Donnerstag, 18. Oktober 2012

Arbitrage

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Die globale Finanzkrise hält an und mit Arbitrage kommt ein weiterer cineastischer Beitrag zum Thema ins Kino. Grosse Neuerungen hat Nicholas Jareckis solides Thrillerdrama zwar nicht zu bieten, doch es überzeugt mit guten Schauspielerleistungen und klug dosierter Nostalgie.

Andere Männer verbringen ihren 60. Geburtstag im Kreise der Familie und freuen sich insgeheim schon auf den langsam in Reichweite rückenden Ruhestand. Ganz anders Robert Miller (Richard Gere), milliardenschwerer Hedge-Fund-Manager: Auch an seinem Ehrentag gönnt ihm sein Terminkalender keine Ruhe. Sitzt er nicht an seinem Schreibtisch im Privatjet, befindet er sich in Verhandlungen um den Verkauf seiner Firma. Abends lässt er sich von seiner Familie feiern, danach besucht er seine heimliche Geliebte Julie (Laetitia Casta). Doch das erfolgreiche Leben ist in akuter Gefahr: Nachdem sich Robert in Russland verspekuliert hat, klafft in seinen Finanzen ein riesiges Loch, das er mit dem Profit seines Firmenverkaufs zu stopfen gedenkt. Ein Fehltritt könnte die ganze Aktion ins Wanken bringen. Es kommt, was kommen muss: Als er mit Julie im Auto unterwegs ist, baut er einen Unfall, bei dem sie ums Leben kommt. Nun muss Robert alles daran setzen, seine Schuld zu vertuschen. Damit bringt er seine Frau Ellen (Susan Sarandon) sowie seine Tochter und Geschäftspartnerin Brooke (Brit Marling) in eine heikle Situation, welche vollends aus dem Ruder zu laufen droht, als Polizeiinspektor Bryer (Tim Roth) beginnt, dem Ex-Häftling Jimmy (Nate Parker) nachzustellen, der Robert vom Unfallort abgeholt hat.

In den vergangenen Jahren waren Irrationalität, Verlogenheit und Unbelehrbarkeit der Finanzwirtschaft schon mehrfach Stoff für erfolgreiche Filme. Charles Fergusons oscarprämierte Dokumentation Inside Job aus dem Jahr 2010 deckte kompromisslos die begangenen Fehler auf und scheute nicht davor zurück, die Namen der Verantwortlichen zu nennen. Im folgenden Jahr rekonstruierte J. C. Chandor die zum Symbol der Finanzkrise gewordenen Kollapse von Goldman Sachs, Lehman Brothers und Bear Stearns in Margin Call. Und 2012 präsentierte David Cronenberg in der enigmatischen Don-DeLillo-Adaption Cosmopolis eine radikale Abrechnung mit dem modernen Kapitalismus. Zu sagen, dass sich Arbitrage irgendwo zwischen diesen drei Filmen bewegt, wäre aber zu kurz gegriffen. Spielfilmdebütant Nicholas Jarecki vermischt Aktualitätsbezug mit Rückgriffen auf Schlüsselwerke der vor gut 25 Jahren aufgekommenen "New Economy", insbesondere auf Oliver Stones Wall Street – Robert Miller wirkt wie ein weniger zynischer Gordon Gekko – und die John-Grisham-Romane und -Verfilmungen (etwa Sydney Pollacks The Firm).

Sorgenvolle Zukunft: Hedge-Fund-Manager Robert Miller (Richard Gere) sieht sich mit grossen Problemen konfrontiert.
Bei einer derartig geballten Ladung an Einflüssen ist eigentlich nur logisch, dass Arbitrage in Ästhetik und Plot mitunter etwas antiquiert wirkt. Jareckis Botschaft ist dies aber glücklicherweise nicht abträglich; Wall Streets Teufelskreis ist unmissverständlich: Spekulationsblase reiht sich an Spekulationsblase, jedem Boom folgt eine Rezession und am Ende gewinnt immer das ominöse "eine Prozent". Die Geschichte, die um dieses Gerüst herum aufgezogen wird, besticht durch bewährte Spannungsmache, atmosphärische Inszenierung und eine Schauspieltruppe, die bis in die Nebenrollen überzeugt – grosses Lob an Nate Parker und Tim Roth – und von einem Richard Gere in Bestform angeführt wird. Nach einer mehrjährigen Durststrecke darf dieser wieder einmal sein ganzes Talent ausspielen. Gere schafft es, Robert Miller eine ungeahnte Dreidimensionalität zu verleihen, wodurch es Arbitrage gelingt, der kühlen Materie menschliches Drama zu entlocken.

★★★★

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