Freitag, 31. Januar 2014

Philomena

Angesichts der emotionalen, von haarsträubendem Unrecht und bitteren Enttäuschungen durchsetzten Geschichte, die in Philomena erzählt wird, ist es verblüffend, dass sich die Verfilmung von Martin Sixsmiths Tatsachenbericht The Lost Child of Philomena Lee ausgerechnet durch Zurückhaltung und Balance auszeichnet. Auf einen internationalen Trailer voller Tränen und anschwellender Orchestermusik, der ein erhebendes "Inspired by true events"-Märchen versprach, folgt ein durch und durch wohl temperierter Film mit feinem Sinn für die Platzierung von heiteren und ernsteren Tönen, geschrieben von Steve Coogan und Jeff Pope und von Stephen Frears mit stiller Anmut inszeniert.

Ein Grund dafür mag der neu ausgerichtete Fokus sein, den Coogan und Pope nicht auf das eigentliche Buch Sixsmiths legen – die von ihm recherchierte Biografie des amerikanischen Polit-Anwalts Michael A. Hess, der als Kind seiner unverheirateten Mutter, der Titel gebenden Philomena Lee, entrissen wurde –, sondern auf die Reise, in deren Zug sein Buch entstanden ist. Diese beginnt, als er (gespielt von Coogan), ein ehemaliger BBC-Journalist, aus dem öffentlichen Dienst entlassen wird und sich dazu bereit erklärt, für ein Klatschmagazin eine "Geschichte aus dem Leben" über Philomena Lee (Judi Dench) und ihre Suche nach ihrem Sohn zu schreiben.

Manch einen wird der zeitgeschichtliche Hintergrund, vor dem sich Frears' Film abspielt, zu Vergleichen mit Peter Mullans The Magdalene Sisters verleiten. Denn auch Philomena ist als junge Erwachsene den "Magdalene Laundries" anheim gefallen, jenen katholischen Institutionen, in die in Irland bis ins späte 20. Jahrhundert "gefallene" Frauen eingeliefert wurden, um sich die Sünden aus dem Leib zu arbeiten; hatten sie uneheliche Kinder geboren, wurden diese zur Adoption freigegeben. Akten und Belege über diese Machenschaften wurden, das müssen Sixsmith und Lee feststellen, systematisch beseitigt, und auch die Nachfolger der verantwortlichen Priester, Nonnen und Äbtissinnen zeigen sich alles andere als bereit, darüber Auskunft zu geben.

Doch obwohl der Film durchaus auf diese Umstände hinweist – und im Abspann anführt, dass weiterhin Tausende von Frauen Philomenas Schicksal, das ihr weggenommene Kind nicht aufspüren zu können, teilen –, ist seine Haltung zum Geschehen weniger entsetzt als ausgeglichen, ausbalanciert, besonnen. Während Martin mit zunehmendem Furor die Menschen journalistisch zur Rechenschaft ziehen will, die Mutter und Sohn voneinander getrennt haben, lässt seine Begleiterin Milde walten: "I don't want to hate people, like you", sagt sie zu ihm, vergibt ihrer einstigen Peinigerin und ermutigt Martin schlussendlich dennoch, seinen Bericht zu veröffentlichen.

Ein seltsames Paar: Ex-BBC-Journalist Martin Sixsmith (Steve Coogan) hilft Philomena Lee (Judi Dench) dabei, ihren verschollenen Sohn aufzuspüren.
© Pathé Films AG
In Ansätzen widmet sich Philomena auch dem Thema der irischen Diaspora – erkennbar in den Momenten, in denen sich die Titelfigur fragt, ob ihr Sohn wohl jemals an seine Heimat dachte –, doch Frears, Coogan und Pope widmen sich hauptsächlich dem reichen Wechselspiel zwischen Philomena und Martin, das sich als überaus ergiebige Quelle sowohl für Charakterkomödie als auch für legitimes Drama erweist. Die Konstellation lebt von ihrer "Odd Couple"-Dynamik, vom Kontrast zwischen dem weltgewandten Intellektuellen und seinem ländlich-katholisch geprägten Gegenüber. Das Hauptdarsteller-Duo Dame Judi Dench und Steve Coogan harmoniert dabei prächtig miteinander.

Erstere ist es auch, die Philomena in den entscheidenden Momenten die nötige Gravitas verleiht. Ohne sichtliche Mühe schlüpft Dench in die Rolle der Philomena Lee – makelloser Dialekt mit inbegriffen – und vermag so auch dann zu überzeugen, wenn Frears kurzzeitig ins allzu offensichtlich Dramatische verfällt (was hier jedoch kaum je ein Problem darstellt); ihre Leistung in der letzten Szene allein ist eine beeindruckende Demonstration ihrer schauspielerischen Klasse. Sie ist die Krönung eines jener seltenen Filme, die sich keinen Fehltritt erlauben – und dabei keinerlei Anstrengung zu erkennen geben.

★★★★

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