Mittwoch, 20. Juni 2012

Rock of Ages

Das Musical, in Hollywoods goldenem Zeitalter eines der Industrie-Flaggschiffe, mag seine einstige Grösse eingebüsst haben, doch profitabel ist das Genre nach wie vor. Baz Luhrmans Moulin Rouge! (2001) geniesst trotz eklatanter Schwächen ein hohes Ansehen; Bill Condons Chicago (2002) gewann sechs Academy Awards, einschliesslich Bester Film – eines der umstrittensten Oscar-Jahre des neuen Jahrtausends –; und Phyllida Lloyds Mamma Mia! (2008), die Verfilmung des gleichnamigen ABBA-Musicals, spielte über 600 Millionen Dollar ein. Der neue Hit des Genres soll nun die auf Chris D'Arienzos Bühnenhommage an den Heavy Metal der Achtzigerjahre basierende musikalische Komödie Rock of Ages sein. Qualitativ bleibt Adam Shankmans Film anderen Jukebox-Singspielen treu: Viele Songs, von denen nur wenige überzeugen, durchschnittliche Gesangsleistungen, falsche Nostalgie und eine überlange Alibi-Geschichte.

Los Angeles, 1987: Die Rockmusik boomt in Form von Glam- und Hairmetal, das Mekka dieser Stilrichtung ist der bekannte Bourbon Club am Sunset Strip, der vom Alt-Rocker Dennis Dupree (Alec Baldwin) geleitet wird. Mit seinem Asssistenten und besten Freund, dem überdrehten Lonny (Russell Brand), kämpft Dennis zurzeit ums Überleben: Sein Club hat Schulden und die religiöse Rechte, allen voran Patricia Whitmore (Catherine Zeta-Jones), die Gattin des Bürgermeisters (Bryan Cranston), setzt alles daran, den Teufelsmusik-Sündenpfuhl schliessen zu lassen. Die letzte Hoffnung ist ein Konzert der legendären Rockband Arsenal mit ihrem dauerbetrunkenen Bandleader Stacee Jaxx (Tom Cruise), dem die Frauen scharenweise zu Füssen liegen – etwa die Rolling Stone-Korrespondentin Constance Sack (Malin Åkerman). Doch Dennis hat die Rechnung ohne Stacees hinterhältigen Manager Paul Gill (Paul Giamatti) gemacht. An jenem schicksalhaften Arsenal-Konzert trennen sich aufgrund eines Missverständnisses auch die Wege von Sherrie (Julianne Hough) und Drew (Diego Boneta). Sie ist erst vor kurzem von Oklahoma nach Los Angeles gezogen, um Sängerin zu werden, wo sie den ehrgeizigen Musiker Drew kennenlernte, welcher ihr sogleich eine Stelle im Bourbon Club verschaffte. Inmitten all dieser Irrungen und Wirrungen gibt es nur zwei Konstanten: die Liebe und die Rockmusik.

Man kann von Tom Cruise halten, was man will, doch es steht ausser Frage, dass er ein Schauspieler mit Format ist, einer, der auch einen mittelmässigen Film aufwerten kann und dessen Auftritte in der Regel einen positiven Eindruck hinterlassen – was wäre Tropic Thunder ohne seinen vulgär-aggressiven, Diet-Coke-schlürfenden Produzententyrannen Les Grossman? In Rock of Ages jedoch markiert Cruises Auftritt den Punkt, an dem das ganze Projekt endgültig Schiffbruch erleidet. Der plump eingeführte Stacee Jaxx wird als ultimativer Rockgott aufgebaut, als die Verkörperung des Mantras "Sex, Drugs, and Rock 'n' Roll". Trunkenheit, Groupies im Überfluss und chronische Verspätung – diese führt zu einem der gelungeneren Witze – sind das Eine, satanistische Rituale, denen auch hie und da ein Konzerttermin zum Opfer fällt, das Andere. Doch als Stacee die Bildfläche endlich betritt – er entsteigt einem Gewirr aus Frauenkörpern –, steht da ein behäbiger, sich in seiner Rolle als Ikone offensichtlich zu sehr gefallender Tom Cruise. Seine im Vorfeld gross angekündigte Darbietung hat in etwa die Wirkung eines Beruhigungsmittels; jede Szene, in der Stacee figuriert, scheint sich in Zeitlupe abzuspielen; es fehlt jegliche Energie. Diese Langeweile ist aber nicht durch sein Dasein als abgehalfterter Star bedingt; das Gefühl bleibt auch nach seiner "Läuterung" bestehen. Dass Cruise darüber hinaus noch äusserst dürftig singt, hilft seiner Überzeugungskraft ebenso wenig.

