Samstag, 1. Dezember 2018

First Man

Am 20. Juli 1969 betrat der NASA-Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Nicht lange nach seiner Rückkehr zur Erde wurde er von Vertretern beider grosser amerikanischer Parteien angefragt, ob er eine politische Karriere in Betracht zöge. Er lehnte entschieden ab.

First Man, der Verfilmung von James R. Hansens gleichnamiger Armstrong-Biografie, widerfuhr im Zuge ihres US-Kinostarts ein ähnliches Schicksal. Erst beschwerten sich konservative Kommentatoren über angeblich fehlende amerikanische Flaggen und unzulänglichen Patriotismus seitens der Filmcrew, woraufhin einige Exponenten von links, allen voran der streitlustige New Yorker-Kritiker Richard Brody, den Film aufgrund seiner Darstellung von Geschichte als "versehentliches rechtes Fetischobjekt" brandmarkten.

Beide Vorwürfe zielen meilenweit am Film vorbei. First Man mag nicht die beste Arbeit von Oscargewinner und Regie-Wunderkind Damien Chazelle (Whiplash, La La Land) sein – dazu ist das Ganze etwas zu lang und uneinheitlich –, wohl aber seine emotional komplexeste. Was das Publikum hier erwartet, ist mindestens ebenso sehr eine Charakterstudie über Einsamkeit, Trauma und Desillusionierung wie eine historische Abhandlung über den steinigen Weg zum Mond.

Obwohl sich Chazelle und Drehbuchautor Josh Singer (Spotlight, The Post) pflichtbewusst von NASA-Projekt zu NASA-Projekt arbeiten, die zum Erfolg des bahnbrechenden Apollo-11-Fluges im Sommer 1969 nötig waren, bleibt ihre Handlung durchgehend in der Figur Neil Armstrong verankert. Gespielt wird dieser von einem herausragenden Ryan Gosling, dessen Schlafwandler-Persona – perfektioniert in Filmen wie Drive (2011), The Place Beyond the Pines (2012), Only God Forgives (2013) und Blade Runner 2049 (2017) – wie geschaffen scheint für den schweigsamen, enigmatischen, eben nur scheinbar gefühlskalten Stoiker, der sich in der Rolle des amerikanischen Helden niemals richtig wohlfühlte.

Viel musste passieren, bevor Neil Armstrong (Ryan Gosling) auf die Mondoberfläche geschickt werden konnte.
© Universal Pictures International Switzerland
Mit seinem minimalistischen Spiel vermittelt Gosling ein faszinierendes, zunehmend aber auch beklemmendes Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht, von einem haltlosen Leben in konstanter Schwerelosigkeit. 1962 stirbt Armstrongs Tochter Karen im Alter von zwei Jahren an einem Hirntumor, was sein Familienleben, insbesondere die Beziehung zu seiner Ehefrau Janet (die starke Claire Foy), zu zerrütten droht. Die lange Vorbereitungsphase auf die erste bemannte Mondlandung ist gezeichnet von tödlichen Unfällen, die auch vor Armstrongs Astronautenfreunden nicht Halt machen.

First Man widersetzt sich jeglicher Form simpler Legendenbildung: Sein Held – und er ist trotz allem einer, wenn auch ein tragischer – ist kein rebellischer amerikanischer Pionier. Er ist eine im schlimmsten Fall austauschbare menschliche Resource, die es zur Ikone gebracht hat, weil sie ihre entscheidenden Missionen überlebt hat – dank Intelligenz und Einfallsreichtum, ja, aber auch dank einer gehörigen Portion Glück. Die hehren Fortschrittsträume der Raumfahrt – wie sie Ridley Scott in The Martian (2015) so mitreissend inszenierte – prallen hier auf die pragmatische, klapprige, nachdrücklich analoge Realität, ohne jedoch in den Zynismus eines Gravity (2013) zu verfallen. Den Erdball von oben zu betrachten, ist und bleibt ein lebensveränderndes Ereignis; doch es gehört auch zum Astronautendasein dazu, um anhaltende staatliche Finanzierung zu werben.

Spätestens seit dem Tod ihrer gemeinsamen Tochter herrschen Spannungen zwischen Neil und seiner Ehefrau Janet (Claire Foy).
© Universal Pictures International Switzerland
All das bildet den Hintergrund, vor dem sich Chazelles wahre "Space Odyssey" abspielt. Eine Odyssee ist bekanntermassen eine Heimkehr auf Irrwegen – eine Irrfahrt, welche die meisten Weltraumfilme nach Stanley Kubrick als Heimkehr zur Erde interpretiert haben, von Apollo 13 (1995) bis Interstellar (2014). Doch Neil Armstrong irrt in First Man nicht durchs All. Seine Aufgaben sind unmissverständlich: ein Testflug ausserhalb der Atmosphäre, ein Andockmanöver in der Erdumlaufbahn, die Reise auf die Mondoberfläche und wieder zurück. Seine Odyssee ist emotionaler Natur.

Getragen von Justin Hurwitz' grossartigem Musikscore, in dem statt orchestralem Protz sanfte Harfenklänge mit fein ineinander verwobenen Leitmotiven dominieren, erzählen Chazelle und Singer davon, wie Armstrong über sieben lange Jahre versucht, den Tod seiner Tochter zu bewältigen. Die sachlich vorgetragene, ausgezeichnet inszenierte Historie, die in First Man rekonstruiert wird, profitiert von diesem emotionalen Tiefgang, der dem Ganzen nicht nur zu einer der besten Schlussszenen der vergangenen zwei, drei Jahre verhilft: Was leicht zur trockenen biografischen Routineübung hätte werden können, ist dank der subtilen Darstellung der Spannungen innerhalb der Armstrong-Familie – Neils psychische und physische Unerreichbarkeit, Janets wachsende Frustration, die nie wirklich gelösten Konflikte ihrer beiden Söhne – eine berührende Auseinandersetzung mit der Menschlichkeit einer unfreiwillig übermenschlichen Figur.

★★★★

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