Donnerstag, 10. Januar 2013

Silver Linings Playbook

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Psychopharmaka und Besuche beim Psychologen gehören längst zum amerikanischen Alltag. In Silver Linings Playbook, einer verblüffenden Mischung aus realistischem Drama und romantischem Märchen, porträtiert David O. Russell eine hochgradig neurotische, aber eben doch auch liebenswerte US-Familie.

Nach achtmonatigem Aufenthalt wird der an einer bipolaren Störung leidende Pat Solitano (Bradley Cooper) aus der psychiatrischen Klinik entlassen und zieht wieder bei seinen Eltern (Robert De Niro, Jacki Weaver) ein. Mit kindlichem Optimismus versucht er, seine Frau zurückzugewinnen, obwohl er sie bei ihrem letzten Treffen mit einem anderen Mann erwischt hat und er diesen daraufhin halb tot geprügelt hat. Er glaubt fest daran, die Versöhnung mit seiner geliebten Nikki sei für ihn der berühmte Silberstreif an seinem Horizont. Sehr gelegen kommt ihm dabei ein Abendessen bei Freunden, wo er Tiffany (Jennifer Lawrence) kennenlernt, die Schwester einer Freundin Nikkis. Auch Tiffany hat psychische Probleme – der Tod ihres Mannes trieb sie dazu, sich in viele kleine Affären zu flüchten –, die sie zu überwinden versucht. Die beiden treffen eine Übereinkunft: Wenn er mit Tiffany zu einem Tanzwettbewerb antritt, kontaktiert sie Nikki.

Die Gebrüder Bob und Harvey Weinstein gehören zu den letzten grossen Produzenten-Mogulen Hollywoods, jener aussterbenden Rasse von mächtigen Bossen, die im goldenen Zeitalter der Industrie das Tagesgeschäft lenkten und in der Academy über enormen Einfluss verfügten. Startet gegen Ende des Jahres ein Film mit dem Signet der Weinstein Company in den amerikanischen Kinos, dann handelt es sich unweigerlich um einen hoffnungsvollen Oscar-Kandidaten. Dazu gehört auch Silver Linings Playbook, der – passenderweise – stellenweise selbst wie ein Stück altes Hollywood anmutet, ein Überbleibsel aus den Tagen Lubitschs, Capras und Wilders.

Bipolar und depressiv: Pat (Bradley Cooper) trifft erstmals auf Tiffany (Jennifer Lawrence).
Es ist allerdings eine seltsame Mixtur, die David O. Russell (Three Kings, The Fighter) uns hier einschenkt. Grundsätzlich fusst der Film im unmittelbaren, naturalistischen Stil, der seinen Regisseur auszeichnet: Die virtuose Handkamera ist stets in Bewegung, sie umkreist unentwegt die Protagonisten – alles kleine Leute aus den Vorstädten Philadelphias. Noch energischer, noch atemloser, noch aufregender als in The Fighter zeigen Russell und Kameramann Masanobu Takayanagi dabei den ganz normalen Wahnsinn des modernen Amerika. Die Leiden von Pat und Tiffany mögen behandelt werden, doch eigentlich würden alle Beteiligten von einer Sitzung bei Dr. Patel (Anupam Kher) profitieren: Pat Sr. (herausragend: Robert De Niro) ist abergläubisch, zwangsgestört und verwettet seine ganzen Ersparnisse auf den Sieg seiner Footballmannschaft; Pats bester Freund bewältigt seinen Alltagsfrust, indem er seine Garage demoliert; das Misstrauen von Tiffanys Familie trägt nachgerade unheimliche Züge.

Doch Russell inszeniert dieses Chaos an Neurosen und Störungen mit unbeirrtem, hochgradig ansteckendem Optimismus. Letztlich ist Silver Linings Playbook nämlich ein wunderschöner Liebesfilm, der sogar Billy Wilder mit Stolz erfüllt hätte. Bradley Cooper und die glänzende Jennifer Lawrence, die, wie einst Shirley MacLaine im Wilder-Klassiker The Apartment, in jeder ihrer Szenen die Leinwand erhellt, harmonieren prächtig miteinander: Pats und Tiffanys Beziehung kulminiert in einem wahrhaft märchenhaften Finale. Die Beiden stellen den Silberstreif der Hoffnung dar, den männiglich in Zeiten von Krise, Rezession und Existenzangst bestens brauchen kann.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen