Montag, 9. Januar 2017

La La Land

"They don't make 'em like that anymore", lautet ein Satz, der im Zusammenhang mit Hollywoods Filmproduktion immer wieder gerne benutzt wird. Zum Einsatz kommt er vor allem dann, wenn sich ein neuer Film auf das klassische Hollywood bezieht, die alten Ausdrucksformen wieder belebt, sich klassischer Erzähl- und Rollenmuster bedient. Die Implikation: Alles andere ist neumodische Massenware, die binnen Monaten in Vergessenheit geraten wird, während der Klassiker-Hommage, wie ihren Vorbildern, ewige Ehrerbietung gebührt.

Es ist eine Einschätzung, die einer nostalgischen Einstellung entwächst – eine Einstellung, wie sie Sebastian Wilder (Ryan Gosling), die männliche Hauptfigur in Damien Chazelles Filmmusical und Oscarfavorit La La Land, augenscheinlich vertritt. Der erfolglose Pianist liebt den Jazz über alles; sein Traum ist es, ein dem amerikanischen Musikgenre schlechthin gewidmetes Lokal zu eröffnen. Doch gegen den eklektischen Zeitgeist scheint der Purist nicht anzukommen: Seine begehrte Ladenfläche verliert er an einen "Samba & Tapas"-Schuppen; ein alter Bekannter (John Legend) stellt eine auf Charterfolg gebürstete Jazz-Fusion-Combo auf die Beine.

Aus dem Weg, den die Figur des begnadeten Nostalgikers Sebastian in La La Land beschreitet, lassen sich durchaus problematische Schlüsse ziehen – wie es etwa Todd VanDerWerff in seinem lesenswerten Vox-Artikel tut. Immerhin ist das "They don't make 'em like that anymore"-Urteil ein tendenziell fortschrittsfeindliches, dem die Kultivierung einer tröstlich bekannten Vergangenheit wertvoller erscheint als ein möglicherweise verstörendes Experimentieren mit Neuem.

Doch die Brillanz von Chazelles Film liegt eben gerade in der Mehrdeutigkeit, die er seinem Publikum anbietet – mit der er im Grunde dem Traum seiner filmhistorischen Vorbilder näher kommt als diese es je konnten. Ja, La La Land, der offenkundig in der Gegenwart spielt, bedient die Nostalgie unverhohlen: Sebastian ist und bleibt am glücklichsten, wenn er seinen "puren" Jazz spielen kann. Mia (Emma Stone), die Warner-Bros.-Set-Barista, in die er sich verliebt, will Schauspielerin werden, wie einst Ingrid Bergman, deren gemaltes Gesicht überlebensgross ihre Schlafzimmerwand ziert.

"City of Stars": Die Träumer Sebastian (Ryan Gosling) und Mia (Emma Stone) treffen und verlieben sich in Los Angeles.
© Ascot Elite Entertainment Group
Einen ihrer ersten romantischen Abende verbringen die beiden in einer Vorführung des James-Dean-Klassikers Rebel Without a Cause, die – wie entzückend altmodisch – in einem Filmriss endet. Smartphones verzögern unablässig die Romantik. Der Film selbst beginnt in Schwarzweiss und Stummfilm-Kadrage, bevor eine Einblendung stolz "Presented in Cinemascope" verkündet und die erste Sing- und Tanznummer – das grandiose "Another Day of Sun" – verspricht, die Zuschauer in "a Technicolor world made out of music and machine" zu entführen.

Inspiriert von Musical-Meilensteinen wie Broadway Melody of 1940 (1940), Singin' in the Rain (1952), Les parapluies de Cherbourg (1964), Les demoiselles de Rochefort (1967) und anderen sowie den Grossstadtsinfonien der Zwanzigerjahre, erzählt Chazelle die bewährte Geschichte zweier Träumer, die sich im urbanen Dschungel von Los Angeles finden, verlieben und fortan das Abenteuer, sich in der Stadt der Engel durchzusetzen, gemeinsam bestreiten.

La La Land mag Sebastian die Erhaltung seiner nostalgischen Integrität ebenso gewähren wie Mia den Glauben an den amerikanischen Mädchentraum, wie man ihn aus Hollywoods goldenem Zeitalter kennt. Bei aller Fortschrittsliebe: Das Muster, richtig angewandt, sorgt für starkes Kino. Doch der Film begnügt sich nicht mit dem blossen Wiederaufgreifen der alten Strukturen, weshalb sich der dritte Langspielfilm des Whiplash-Regisseurs alles andere als dazu eignet, die "They don't make 'em like that anymore"-Plattitüde angeheftet zu bekommen.

Nostalgie versus Anpassung: Sebastian hat für das Jazz-Fusion-Projekt seines einstigen Freundes Keith (John Legend) nur wenig Sympathie übrig.
© Ascot Elite Entertainment Group
Chazelle schraubt an den Wendungen, den Motiven, den Wertvorstellungen, stellenweise auch an den Geschlechterrollen, die vor 50, 60, 70 Jahren herrschten, um seinem Film eine durchaus moderne Sensibilität zu verleihen, um ihn einer Welt anzupassen, die längst aufgehört hat, an die Verheissungen der Traumfabrik zu glauben – falls sie es denn je getan hat. Und er macht das, ohne auch nur ein Fünkchen seines romantisch-nostalgischen Charmes zu opfern. Somit ist La La Land der perfekte Hollywoodfilm: Er ehrt seine Vorgänger, er liefert dem Publikum, was es will, blickt aber gleichzeitig nach vorn und bemüht sich darum, die klassischen Versatzstücke neu einzusetzen.

Die Nahtlosigkeit dieser Kompromissbereitschaft hilft ihm letztendlich auch über die streckenweise etwas gar verknappte Plot-Entwicklung hinweg – denn auch Chazelle schafft es nicht, Figuren immun gegenüber vermeidbaren Kommunikationsproblemen zu machen. Dafür erweist er sich nach Whiplash erneut als aussergewöhnlich talentierter Stilist, der, in Zusammenarbeit mit Kameramann Linus Sandgren, in wunderschönen Blau-, Rot-, Grün- und Gelbtönen tatsächlich einen den malerischsten Ecken Los Angeles' gewidmeten "Technicolor dream" auf die Leinwand zaubert.

Vollendet wird das Ganze durch Emma Stone und Ryan Gosling, die in wahrer Filmstar-Manier Justin Hurwitz' herausragenden Stücken singend und tanzend mitreissendes Leben verleihen – von "City of Stars" über "The Fools Who Dream" bis hin zur "Epilogue"-Sequenz, die in ihrer wortlosen emotionalen Intensität noch einmal bestätigt, was in den vorangegangenen zwei Stunden aus jeder einzelnen Einstellung strömte: La La Land ist Filmmagie pur.

★★★★★

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