Donnerstag, 26. Juli 2012

Hasta la vista

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Es ist eine oft verdrängte Tatsache, dass auch Menschen mit körperlichen Behinderungen das Bedürfnis nach Sex verspüren. In seinem tragikomischen Roadmovie Hasta la vista greift Geoffrey Enthoven dieses heikle Thema auf und liefert einen wichtigen Beitrag zur Integration Behinderter.

Ein Blinder, ein Tetraplegiker und ein Krebskranker... Was sich anhört, wie der Beginn eines zynischen Witzes, ist die Prämisse von Hasta la vista. Der vom Hals an abwärts gelähmte Philip (Robrecht Vanden Thoren) hat einen Traum: Er will Sex. Und er hat eine klare Vorstellung, wie er das bewerkstelligen will: Ein Freund hat ihm von einem Bordell erzählt, das sich auf eine körperlicht handicapierte Klientel spezialisiert hat. Zwar liegt das rollstuhlgängige Freudenhaus in Spanien, doch davon lässt sich der junge Mann nicht beirren. Mit seinen besten Freunden, dem fast blinden Jozef (Tom Audenaert) und dem wegen eines unheilbaren Hirntumors an den Rollstuhl gefesselten Lars (Gilles De Schrijver), will er die Reise wagen. Ein Pfleger wird als Begleitperson gefunden, den Eltern wird die Lüge von einer Weintour aufgetischt. Kurz vor der Abreise jedoch verschlechtert sich Lars' Zustand, weshalb dessen Eltern ihm die Fahrt verbieten. Doch Philip und Jozef lassen ihren Freund nicht im Stich: Sie helfen Lars dabei, im Geheimen Vorbereitungen zu treffen; mit der burschikosen Claude (Isabelle de Hertogh) wird eine neue Pflegerin gefunden. Die Fahrt gen Süden kann beginnen.

Obwohl Hasta la vista, trotz seiner Thematik, nicht viel mit dem französischen Hit Intouchables verbindet, dürfte auch die belgische Dramödie dem allzu empfindlichen Kinogänger Mühe bereiten. Das Autorentrio Pierre De Clercq, Mariano Vanhoof und Asta Philpot zeigt keinerlei Berührungsängste mit Humor der deftigeren Sorte und schreckt auch vor unverblümten Behindertenwitzen nicht zurück – so etwa Lars' Bemerkung, als er während einer Nacht im Zelt Philip mit einem Camper vergleicht, der kürzlich von einem Bären verschleppt und ohne Arme und Beine aufgefunden wurde: "Bei dir würde das ja keinen grossen Unterschied machen". Dem Film ist es ein grosses Anliegen, Leute wie Philip, Lars und Jozef als normale Menschen mit normalen Wünschen und Bedürfnissen, aber auch Fehlern und unsympathischen Seiten zu verstehen. So gehen Humor und Ernsthaftigkeit oft Hand in Hand: Als Flamen mokieren sich die Hauptfiguren über Holländer und Wallonen und ziehen auf übelste Art und Weise über Claude her, die ihrerseits schwer an ihrer eigenen "Behinderung" – ihrer Vergangenheit – zu tragen hat.

Lars (Gilles De Schrijver, links), Jozef (Tom Audenaert, Mitte) und Philip (Robrecht Vanden Thoren) warten auf den Bus, der sie ins spanische Bordell bringen soll.
Die grösste Stärke des vielleicht etwas allzu formelhaften Films ist sein ungleiches, aber letztlich überaus sympathisches Hauptdarsteller-Ensemble, welches mehrfach an das famose Duo Josef Hader/Alfred Dorfer in Paul Harathers Indien erinnert. Gilles De Schrijvers Lars, von seinem näher rückenden Tod deprimiert und verunsichert, kann einige exzellente Szenen für sich verbuchen, insbesondere seine wenigen, dafür umso traurigeren, Gespräche mit seiner jüngeren Schwester Yoni (Kimke Desart). Tom Audenaert und Isabelle de Hertogh fungieren als ruhende Pole zwischen Lars und dem draufgängerischen Philip. Dieser wird seinerseits von Robrecht Vanden Thoren grossartig dargestellt; Thoren, obgleich nur stimmlich und mimisch agierend, blüht in seiner Rolle förmlich auf und verleiht ihr eine ungeahnte Dynamik. Seine Darbietung fasst Hasta la vista trefflich zusammen: Wir mögen behindert sein, aber wir sind Menschen – im Guten wie im Schlechten.

★★★★

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