Samstag, 20. April 2019

Dumbo

2019 dürfte das Jahr sein, in dem die Probephase des "Disney-Live-Action-Remake"-Phänomens endgültig zu Ende geht und sich das umstrittene Format als jüngster Eckpfeiler der modernen Blockbuster-Unterhaltung erweist.

Bislang hatte Disney das nicht nötig: Der Riesenkonzern konnte mit dem "Marvel Cinematic Universe" und der aktuellen Weiterführung der Star Wars-Reihe Jahr um Jahr auf Einnahmen im zehnstelligen Bereich zählen. Doch die Marvel-Superhelden erreichen diesen Frühling im heiss erwarteten Avengers: Endgame wohl ihren Zenit – ein historischer Kinokassenrekord gilt als möglich –, während die insgesamt dritte Star Wars-Trilogie im Dezember ein Ende finden wird. Den ersten Trailer dafür gab es unlängst zu bewundern.

Doch während diese beiden Mega-Franchisen das Kinogeschehen dominierten, gewöhnte Disney das Publikum gleichzeitig an eine Welt, in der es in schöner Regelmässigkeit mit Spielfilm-Neuauflagen animierter Klassiker versorgt wird. 2015 kam Kenneth Branaghs Cinderella in die Kinos, 2016 Jon Favreaus The Jungle Book, 2017 Bill Condons Beauty and the Beast; in Maleficent (2014) und Christopher Robin (2018) wurden Sleeping Beauty (1959) respektive Disneys Winnie the Pooh-Filme weitergesponnen.

Diese Frequenz wird nun drastisch erhöht: Bis zum Jahresende stehen vier solcher Remakes auf dem Programm, drei davon – darunter Guy Ritchies Aladdin und Jon Favreaus The Lion King – im Kino, einer davon, The Lady and the Tramp, auf der brandneuen Disney-Streaming-Plattform Disney+. Den Anfang macht aber Dumbo, in dem sich Kult-Regisseur Tim Burton an einer Neuinterpretation des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1941 über den titelgebenden fliegenden Babyelefanten versucht.

Burtons letzter grossartiger Realspielfilm liegt 16 Jahre zurück. Sein Ruf, der auf atmosphärisch-exzentrischen American Gothics wie Batman (1989) und Edward Scissorhands (1990) fusst, ist nach kritischen Flops wie Alice in Wonderland (2010) und Dark Shadows (2012) arg angekratzt. Wer etwas auf Burton hält, sehnt sich schon lange nach einem vorbehaltlosen Befreiungsschlag.

Kriegsveteran und Zirkusartist Holt (Colin Farrell) und seine beiden Kinder (Finley Hobbins, Nico Parker) helfen dem fliegenden Babyelefanten Dumbo, manegebereit zu sein.
© Disney
Ausgerechnet Dumbo – einer Studio-Auftragsarbeit par excellence – mit dieser Erwartungshaltung zu begegnen, wäre vermessen. Doch leider wird hier sogar die bescheidene Hoffnung enttäuscht, ein halbwegs kompetent inszeniertes, trotz aller Seelenlosigkeit einigermassen unterhaltsames Disney-Remake im Stile von Favreaus Jungle Book vorgelegt zu bekommen.

Burtons Dumbo erweitert die simple Geschichte des Originals – Zirkuselefant lernt fliegen – zu einer bizarren Fabel über einen verwitweten Erstweltkriegsveteranen (Colin Farrell), der sich mit seinen Kindern (Finley Hobbins und Nico Parker) darum bemüht, aus dem kleinen Elefanten Dumbo, der mithilfe seiner überdimensionalen Ohren fliegen kann, eine Attraktion für den Zirkus von Max Medici (Danny DeVito – das Highlight des Films) zu machen. Doch der Erfolg lockt ausbeuterische Gier an – und zwar in Form des Unterhaltungsmagnaten V. A. Vandevere (Michael Keaton).

Dumbo macht von sich reden.
© Disney
Man kann Burton nur bedingt dafür verantwortlich machen, dass in diesem Film so gut wie nichts funktioniert. Denn abgesehen vom anregenden Design von Vandeveres Vergnügungspark – der kuriosen Antwort auf die Frage, wie das Disneyland wohl aussehen würde, wenn es von Faschisten mit einem Sinn für retrofuturistische Architektur gebaut worden wäre – sowie einer Handvoll wunderschöner Einstellungen, deutet hier wenig darauf hin, dass es sich um eine Herzensangelegenheit des Regisseurs handelt. Hier wird so viel abgespult und so wenig erzählt, dass man sich irgendwann fragen muss, wie stark Burton in diese Produktion überhaupt involviert war. (Oder, anders ausgedrückt: Wie viel Burton steckt eigentlich noch in ihm?)

Viele der Probleme entstammen dem Drehbuch, das von Ehren Kruger, einer der treibenden Kräfte hinter Michael Bays Transformers-Reihe, verfasst wurde. Es fehlt die Vision, das Konzept, das über die (haarsträubende) Idee hinausgeht, der ursprünglichen Figurenkonstellation Menschen hinzuzufügen. Es ist einer der Gründe, weshalb der Film, gerade während seiner ersten Hälfte, frustrierend inkohärent ist: Szenen und Versatzstücke werden aneinandergereiht, manche davon mit Bezug zum Original; doch eine innere Logik erschliesst sich nie.

Dumbos Erfolg erregt die Aufmerksamkeit des reichen V. A. Vandevere (Michael Keaton, links), der den Elefanten dem Zirkusdirektor Max Medici (Danny DeVito) abkaufen will.
© Disney
Die Maus, die im Disney-Klassiker Dumbos bester Freund ist, tritt als Haustier in Erscheinung, spielt aber keine bedeutende Rolle. Der berüchtigten "Pink Elephants on Parade"-Sequenz wird mit dem Kunststück die Ehre erwiesen, die psychedelische Prozession noch willkürlicher wirken zu lassen, als es im Animationsfilm der Fall war. Die Szene, in der Dumbo im Geheimen seine für gefährlich erklärte Mutter besucht – und deren Vorlage gemeinhin als traurigster Moment im Disney-Kanon gilt –, erleidet nicht Schiffbruch, weil Burtons Titelfigur ein mitunter leicht unheimliches CGI-Konstrukt ist, sondern weil ihr keine Zeit zugestanden wird, um ihre emotionale Kraft zu entfalten.

Letzterer Graben zwischen Original und Neuauflage ist symptomatisch für einen Film, der – trotz der leidlich hintersinnigen Disney-Selbstparodie, die in Vandeveres Albtraumpark betrieben wird – weder als Hommage noch als eigenständige Interpretation reüssiert. Das Jahr der Disney-Remakes hätte besser beginnen können.

★★

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