, nicht ohne Eleganz.

Bleibt eigentlich nur noch die Interpretation des Titels. Sieht man sich The Hurt Locker an, dann dürfte der Fall nach dem mit 131 Minuten etwas lang geratenen Film klar sein. Wer sich mit Pirates of the Caribbean auskennt, sollte mit "Davey Jones' Locker " vertraut sein. Es handelt sich um die See, die alles verschlingt, was sie zu fassen bekommt. Und in Kathryn Bigelows Film? Es ist der Irak, in welchem immer noch Kinder als Bomben missbraucht werden, Familienväter bedroht werden, damit sie sich den Bombengurt umschnallen, und in dem jeder Soldat nach und nach im eigenen Schmerz ertrinkt - wie Sergeant J.T Sanborn, der zwei Tage vor der Heimkehr quasi zusammenbricht.

Wieder einmal hat Kathryn Bigelow ihrem Namen alle Ehre gemacht. The Hurt Locker ist ein realistisches und streckenweise beklemmendes Stück Spannungsfilm, welches seine Wirkung überhaupt nicht verfehlt. Wer Apocalypse Now als den definierenden Film zum Vietnamkrieg interpretiert, der sollte auch The Hurt Locker als die ultimative Verarbeitung des Irakkriegs, eines seit sechs Jahren andauernden amerikanischen Traumas, ansehen. Die Oscarnominationen für Bigelows Film dürften mehr als nur im Bereich des Möglichen liegen. Ob eine Goldstatuette für "Bester Film" angezeigt ist, mag bezweifelt werden, doch es wäre der Academy problemlos zuzutrauen, wieder einmal einen bitteren Kriegsfilm als Film des Jahres auszuzeichnen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen