Donnerstag, 27. Juli 2017

Kritik in Kürze: "20th Century Women", "Aquarius", "Beauty and the Beast"

20th Century Women – ★★★★

Der neue Film von Beginners-Regisseur Mike Mills ist etwas irreführend betitelt: "20th Century Women" suggeriert ein Porträt von Frauen aus unterschiedlichen Generationen des 20. Jahrhunderts. Die Beschreibung mag im Kern zutreffen, berücksichtigt aber nicht, dass das Zentrum dieses Porträts ein Junge ist – eine Version des Teenagers Mike Mills.

Sein Name ist Jamie (Lucas Jade Zumann), und im Sommer 1979 beschliesst seine allein erziehende Mutter Dorothea (die grossartige Annette Bening), dass der Teenager beim Übertreten der Schwelle zum Erwachsensein Hilfe braucht. Also beauftragt sie ihre Untermieterin Abbie (Greta Gerwig) und die mit Jamie befreundete Julie (Elle Fanning), Zeit mit ihm zu verbringen und ihn auf das Leben als Mann vorzubereiten.

Wie schon Beginners ist auch 20th Century Women eine feinfühlige, eigenwillig konstruierte Tragikomödie, die weniger an einer linearen Handlung als an Figurenzeichnung und der Frage interessiert ist, wie der kulturelle Kontext die Menschen beeinflusst. Mills zitiert grosszügig – und mit bibliografischer Angabe – aus den feministischen Büchern, die Jamie auf Abbies Empfehlung hin liest. Er nimmt sich die Zeit, die Biografien von Dorothea, Abbie und Julie zu erzählen und unterlegt diese Montagesequenzen mit symbolischen Foto- und Filmeinspielern. So lernt das Publikum die Charaktere, zu denen auch der wunderbare Blue-Collar-Hippie William (Billy Crudup) gehört, sowohl mittels Mills' hervorragender Dialoge als auch durch seine collagierte Inszenierung kennen.

Obwohl 20th Century Women eher die Geschichte eines männlichen Feministen als diejenige dreier starker Frauen ist, besticht der Film als anrührende Hommage an Mutterfiguren im Allgemeinen – ob biologisch oder nicht – und an den Wert der erweiterten, selbst erwählten Familie.



Aquarius – ★★★★

Vor dem Hintergrund der politischen Krise in Brasilien, die im Sommer 2016 in der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff gipfelte, hat Kleber Mendonça Filho (Neighboring Sounds) ein subversives Drama gegen die im Land herrschende Korruption gedreht.

Clara (herausragend: Sônia Braga) ist eine pensionierte Musikjournalistin, doch von Ruhestand kann nicht die Rede sein. Sie ist die letzte Bewohnerin eines für die Abrissbirne vorgesehenen Mehrfamilienhauses gegenüber dem Strand von Recife. Um die Krebsüberlebende dazu zu bringen, die Wohnung "freiwillig" zu räumen, lassen die lokalen Immobilienhaie nichts unversucht – von Sex-Partys im Appartement über Clara bis hin zu fabrizierten Insektenplagen.

Wer nur eine ungefähre Ahnung der politischen Lage in Brasilien hat, wird von Aquarius unweigerlich mit dem Gefühl zurückgelassen, eine Vielzahl an Anspielungen und Seitenhieben schlichtweg verpasst zu haben. Gerade bei einem 140-minütigen Film kann das frustrierend sein. Doch Mendonça Filho schafft es, auch dank eines ausgezeichneten Casts, seinen Film emotional zu erden: Claras ruhiger, konsequenter Widerstand gegen die Willkür der finanziellen Oberschicht sowie ihre dadurch strapazierte Beziehung zu Freunden und Familie sind starke Motive, die einem über die vereinzelten Längen von Aquarius hinweg helfen und die den Film zu einem eindringlichen Plädoyer für Menschlichkeit und individuelle Rechte machen.



Beauty and the Beast – ★★

Hollywoods grassierendes Remake-Fieber zu beklagen, ist unter Kinogängern zu einer Lieblingsbeschäftigung geworden. Zwar ist das in einer Branche, die sich anscheinend lieber auf alte Erfolge zurück besinnt, anstatt neuen Stimmen eine Chance zu geben, nachvollziehbar. Doch allzu oft führen derartige Diskussion zu einer grundsätzlichen Ablehnung jeglicher Remakes – obschon man ohne diese Disziplin etwa auf Filme wie John Carpenters The Thing (1982), Martin Scorseses The Departed (2006) oder Joel und Ethan Coens True Grit (2010) hätte verzichten müssen.

Bill Condons Neuinterpretation des Beauty and the Beast-Stoffs, mit dem Disney 1992 eine Oscarnomination für den besten Film landete, erinnert einen jedoch daran, wie Remakes im schlechteren Fall aussehen können. Condon – mal Künstler (Gods and Monsters, Mr. Holmes), mal farbloser Auftragsfilmemacher (The Twilight Saga: Breaking Dawn) – präsentiert mit Beauty and the Beast ein Disney-Märchen ohne Fantasie, Innovation und künstlerische Distinktion – und somit ohne triftige Daseinsrechtfertigung.

Emma Watson (Harry Potter), deren Gesangseinlagen durch unüberhörbare Autotune-Effekte ins Roboterhafte "korrigiert" wurden, spielt Belle, welche die Avancen des Dorfschönlings Gaston (Filmhöhepunkt Luke Evans) ablehnt und sich in den Entführer ihres Vaters, das mysteriöse Biest (Dan Stevens) verliebt. Nach Neuem sucht man hier vergebens. Gewissen Details aus dem originalen Märchen, die im Zeichentrickfilm von 1991 übergangen wurden, wird zwar halbherzig Rechnung getragen, doch im Grossen und Ganzen bietet Beauty and the Beast weder ästhetisch noch erzählerisch einen Mehrwert gegenüber dem animierten Neoklassiker. Gastauftritte und hübsch anzusehende Sets und Kostüme täuschen darüber nicht hinweg.

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