Vom Rock Getriebene: Clubbesitzer Dennis (Alec Baldwin, rechts) und Lonny (Russell Brand, links) mit dem Landei Sherrie (Julianne Hough) und ihrem neuen Freund Drew (Diego Boneta).
Allerdings steht zu bezweifeln, dass Rock of Ages ohne Cruises Stacee bedeutend besser gewesen wäre. Obwohl mit seinem Auftritt die Geschichte abflacht und sich zunehmend in abgedroschenen Klischee-Situationen erschöpft, ist sie ohnehin Nebensache, was in einem 123-minütigen Film besonders schwer wiegt. Die Prämisse ist eine weitere Variation von A Star Is Born – bis hin zur die weibliche Hauptfigur ermutigenden Verwandten aus der Provinz – und ist für Adam Shankmans Mission, möglichst viele "klassische" Rocksongs spielen zu lassen, nicht weiter wichtig. Selten erreicht ein Gesangsintermezzo sein Ziel, das Publikum mitzureissen. Journeys "Any Way You Want It" steht als einsamer Höhepunkt in einem Sumpf von Nummern, von denen nur einige wenige sich qualitativ dezent abheben, die meisten aber wirkungslos vorbeiziehen. Dabei stört nicht nur die schiere Anzahl – jeder längere Dialog mündet in eine Musicaleinlage –, sondern auch die unglaubliche Heuchelei: Rock of Ages mokiert sich über Pop und predigt Rock in seiner härtesten Form, doch er lebt dieses Ideal, mit wenigen Ausnahmen, nicht vor. Im Gegenteil: Die meisten Songs, egal ob von Twisted Sister, Guns N' Roses oder Bon Jovi, sind weichgespülte Popmusik in ihrer bekömmlichsten Form.

Aber es sind nicht nur die Lieder, welche unstimmig wirken. Auch viele der Mitwirkenden vor und hinter der Kamera scheinen nicht in ihrem Element zu sein. Shankmans über weite Strecken gelungene Choreografie sowie Bojan Bazellis Kameraarbeit werden von allzu vielen ärgerlichen Dialogen überschattet, die man so von den Autoren Justin Theroux (Tropic Thunder, Iron Man 2) und Chris D'Arienzo nicht erwartet hätte. Hier macht sich wohl die Mitarbeit vom Dritten im Bunde, Allan Loeb (Wall Street: Money Never Sleeps, The Dilemma, Just Go with It), bemerkbar. Ebenso ermüdend wirkt das lieblose Setting. Der Film mag im Jahr 1987 spielen, doch visuell ist das nur schwer zu erraten. Einzig das Erscheinungsbild von Drews Pop-Rap-Boyband, welche schon auf die frühen Neunzigerjahre vorausgreift, wirkt originalgetreu. Ansonsten beschränkt sich die Ausstattung darauf, Wände mit zeitgenössischen Fotos und Plakaten einzudecken, während vor dem Bourbon Club Konservative gegen Rock demonstrieren, als befände man sich irgendwo in den Fünfzigerjahren der TV-Serie Happy Days.

Sex, Drugs, and Rock 'n' Roll: Arsenal-Frontmann Stacee Jaxx (der langweilige Tom Cruise) bei einem Auftritt.
Und der hochkarätige Cast hält ebenfalls nicht, was er verspricht. Paul Giamattis wunderbar monotone Lakonie passt hervorragend zum zynischen Paul Gill; Russell Brand wiederum überrascht mit einigen guten, weil angenehm ironischen Linien – seine britisch-trockenen Band-Ansagen belegen sein unbestrittenes komödiantisches Flair. Doch Giamatti und Brand stehen einer Masse von Darstellern gegenüber, die nicht befriedigen können. Bryan Cranston und der etwas gelangweilt wirkende, aber dennoch mit vereinzelten Witzen auftrumpfende Alec Baldwin werden schamlos verheizt; Catherine Zeta-Jones überzeugt als chargierende Antagonistin kaum; und Julianne Hough und Diego Boneta, die "Romantic Leads", sind blasse Stereotypen, farblose Abziehbildchen.

Die Frage, ob Shankmans neuer Film nun besser oder schlechter als andere Jukebox-Musicals wie Mamma Mia! oder Moulin Rouge! sei, ist letztendlich müssig. Er hält sich an die risikolosen, massentauglichen Genre-Formeln und überrascht nur in homöopathischen Dosen. Dass diese Strategie zu Kassenschlagern führen kann, wurde hinlänglich demonstriert, doch eine gloriose Wiedergeburt des Filmmusicals deutet sich nicht an: Ein Blick auf die Ticketverkäufe zeigt, dass Rock of Ages auf dem besten Wege dazu ist, nicht nur qualitativ, sondern auch finanziell abzustürzen.

★★

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