Samstag, 18. Februar 2012

War Horse

Steven Spielberg, nicht selten als einer der besten Regisseure aller Zeiten genannt, sicher der finanziell erfolgreichste, nahm sich nach dem 2008 erschienenen, kritisch gefloppten Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull eine dreijährige Auszeit, in der er es beim Produzieren beliess. Im vergangenen Jahr erfolgte gleich ein doppeltes Comeback. Zuerst adaptierte er drei von Hergés Tintin-Geschichten im grossen Stil, gefolgt von War Horse, der für sechs Oscars nominierten Verfilmung von Michael Morpurgos Kinderbuch von 1982 und der darauf basierenden Bühnenfassung von 2007. Dieser ist nicht, wie von Morpurgo erhofft, ein "ikonischer Film über den Ersten Weltkrieg, womöglich so grossartig wie All Quiet on the Western Front", sondern vielmehr ein Lehrstück über Spielbergs grösste Schwächen und Stärken.

Im südwestenglischen Devon kommt zu Beginn der 1910er Jahre ein Fohlen zur Welt. Mit dabei bei der Geburt ist der Teenager Albert Narracott (Jeremy Irvine), der vom Neugeborenen sogleich fasziniert ist, dessen Annäherungsversuche aber von der Mutter des Tieres immer wieder gestört werden. Als das junge Vollblut später versteigert wird, bietet Alberts Vater, der arme Bauer Ted (Peter Mullan), energisch mit, nur um seinen Pächter (David Thewlis) zu übertrumpfen. Das Prachtspferd geht in den Besitz der Narracotts über, die aber eher auf einen kräftigen Ackergaul angewiesen wären. Albert übernimmt die Verantwortung dafür, seinen Schützling, den er Joey "tauft", innert eines Monats zu zähmen und ihn zum Pflügen zu bringen – andernfalls bringt seine Mutter (Emily Watson) Joey zu seinen ursprünglichen Besitzern zurück. Zwar gelingt dem Jungen nach einigen Mühen die Zähmung, doch ein Unwetter zerstört die Ernte der Narracotts. Da kommt dem vor lauter Geldnot verzweifelnden Ted der Ausbruch des Ersten Weltkrieges gerade recht: Er verkauft das Pferd an die britische Armee, wo es beim sympathischen Captain Nicholls (Tom Hiddleston) landet. Dieser gerät unter der Führung seines Vorgesetzten und Freundes, Major Jamie Stewart (der wie gewohnt erstklassige Benedict Cumberbatch), bei einem Angriff auf ein deutsches Heerlager in Frankreich in einen Hinterhalt und stirbt; Stewart wird gefangen genommen. Joey und Topthorn, das Pferd des Majors, werden derweil von den Deutschen eingefangen und begeben sich auf eine vierjährige Odyssee durch das kriegsgeschundene Europa.

Zuhause auf dem Hof: Noch sind Albert (Jeremy Irvine) und Joey glücklich vereint.
Nach diversen Filmen über den Zweiten Weltkrieg – Empire of the Sun, Schindler's List, Saving Private Ryan – wandte sich Spielberg in War Horse nun erstmals dem Ersten, dem "grossen Verlustkrieg" zu, dem brutalen Ende des imperialistischen Zeitalters. Doch anders als in den früheren Werken liegt hier der Fokus nicht auf Personen, die aufgrund des Krieges eine Veränderung durchmachen; die einzige Konstante, dem Quellenmaterial entsprechend, ist Joey, der mit seinem Kameraden Topthorn im 20-Minuten-Takt den Besitzer wechselt. Selbst Albert, die eigentliche menschliche Hauptfigur verschwindet während des ausgedehnten zweiten Aktes spurlos aus der Geschichte. Diese ist aus zahlreichen Nebenplots zusammengesetzt, die offenkundig um ein möglichst ausgeglichenes Bild vom Leben an der Westfront bemüht sind. Joey und Topthorn treffen nacheinander auf deutsche Deserteure (David Kross und Leonard Carow), einen französischen Bauern (Niels Arestrup) und dessen Enkelin sowie einen von seinem Gewissen geplagten deutschen Frontsoldaten und Pferdefreund (Nicolas Bro). Zwar gelingt es den Autoren, Richard Curtis und Lee Hall, trotz dieses Erzählstils eine gewisse Stringenz zu halten, doch vor einigen einschneidenden Problemen sind auch sie nicht gefeit. So wirkt es beispielsweise störend, dass in War Horse Vertreter jeder Nationalität Englisch sprechen und sich die Kriegsparteien nur durch ihre überzeichneten Akzente unterscheiden. Auch enden die verschiedenen Episoden teilweise recht unbefriedigend, weil vage und knapp – wenn sie denn überhaupt an ein Ende geführt und nicht halbherzig übergangen werden. Doch die grösste Schwäche des Drehbuches ist eine, die man nicht zum ersten Mal in einem Film Spielbergs vorfindet: Das Ganze leidet an kompletter Vorhersehbarkeit. Nicht nur der Ausgang der übergeordneten Geschichte ist von Anfang an offensichtlich; auch Details wie ein Geburtstagsgeschenk oder dem Tod geweihte Charaktere vermögen nicht zu überraschen.

Ein Kriegspferd: Wildfang Joey in einer englischen Kaserne.
Und dennoch – es mag paradox klingen – findet sich in War Horse auch die inszenatorische Klasse Spielbergs. Denn trotz des vorhersehbaren Plots und seiner Überlänge (150 Minuten), langweilt War Horse nicht; die Inszenierung ist stilsicher, elegant, während der Kriegsszenen sogar grandios. Tatkräftig unterstützt wird der Regisseur dabei von seinem langjährigen Mitarbeiter John Williams, dessen grossartige Musik höchstes Lob verdient, sowie von Kameramann Janusz Kamiński, der zwar die Farbstilisierung in der Tradition von Gone with the Wind in der finalen Szene masslos übertreibt, ansonsten aber mit brillanten Bildern und vorzüglicher Beleuchtung begeistert. Vom Technischen abgesehen, ist es zudem nahezu unmöglich, sich der emotionalen Komponente des Films zu entziehen. Machen sich Spielberg und seine Autoren des Kitsches, des Pathos, des Betätigens emotionaler Knöpfe, der Manipulation schuldig? Jawohl, und das immer wieder; aber das Schicksal der Protagonisten – primär jenes von Joey und Topthorn – geht trotzdem ans Herz, ob man Pferde nun mag oder nicht. Der Film bedient sich des altgedienten Prinzips der alles überdauernden Freundschaft und fährt damit ausserordentlich gut. War Horse lebt von einem den Zynismus des Zuschauers überwindenden Charme, der sich in mal humanistischen – ein Engländer und ein Deutscher befreien im verstummten, von Leichen übersäten Niemandsland ein in Stacheldraht verheddertes Pferd –, mal traurigen – Topthorns Ende –, mal triumphalen – Joeys ungebremster Galopp durch eine zerstörerische Schlacht –, immer hervorragend aufgezogenen Szenen niederschlägt.

Ob man den neuesten Kassenerfolg des Produzentenduos Spielberg/Kennedy mag oder nicht, hängt stark von der Gewichtung der einzelnen Aspekte ab. War Horse leidet an teilweise eklatanten Fehlern, schafft es aber stets, diese mit wunderschönen Aufnahmen, bewegender Musik, mitreissender Inszenierung und präzis gesetzten Gefühlsmomenten auszugleichen. Gewährt man dem Film Einlass in sein Herz, wird man feststellen, dass auch Kitsch und Pathos einen Platz darin haben – und dass es im zeitgenössischen Kino wohl keinen gibt, der daraus das Beste so effektiv herauszuholen vermag, wie Steven Spielberg.

★★★★

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