Dienstag, 7. Mai 2013

Side Effects

Seit gut zwei Jahren macht Steven Soderbergh vermehrt von sich reden. Nicht etwa aufgrund der sechs Regiearbeiten, welche er in diesem Zeitraum vorgelegt hat, sondern wegen seiner mit Nachdruck publik gemachten, erst kürzlich wieder relativierten Entscheidung, sich aus der Filmbranche zurückzuziehen und sein Leben der Malerei zu widmen. Seinen vorläufigen Abschied von der grossen Leinwand markiert der handwerklich souverän umgesetzte Psychothriller Side Effects.

In diesem greift Soderbergh ein Thema auf, das sich, wenn auch in stets variierender Form, wie ein roter Faden durch seine Filmografie zieht, vom vierfachen Oscargewinner Traffic bis zum kritisch bejubelten Spätwerk Contagion: das intime Verhältnis des Menschen zu seinen "Drugs", welche er in der Hoffnung konsumiert, sein Wohlbefinden erzwingen zu können. Als Ziel hat sich Soderbergh diesmal die Pharmaindustrie ausgesucht. Emily (Rooney Mara) wird kurz nach der Haftentlassung ihres Mannes Martin (Channing Tatum) erstmals seit Jahren wieder von einer Depression heimgesucht. Sie kann sich nicht mehr konzentrieren, sie verliert jeglichen Optimismus, sie baut absichtlich einen Autounfall. Als sie sich im Krankenhaus davon erholt, lernt sie den Psychiater Dr. Jonathan Banks (Jude Law) kennen, der ihr eine Behandlung anbietet und ihr, nach einer Besprechung mit Emilys ehemaliger Therapeutin (eine allzu offensichtlich diabolische Catherine Zeta-Jones), eine Tablette in der Testphase verschreibt. Eines Nachts ersticht die schlafwandelnde Emily jedoch Martin, woraufhin Banks vom Gericht als ihr persönlicher Berater ernannt wird und beginnt, die Nebenwirkungen des neuartigen Medikaments unter die Lupe zu nehmen.

Sollte sich Soderberghs Filmemacher-Vorruhestand als dauerhaft erweisen, dann verlöre das zeitgenössische Hollywood unzweifelhaft eine visionäre Kraft – auf dem Regiestuhl wie auch hinter der Kamera. Soderbergh, der in Side Effects einmal mehr unter dem Pseudonym Peter Andrews auch als Kameramann fungiert, propagiert einen radikal reduzierten Stil, in dem visuelle Opulenz der totalen Funktionalität geopfert wird. Wie einst im "goldenen Zeitalter" des amerikanischen Kinos hat jedes Bild einen klar zugewiesenen Platz in der Handlung; jede der lyrisch-karg vorgetragenen Einstellungen dient einem genau festgelegten Zweck. Stilistische Schnörkel wie Weichzeichner, speziell hervorgehobenes Sounddesign oder ausgefallene Aufnahmewinkel werden mit klinischer Präzision eingesetzt.

Doktor und Patient: Jonathan Banks (Jude Law) verschreibt der depressiven Emily (Rooney Mara) ein zweifelhaftes Medikament.
© Ascot Elite
Mit dieser bestechenden Schlichtheit, dieser gnadenlosen Effizienz, die immer wieder die Filme eines Robert Aldrich in Erinnerung ruft, erzählt Soderbergh eine packende Geschichte, die wohl auch das Interesse von Regisseuren wie Alfred Hitchcock oder Henri-Georges Clouzot geweckt hätte. War David O. Russells Silver Linings Playbook noch ein vergleichsweise leichtherziger Beitrag zu den mit Psychopharmaka übersättigten USA, malt Side Effects ein düsteres Porträt einer Gesellschaft, die es verlernt hat, mit schlechten Zeiten umzugehen. Antidepressiva und Betablocker gehören hier zur täglichen Diät eines durchschnittlichen New Yorkers; Freunde und Bekannte empfehlen sich gegenseitig ihre bevorzugten Medikamente; der Satz "I've struggled with depression" gehört zum Smalltalk-Standardrepertoire; die Hochfinanz regelt ihre persönlichen Wehwehchen mit Tabletten, während sie sich aus den ihr drohenden Gefängnisstrafen frei kauft. Geld und Pharmazie, so Soderbergh, sind das Öl der amerikanischen Wirtschaftsmaschine – und damit auch des amerikanischen Alltags.

Sonderlich subtil mag das Ganze zwar nicht aufgezogen sein, doch Soderberghs inszenatorischer Virtuosität ist es zu verdanken, dass Side Effects seine Spannung fast durchgehend aufrechterhalten kann. Davon profitiert auch das überraschend profane, wenngleich ungemein komplex angelegte, Schlussdrittel, in welchem sich Aldrich auf einmal in Alomdóvar zu verwandeln scheint und der kühle Psychothriller einem fast schon grotesk überkandidelten Drama Platz macht. Die bis zu diesem Zeitpunkt umsichtig gestaltete Dramaturgie wird mit homosexuellen Intrigen, aufwändigen Plänen und finsteren Machenschaften an der Wall Street überspannt und bricht schlussendlich unter dem schieren Gewicht dieser Vielzahl an Themen, Motiven und Figurenentwicklungen zusammen. Dadurch wird dieser selbst gewählte Abgesang zwar schriller und womöglich sogar einprägsamer, doch man wünschte sich, Soderbergh hätte sich mit einem Film verabschiedet, der von seinen Qualitäten nicht gerettet, sondern veredelt wird. So bleibt die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr.

★★★

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