Montag, 24. November 2014

Diplomatie

Wo soll die Betonung liegen, wenn man über Volker Schlöndorffs neuesten Film spricht? Sagt man "Di-plomatie" und verweist auf den Schauplatz Paris und Cyril Gélys gleichnamiges französischsprachiges Theaterstück, das die Basis von seinem und Schlöndorffs Drehbuch bildet? Oder zieht man "Diploma-tie" vor, vielleicht aufgrund der Nationalität des Regisseurs, oder weil die deutsche Sprache besser ohne Artikel auskommt als die französische?

Egal, welche Antwort man für die richtige halten mag, darüber zu reden lohnt sich allemal. Denn Diplomatie ist neben vielem anderen auch eine Verneigung vor der Titel gebenden Institution selbst, dem Glauben, dass alles diskutiert werden kann, dass auf dem diplomatischen Weg auch unter widrigsten Umständen eine gangbare Lösung, ein Kompromiss zum Wohle der Allgemeinheit gefunden werden kann. Dieser kann auf Umwegen und krummen Pfaden, dank Zufällen und kleinen Fügungen des Schicksals zu Stande gekommen sein; doch solange die Menschen miteinander reden, besteht Hoffnung.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein zur Legende gewordenes Gespräch, das in der Nacht vom 24. auf den 25. August im Pariser Grand Hôtel Meurice zwischen dem schwedischen Konsul Raoul Nordling (André Dussollier) und dem Wehrmacht-General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) stattgefunden haben soll. Von Choltitz, konfrontiert mit der übermächtigen Alliierten-Armee, welche auf das besetzte Paris zumarschiert, hat Befehl, die Metropole komplett zu zerstören, sollte die verbleibenden Kräfte der grossdeutschen Armee die Stellung nicht halten können. Sämtliche Brücken der Stadt sind vermint und bereit, gesprengt werden, ebenso Notre Dame, das Opernhaus, der Louvre, der Triumphbogen, der Eiffelturm. Nordling, ein gebürtiger Pariser, schleicht sich durch einen Geheimgang in von Choltitz' Suite, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen.

Wenige andere Ereignisse des Zweiten Weltkriegs haben sich als so mysteriös erwiesen wie die Nicht-Zerstörung von Paris – nicht weil Zweifel darüber bestehen, wie es dazu gekommen ist, sondern weil die Rettung der modernen europäischen Kulturstadt schlechthin mehr oder minder auf von Choltitz allein zurückzuführen ist. Von seiner Entlassung aus alliierter Kriegsgefangenschaft 1947 bis zu seinem Tod 1966 hielt er daran fest, die Entscheidung, die Stadt zu verschonen, habe er sowohl aus militärischen Gründen (auch in den Trümmern verschanzte Wehrmacht-Truppen hätten die Alliierten nicht aufgehalten) als auch aus menschlichen (Sorge um die Zivilbevölkerung und Rücksicht auf die kulturgeschichtliche Bedeutung von Paris) getroffen. Zweifel an dieser Version werden wohl nicht zuletzt deshalb nie verstummen, weil zu einem früheren Zeitpunkt während des Krieges unter von Choltitz' Kommando im ukrainischen Sewastopol Tausende von Juden hingerichtet wurden. 

Kriegsbrüder: Konsul Raoul Nordling (André Dussollier, rechts) will den Wehrmacht-General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) davon abbringen, Paris zu zerstören.
© JMH
Nordlings Rolle in der Rettung von Paris ist bis heute umstritten; historisch verbrieft ist sein nächtliches Gespräch mit dem General nicht. Doch Schlöndorff, wie schon René Clément im Befreiungs-Kriegsepos Paris brûle-t-il? (Gert Fröbe als von Choltitz, Orson Welles als Nordling), lässt sich in Diplomatie von der Legende leiten, verzichtet aber weit gehend auf Cléments umfassende Perspektive. Abgesehen von einigen notwendigen Eingriffen von Choltitz' Adjudanten, bleibt das Duo von Choltitz und Nordling das Herzstück seines Films. Diese liefern sich im Pariser Morgengrauen ein packendes, nuanciertes Rededuell, in dem der Preis einer Kapitulation – die Verhaftung von Choltitz' und seiner dem Sippenhaft-Gesetz unterworfenen Familie in Baden-Baden – mit dem Verlust Abertausender von Menschenleben sowie eines unwiederbringlichen Kulturschatzes abgewogen wird.

Nicht nur glänzt Diplomatie durch sein im allerbesten Sinne theaterhaftes Drehbuch, in dem die Poesie von Gélys Stück erhalten geblieben ist ("Generäle haben oft die Möglichkeit, etwas zu zerstören, aber nur selten die Chance, etwas zu errichten"). Arestrup und Dussollier debattieren mit der Verve und der Eingespieltheit jener Schauspieler, welche bereits das Vergnügen hatten, den Stoff monatelang auf einer Pariser Bühne zu spielen. Die Zwei sind augenscheinlich innigst mit ihrer jeweiligen Figur vertraut, leuchten doch beide ihre Rollen mit all ihren Geheimnissen, Vorbehalten und unausgesprochenen Motivationen hervorragend aus, ohne je allzu viel davon Preis geben zu müssen. 

Diplomatie ist ein Gemeinschaftseffort, die Summe der herausragenden Beiträge von Schlöndorff, Gély, Arestrup und Dussollier – ein minimalistisches Kammerspiel über die menschliche Komponente des Krieges, die Schattierungen in der Riege der "Kriegstreiber" und die Hoffnung des diplomatischen Lösungswegs. (Hätte jemand wie Nordling von Choltitz auch in Sewastopol von seinem Befehl abbringen können?) Wer die Sprache, jene definierende Gabe der Menschheit nutzt, wird zu einem menschlichen Ergebnis kommen, so die humanistisch-optimistische Moral dieses beeindruckenden Films.

★★★★

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