Samstag, 2. Juni 2012

The Dictator

In der Tradition der "versteckten Kamera" und der Eskapaden von MTV-Exponenten wie Tom Green (Freddy Got Fingered) trieb der Brite Sacha Baron Cohen ab der Jahrtausendwende seinen Schabernack. Als britischer Rapper Ali G, als kasachischer Reporter Borat Sagdiyev sowie als österreichischer Modejournalist Brüno verwickelte er arglose Leute in politisch hochgradig unkorrekte Gespräche und demaskierte dabei seine Gegenüber oft als bigotte Heuchler – Sokrates trifft auf Jackass. Damit scheint es nun aber vorbei zu sein. Nach Borat und Brüno spannt Baron Cohen zum dritten Mal mit Regisseur Larry Charles zusammen und präsentiert mit The Dictator, ursprünglich als Verfilmung eines Romans von Saddam Hussein konzipiert, einen vollumfänglich geskripteten Film. Die alten Schwächen bleiben bestehen, doch Baron Cohen beweist sich auch in diesem Format als schamloser Agent provocateur erster Güte.

Im Nordosten Afrikas, irgendwo zwischen dem Sudan und Somalia, liegt der kleine, aber glorreiche, Wüstenstaat Wadiya, regiert von Admiral General Aladeen (Sacha Baron Cohen). Zum Wohle seines Volkes baut er die Atombombe – Mahmoud Ahmadinejad, der wie ein "Spitzel aus Miami Vice" aussieht, hat ja immerhin auch eine –, er leistet sich jeden Luxus, empfängt Starlets wie Megan Fox (ein sympathisch selbstironischer Gastauftritt) in seinen Gemächern und lässt reihenweise Menschen umbringen. Diese Zustände rufen die UNO auf den Plan, die den Potentaten dazu zwingen wollen, einen Vertrag zu unterzeichnen, durch den sich Wadiya über Nacht zur Demokratie wandeln würde. In New York angekommen, wird Aladeen von einem Auftragskiller (John C. Reilly), angeheuert von seinem Sekretär und Onkel Tamir (Ben Kingsley), entführt und rasiert. Ohne Bart und Unterwäsche irrt der gefallene Diktator nun zum UNO-Hauptquartier, wo er mitansehen muss, wie Tamir an seiner Statt der Welt ein Double vorführt. Mit der Hilfe der unverbesserlichen Weltverbessererin Zoe (Anna Faris) plant Aladeen nun, die Macht wieder an sich zu reissen.

Beginnt eine amerikanische Produktion mit der Widmung "In Loving Memory of Kim Jong-il", dann verspricht dies einen äusserst provokanten Film, der vor keinem Tabu Halt macht. Dass dies auf The Dictator zutrifft, lässt sich kaum abstreiten. Sacha Baron Cohen und Larry Charles sowie die Co-Autoren Alec Berg, David Mandel und Jeff Schaffer lassen sich von den Grenzen des guten Geschmacks nicht beeindrucken und brennen ein veritables Feuerwerk an gewagten, für manchen Zuschauer sicherlich auch unangenehmen Witzen und Pointen ab. Diese nehmen viele verschiedene Formen an. Mal entspannt sich Aladeen bei einer gemütlichen Partie "Munich Olympics" auf seinem Nintendo Wii – das Spiel beginnt mit dem Klopfen an der Tür der israelischen Delegation; mal reflektiert er über die amerikanische Weltmacht – "America! Built by the blacks, owned by the Chinese!"; mal erschreckt er seinen Assistenten mit einem abgeschlagenen Kopf; mal führt er, in der schwärzesten halben Minute des Films, eine ausgedehnte Diskussion über Kinderpornografie und Pädophilie. Sich in einer nach Ausrutschern von Prominenten gierenden Welt über ein derart heikles Thema zu mokieren, verdient nicht nur einen kathartischen Lacher, sondern auch Respekt.

