Mittwoch, 25. Juli 2012

The Lorax

Das Werk des legendären Kinderbuchautors Theodor Geisel, besser bekannt unter dem Pseudonym Dr. Seuss, umfasst mehr als 60 Bücher, von denen einige über die Jahre Kultstatus erreicht haben, etwa Horton Hears a Who, How the Grinch Stole Christmas!, The Cat in the Hat oder Yertle the Turtle. Eine seiner weniger bekannten, dafür umso umstritteneren Publikationen erschien 1971. In The Lorax prangert der grosse Erzähler die Gier von Konzernen und deren rücksichtslose Umweltverschmutzung an – parallel zur sich während der Siebzigerjahre langsam formierenden Naturschutzbewegung. Eine der Reaktionen auf die 45-seitige Geschichte war eine Gegendarstellung in Buchform, herausgegeben von der nationalen Interessengemeinschaft der Parkettboden-Hersteller, welche ihrerseits für ihre laxe Haltung gegenüber bedrohten Arten und ihre plumpe Art der Propaganda kritisiert wurde. Insofern hat die neue, computeranimierte Adaption von The Lorax mehr mit dieser Version als mit Geisels originaler Vision gemeinsam.

Thneedville ist eine herrliche Stadt: Alles besteht aus Kunststoff, die Bäume lassen sich per Fernbedienung steuern, die Skipiste liegt gleich neben dem Badestrand und frische Luft kann vom mächtigen Geschäftsmann O'Hare (Stimme: Rob Riggle) gekauft werden. Einzig der junge Ted (Zac Efron) findet nur begrenzt Gefallen an all den technischen Annehmlichkeiten. Seit ihm die hübsche Audrey (Taylor Swift) gesagt hat, dass sie denjenigen, der in ihrem Garten einen echten Baum pflanzt, sofort heiraten würde, ist er fieberhaft auf der Suche nach einer Möglichkeit, ihren Wunsch wahr werden zu lassen. Seine Grossmutter (Betty White) erzählt ihm deshalb die Geschichte des Once-lers (Ed Helms), der ausserhalb der hohen Stadtmauern wohnt und offenbar alles über Bäume weiss. Also macht sich Ted auf zum geheimnisvollen Einsiedler, dessen Haus mitten in einer schmutzigen, baumlosen Einöde steht, und lässt sich erläutern, wie es dazu kommen konnte. Einst war der Once-ler nämlich ein aufstrebender Geschäftsmann, der im nun brach liegenden Tal ein spezielles Produkt – den "Thneed" – herstellen wollte. Als er den ersten Truffula-Baum fällte, erschien der Lorax (Original- und deutsche Synchronstimme: Danny DeVito), ein orangefarbenes, schnauzbärtiges Wesen, das für die Bäume spricht. Derweil ist O'Hare Ted bereits auf den Fersen, da das Pflanzen von Bäumen das Luftgeschäft des Trillionärs unnötig machen würde.

Rettet den Samen! Ted (Stimme: Zac Efron) und Audrey (Taylor Swift) wollen einen echten Baum pflanzen.
Wenn auf das Motiv und die Aussage von Dr. Seuss' Geschichte eingegangen wird, wird oft das 22-minütige TV-Special aus dem Jahr 1972 als eine Art Begleitwerk erwähnt. Der Kurzfilm verfeinert die politische Komponente der Erzählung mit Montagen, Liedern und einigen wichtigen Dialogen zwischen dem Lorax und dem Once-ler. Berühmt geworden ist dabei sicherlich das Argument des Magnaten, ohne seine Thneed-Fabrik würden hunderte Menschen arbeitslos, woraufhin der kleine Baumbeschützer zugibt, dass dies ein Problem sei und auch er nicht wisse, wie es zu lösen ist. Dem Fernsehtrickfilm ist es gelungen, die umweltbewusste Botschaft des Originals beizubehalten, die Debatte aber eingehender und realistischer anzugehen; nicht der Fortschritt an sich hinterlässt den Schaden, sondern zu viel unbedachter Fortschritt in zu kurzer Zeit. Nun, 40 Jahre später, sind Umweltthemen wie Artensterben, Verschmutzung und globale Erwärmung – allesamt oft politisch unterstützt – aktueller denn je und verdienen es, einem kindlichen Publikum näher gebracht zu werden.

Doch die von Chris Renaud (Despicable Me) und Kyle Balda (Animationstechniker bei A Bug's Life, Toy Story 2 und Monsters, Inc. sowie beim Videospiel-Klassiker Day of the Tentacle) inszenierte und von Cinco Paul und Ken Daurio geschriebene, starbesetzte CGI-Verfilmung gibt sich anscheinend nicht die geringste Mühe, Geisels Sinn und Geist wiederzugeben. The Lorax ist auf seine Art ein anschauliches Beispiel für den sprichwörtlichen Hollywood-Zynismus, für die Ideale, die angesichts der Möglichkeit schnellen Geldes allzu rasch über den Haufen geworfen werden – und damit ist nicht nur die veritable Flut an Werbeverträgen gemeint, von Waffel-Restaurants bis Geländewagen, welche die Produzenten im Vorfeld abschlossen. Renaud und Balda verfolgen in ihrer Adaption eine einfache Botschaft: Bäume sind cool. Die Balance zwischen wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Fortschritt und dem Respekt vor der bedrohten Natur, die Rolle des Menschen in seiner Umwelt, das Plädieren für Nachhaltigkeit, das Warnen vor Ignoranz gegenüber den Fehlern der Vergangenheit – alle diese Motive werden so entweder im Quellenmaterial angesprochen oder sie liessen sich zumindest daraus ableiten. Stattdessen werden sie hier vereinfacht, eingestampft und auf eine simple, weltfremde Parole reduziert, deren pädagogischer Wert vernachlässigbar ist und die nicht der geringsten kritischen Analyse standzuhalten vermag.

Der junge Once-ler (Ed Helms) fällt die Truffula-Bäume, um seine Thneeds herzustellen.
Bäume sind cool. Nicht schön, eindrucksvoll oder etwa wichtig. Sie sind cool. Der einzige Grund, weshalb Ted die Reise zum Once-ler auf sich nimmt, ist Audrey. Dadurch verliert der Film jegliche dramatische Spannung, vor allem als Ted den letzten Truffula-Samen ohne grössere Probleme erhält und damit Audreys Herz gewinnt. Der finalen Verfolgungsjagd durch Thneedville fehlt ein konkreter Zweck, ein Beleg für ihre Wichtigkeit. Die Stadt ist in keinster Weise auf echte Bäume angewiesen; die frische Luft, sprich der Sauerstoff, des bösen O'Hare – eine neu kreierte Figur, die auf eine Dystopie in einem Comic von Carl Barks zurückzugehen scheint – geht nicht zur Neige; und die beiden jungen Protagonisten sind bereits ein Paar. Niemand würde verlieren, wenn Thneedville weiterhin ohne echtes Blattwerk auskommen müsste; es wird nicht erklärt, warum es im Kontext des Film-Universums so essentiell wäre.

The Lorax ist kein ethisches Plädoyer für einen sorgsamen Umgang mit Flora und Fauna; er ist ein lautes, buntes, leicht vermarktbares, uninspiriertes Spektakel für Kinder mit einer besonders kurzen Aufmerksamkeitsspanne, das allem Anschein nach nicht an seine eigene, im Grunde gut gemeinte, aber letztlich sinnlose Botschaft glaubt. Die ursprüngliche Geschichte wird abgekürzt; die "Charakterentwicklungen" spielen sich in Nebensätzen ab; der Lorax wird zum unsympathischen Verfremdungseffekt degradiert; der Streifen wird mit peinlichen Musiknummern, einer unnötigen, oberflächlich behandelten Liebesgeschichte und unlustigen Running Gags auf Spielfilmlänge gestreckt; die Figuren sind eindimensional, langweilig und werden, im Falle der Tiere, die der Lorax beschützt, ihrer originalen Bestimmung beraubt; nach thematischer Subtilität sucht man vergebens – Erinnerungen an ein gewisses Büchlein der Parkettboden-Industrie werden wach.

"I'm the Lorax, and I speak for the trees!" – Der Lorax (Danny DeVito) will die Zerstörung des Waldes verhindern.
Gute politische Absichten generieren nicht zwangsläufig gute Filme, besonders wenn die vermittelte Botschaft, wie bei The Lorax, praktisch bedeutungslos ist. Bäume mögen cool sein, doch dadurch lassen sich Kinder nicht überzeugen, Rücksicht auf die Natur zu nehmen, auch weil Massenkonsum und Umweltverschmutzung weitaus dringendere und vom Einzelnen einfacher zu bekämpfende Probleme sind. The Lorax ist ein zynischer, einfallsloser und vollkommen überflüssiger Film, der nicht nur bereits als Fernsehspecial existiert, sondern auch als herausragendes animiertes Kinoabenteuer für Kinder und Erwachsene. Sein Name? WALL-E.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen