Sonntag, 7. September 2008

Shotgun Stories

4.5 Sterne

Es gibt ein paar Filme, die trotz ihrer Langsamkeit nicht wirklich langweilig sind. Down By Law wäre ein solcher Film, The Band's Visit ein anderer. Und nun kommt das Slow-Motion-Werk von Jeff Nichols: Shotgun Stories - ein Film, der die Langsamkeit nicht als Abstraktion verwendet, sondern gezielt auf ein Stimmungsbild aus dem kargen US-Staat Arkansas aus ist. Und obwohl der Film im Zeitlupentempo voranschleicht, obwohl einem die 95 Minuten Laufzeit wie eine Ewigkeit vorkommen, beeindruckt Nichols' Film mit hervorragenden Darstellern und einer greifbar wütenden Grundstimmung.

Fürwahr, schenkt man Shotgun Stories Glauben, dann würde man sich hüten jemals einen Fuss in den Staat Arkansas setzen - so öd, unwirtlich und gottverlassen wird der Südstaat beschrieben. Zwar werden einem die Bewohner des Staates nicht als Hinterwäldler dargestellt - dieses Bild bekamen die Kinozuschauer von Georgia in Deliverance serviert - doch die konstante Anspannung und die angestaute Wut sind ganz klar zu spüren. Ein zusätzlicher Grund, warum einem Shotgun Stories trist vorkommt, ist sicher auch die Filmart: Es wurde nämlich auf Cinemascope gesetzt - das Ultrabreitbild, in dem Leerräume vorprogrammiert sind. Der Grossmeister Sergio Leone füllte diese Räume mit Grossaufnhamen, bei Jeff Nichols bleiben sie leer - er benutzt die Filmart, um das karge Bild von Arkansas zu unterstreichen.

Doch wer lebt in einer solchen Einöde? Die Hauptakteure sind White Trash erster Güte: Sie leben in älteren Häusern, Zelten und Wohnwagen, während die Antagonisten einen relativ luxuriösen Lebensstil pflegen, der aber auch nicht über die Einsamkeit hinwegtäuschen kann. Nein, wer in diesem Teil von Arkansas lebt - die Hauptstadt Little Rock hat immerhin mehrere hunderttausend Einwohner - ist wirklich zu bemitleiden. Gespielt werden die Unglücksseligen von einem starken Cast, wo man aber - wenn man ehrlich ist - keinen Namen so richtig kennt. Michael Shannon kennt man zwar vom Sehen als Nebendarsteller in diversen Filmen (zuletzt in Before the Devil Knows You're Dead), doch wer bitteschön sind Douglas Ligon oder Barlow Jacobs? Doch diese Wissenslücke tut eigentlich nichts zur Sache, denn jetzt kennt man die Schauspieler und das ist gut so. Die Darsteller in Shotgun Stories sind eine Geschichte für sich. Besonders hervorzuheben ist sicherlich Michael Shannon, der die Hauptfigur Son mit überzeugender Intensität spielt. In mancher ruhiger Szene ist sein wütendes Atmen, sein Schnauben das einzig Hörbare. Er ist so gut wie omnipräsent und verkörpert den typischen Loser aus dem Süden sehr gewissenhaft. Kaum je kommt ein Lächeln über seine Lippen und die Rede am Grab des Filmvaters ist dermassen eindringlich, dass man das Gefühl hat, sie sei im Grunde viel zu kurz. Doch auch Douglas Ligon und Barlow Jacobs machen ihre Sache mehr als gut. Beide überzeugen in ihren Rollen und bilden mit ihren jeweils etwas traurigen oder verlorenen Gesichtsausdrücken einen gelungenen Kontrast zur zornigen Grimasse von Michael Shannon. In weiteren Nebenrollen sind Lynnsee Provence, Michael Abbott Jr., David Rhodes und Travis Smith als Gegner der drei Protagonisten zu sehen. Diese Gegner sind zwar nicht allzu häufig zu sehen, doch wenn sie an der Reihe sind, überzeugen alle restlos.

Shotgun Stories ist ein Autorenfilm und Jeff Nichols hat glücklicherweise das Talent, ein stimmiges Drehbuch zu schreiben. Zwar übertreibt er es in der ersten Hälfte vielleicht etwas mit Charakterstudien und führt den Hauptplot etwas zu spät ein, doch die vereinzelt vorkommenden und sehr kurzen Dialoge enthalten viel Zunder und behandeln bisweilen auch philosophische Ansichten über das Leben am Arsch der Welt. Obwohl die Filmlänge nur knapp 95 Minuten beträgt, lässt sich der Film sehr viel Zeit, auf die verschiedenen Figuren einzugehen und zu zeigen, wie jede einzelne Person etwas tut, um den Tag hinter sich zu bringen. Und sei es, eine inoffizielle Basketballmannschaft mit Jugendlichen zusammenzustellen oder an einem alten Wohnwagen rumzutüfteln.

Wie bereits erwähnt, kommt der Film nur schleppend in Fahrt und wird erst etwa ab der Hälfte richtig spannend. Was folgt, ist ein halbstündiger, ruhiger und dichter Showdown, welcher in ein ungewöhnliches Ende mündet, das den einen oder anderen Kinobesucher enttäuschen dürfte. Doch dieser Kinogänger würde wohl schon vorher enttäuscht werden, denn der Titel weist zwar auf einen Film à la A History of Violence hin, doch richtig gewalttätig wird es kaum je. Und wenn, dann sind keine Schrotflinten involviert.
Interessierten sei ans Herz gelegt, sich den Film mit Untertiteln anzusehen. Die Originalversion ist aufgrund des zwar moderaten, aber dennoch schwer verständlichen Südstaatenakzents sowieso Pflicht, doch die Akteure nuscheln teilweise doch ziemlich, was das Verständnis zusätzlich behindert.

Shotgun Stories ist ein bedächtiger und intensiver Film, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Massen nicht ins Kino lockt. Dennoch ist das Erstlingswerk von Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols ein gelungenes Porträt von Arkansas und seinen Bewohnern - zu denen Nichols selbst gehört - geworden. Zwar wird man nicht von Beginn an hingerissen, doch bald schon wird man sich der Tiefe und der packenden Geschichte von Shotgun Stories bewusst. Doch nach Arkansas will man nun wirklich beim besten Willen nicht ziehen - trotz überwältigender Bilder in Cinemascope.

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