Der grosse Führer des glorreichen Staates Wadiya: Admiral General Aladeen (Sacha Baron Cohen) vorher...
Doch der humoristische Reiz von The Dictator erschöpft sich nicht im Brechen geschmacklicher und sozialer Konventionen. Hinter der für den Hauptdarsteller und den Regisseur (Religulous) so typischen brachialen Provokation, die vielfach so wirkt, als wäre sie um der Provokation Willen aufgefahren worden – und das muss kein Vorwurf sein, denn das politisch Unkorrekte funktioniert nicht zuletzt wegen seiner schieren Geschmacklosigkeit –, verstecken sich durchaus harsche Anspielungen auf die Heuchelei westlicher Wohlstandsnationen gegenüber "primitiveren" Staatsformen, wobei Tamirs Ermahnung an Exxon, man solle beim Bohren nach Öl im Meer nicht BPs Plattformen verwenden, noch die harmloseste ist. Der Film malt das Bild einer verkommenen Welt, in der nicht nur der mittelalterliche Aladeen und die ignoranten, hurrapatriotischen Amerikaner zynisch, korrupt und intolerant sind, sondern auch der Idealismus einer Zoe von ungesundem Radikalismus unterwandert ist. Aber Baron Cohen wäre nicht er selber, wenn er diese rabenschwarze Satire nicht parodistisch umsetzen und seine Opfer "lediglich" der Lächerlichkeit preisgeben würde. Fazit der Farce scheint zu sein: Die Welt ist ohnehin verrückt, da kommt es auf einen durchgeknallten Diktator mehr oder weniger auch nicht mehr an. Letztendlich läuft das ganze Projekt – in Anlehnung auf sein grosses Vorbild, Charlie Chaplins Meisterwerk The Great Dictator – auf Aladeens grosse Rede vor der UNO hinaus, in welcher sich der Kernsatz des Films, der ultimative Affront gegen die USA, vollständig entfaltet. "Imagine America were a dictatorship...", verkündet der Despot und zählt die Vorteile der Staatsform auf: Dem obersten Prozent der Bevölkerung gehört das Land, Probleme können willkürlichen Feindbildern angelastet werden und das Erklären von Kriegen, selbst an die falschen Staaten, hat für die Verantwortlichen keinerlei Konsequenzen.

Wer jedoch mit den bisherigen Filmen Baron Cohens vertraut ist, weiss, dass sich sein Humor nicht auf die politische und verbale Provokation beschränkt. Zum Einen wäre da seine Popularität unter Schauspielkollegen, wodurch er seine Werke mit oftmals urkomischen Cameo-Auftritten veredeln kann. Auch in The Dictator geben sich, insbesondere während der ersten halben Stunde, viele bekannte Gesichter, nicht unbedingt bekannte Namen, die Ehre. Neben Megan Fox kommt auch Edward Norton zu seinen zehn Sekunden Screentime; ausserdem agieren TV-Protagonisten wie Fred Armisen (Saturday Night Live), Chris Parnell (30 Rock) und Aasif Mandvi (The Daily Show) sowie zu selten gesehen Nebendarsteller wie Fred Melamed (A Serious Man), Adeel Akhtar (Four Lions) und Chris Elliott (Groundhog Day). Selber glänzt Baron Cohen als Aladeen, trotz, oder gerade wegen, seiner himmelschreienden Künstlichkeit: Bart, Akzent, und reales Vorbild sind ebenso variabel wie nicht überzeugend, was aber im Kontext des Films hervorragend funktioniert.

...und nachher: Aladeen nach seiner Entthronung, mit der New Yorker Idealistin Zoe (Anna Faris).
Zum Andern wird The Dictator, wie schon Ali G Indahouse, Borat und Brüno, seinem Potential nicht gerecht. Denn wie schon in den vorangegangenen Werken wird auch hier dem allzu profanen Humor zu viel Platz eingeräumt. Der beste Seitenhieb auf Zoes verdrehtes Rassismus-Verständnis ("I haven't had a white boyfriend since high school!") muss an Kraft verlieren, wenn kurz darauf ihre unrasierten Achselhöhlen zum komödiantischen Element erhoben werden. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Sacha Baron Cohen ein Freund der masslosen Übertreibung ist; doch seine Vorliebe für Sex- und Fäkalwitze, die hier leider im Überfluss vorhanden sind, hat noch keinen seiner Filme besser gemacht. Diese Intermezzi sind dann auch der Grund, warum The Dictator eine unausgeglichene Angelegenheit ist, eine, welche stets zwischen grossartigen und fast schon ärgerlich banalen Witzen pendelt.

Schlussendlich ist das vierte Langspielfilm-Projekt Baron Cohens aber eine grundsätzlich trotzdem befriedigende Erfahrung. Der Weg zur finalen Rede ist dank nur 80 Minuten Laufzeit sehr kurzweilig, stellenweise ungemein amüsant, dem zu zahlenden Preis der flachen Sexwitze zum Trotz. The Dictator ist eine bitterböse Satire unter dem dümmlichen Mäntelchen des Fäkalhumors.

★★★

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