Donnerstag, 14. Juni 2012

The Deep Blue Sea

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Der Brite Terence Davies lässt in seinem neuen Film zwei scheinbar angestaubte Genres aufeinandertreffen: das Liebesdrama und die Theateradaption. Seine Terence-Rattigan-Verfilmung The Deep Blue Sea ist eine gepflegt inszenierte, wenn auch stellenweise etwas behäbige Romanze.

Im London der späten Vierziger- oder frühen Fünfzigerjahre – der Film schweigt sich über das genaue Datum aus – trifft die verheiratete Hester (Rachel Weisz) Vorbereitungen zum Selbstmord: Sie schluckt Tabletten, sie dichtet den Raum ab, sie schaltet das Gas ein. Wie konnte es dazu kommen, dass eine privilegierte Frau wie sie, Lady Collyer, Gattin des angesehenen Richters William Collyer (der glänzende Simon Russell Beale), des Lebens müde wurde? Der Grund ist der junge Freddie (Tom Hiddleston), in den sie sich unsterblich verliebt hat. Die Liebe bleibt aber unerfüllt, da William nicht in die Scheidung einwilligt und Freddie, der immer noch seiner Kriegserfahrung – er kämpfte als Pilot bei der Schlacht um England – nachhängt, Hesters Leidenschaft nicht gerecht werden kann.

Der Begriff "klassisches Hollywoodkino" hat viele Konnotationen: Für die einen evoziert es Film Noirs wie The Maltese Falcon oder Double Indemnity; andere denken an filmische Meilensteine wie Casablanca oder Gone with the Wind; wieder anderen fallen die unzähligen mit niedrigem Budget gedrehten Technicolor-Melodramen ein. Letztere sind vor allem mit dem Namen Douglas Sirk – eigentlich Hans Detlef Sierck – verbunden, Vorbild von Filmemachern wie Rainer Werner Fassbinder oder Pedro Almodóvar, Regisseur von Werken wie Magnificent Obsession oder All That Heaven Allows, auf dem Fassbinders Angst essen Seele auf lose basiert. In The Deep Blue Sea, einer Adaption von Terence Rattigans gleichnamigem Bühnenstück aus dem Jahr 1952, eifert Terence Davies (The House of Mirth) nun dem grossen Sirk nach. Oder er versucht es zumindest. Mit satten Farben, ausladender Musik und getragener Inszenierung gelingt es Davies, die Dreiecksbeziehung Hester-Freddie-William sehr stimmig einzufangen. Das Ganze ist grandios arrangiert – grosses Lob an Kameramann Florian Hoffmeister – und durchsetzt von Szenen purer Schönheit; unvergesslich die lange Kamerafahrt durch die zum Bunker umfunktionierte U-Bahn-Station. Zudem liefert die minimalistisch agierende und dadurch maximale Wirkung erzielende Rachel Weisz wohl ihre beste Performance seit The Constant Gardener (2005, Oscar) ab, was dem Zuschauer etwas über die Blässe ihres Gegenübers Tom Hiddleston hinweg hilft.

Eingeengte Beziehung: Hester (Rachel Weisz) und Freddie (Tom Hiddleston) versuchen sich – entgegen den sozialen Konventionen – zu lieben.
Bedauerlicherweise ist Davies als Autor weniger erfolgreich als in der Rolle des Regisseurs. Zwar greift seine Verfilmung Rattigans Ironie sowie die Anspielungen auf den Konflikt der Generationen und die Konventionen im England der Nachkriegsjahre sehr elegant auf; doch der Plot ist zu umständlich gestaltet, die beiden Handlungsstränge zu unsauber miteinander verknüpft. Es reihen sich Szenen aneinander, welche nur bedingt korrelieren; der Spannungsaufbau einer Sequenz läuft ins Leere; die abgehackte Erzählung mag nicht so richtig zur elegischen Geschichte passen. So bleibt The Deep Blue Sea eine inhaltlich nur zum Teil überzeugende Angelegenheit. Davies bietet einen thematisch spannenden Film von höchstem ästhetischem Wert, dem letztendlich die Stringenz – etwa die eines Douglas Sirk – fehlt.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen