Sonntag, 29. Januar 2017

Personal Shopper

Der Psychothriller Personal Shopper ist einer jener Filme, bei denen es sich lohnt, sich ohne jedes Vorwissen vor die Leinwand zu setzen. So dürfte sich der seltsame Genre-Hybrid, den Regisseur Olivier Assayas hier zu konstruieren versucht, am besten entfalten – woraufhin sich eine Zweitvisionierung nachgerade aufdrängt. Wer an diesem Effekt interessiert ist, sollte am besten jetzt damit aufhören, die vorliegende Rezension zu lesen.

Es ist ein faszinierendes Erlebnis, sich blind in diesen Film hinein zu tasten – zu rätseln, wen Maureen (die grandiose Kristen Stewart) in der ersten Szene meint, wenn sie in einem alten französischen Landsitz eine Person vermutet und die nächtliche Finsternis mit einem hoffnungsvollen "Lewis?" anspricht. Sucht sie einen Vermissten? Erahnt sie die Präsenz eines bekannten Eindringlings? Das unheimlich knarrende Parkett weckt Erinnerungen an vergleichbare Spannungsmomente in Elle. Schliesslich verstreichen die Anfangsminuten aber ohne grössere Vorkommnisse; ausser Maureen bewegt sich im dunklen Anwesen einzig ein flackernder Lichtschein im Hintergrund, der auch eine Spiegelung oder eine optische Täuschung sein könnte.

Dass Assayas in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, rechtfertigt er bereits in dieser Einführung. Es ist einer der besten Filmanfänge der letzten Jahre, ein eindringliches Musterbeispiel für effektive Publikumslenkung – mysteriös, atmosphärisch, nervenaufreibend. Wer sich Personal Shopper ein zweites Mal ansieht, wird unweigerlich auf jedes noch so kleine Detail achten wollen.

Denn die darauf folgende Sequenz löst auf fast schon irritierend nüchterne Art auf, was man eigentlich hätte ahnen können – wäre man nicht durch das Wissen geblendet gewesen, dass Olivier Assayas, der kreative Kopf hinter Werken wie L'heure d'été (2008) oder Clouds of Sils Maria (2014), Arthouse-Filme macht. Maureen betritt ein belebtes Pariser Café und wird von Bekannten gefragt, wie die Nacht denn gelaufen sei. Sie habe etwas gespürt, sagt Maureen emotionslos. Doch es habe nicht gereicht, um Kontakt herzustellen. Maureen ist ein Medium, Lewis der Geist ihres kürzlich verstorbenen Zwillingsbruders.

Maureen (Kristen Stewart) ist ein Geistermedium bei Nacht...
© filmcoopi
Im Lauf der folgenden 100 Minuten wird Maureen tatsächlich auf Geister treffen, doch einen Horrorfilm als solchen hat Assayas dennoch nicht gemacht. Personal Shopper ist ein Versuch, einem klassischen frankophonen Drama – welches selbst ein Doppelleben als Celebrity-Satire im Stile von David Cronenbergs Maps to the Stars (2014) führt – übernatürliche Elemente einzuflössen. Das Resultat sind abrupte Tonfallwechsel, nicht immer ganz stimmig dargestellte Überschneidungen von Astralwelt und Wirklichkeit – dem letzten Akt hätte durchaus mehr Zeit eingeräumt werden dürfen – und eine hinterhältige Meditation über Schein und Sein der Hautevolee.

Das ist dermassen stilsicher und spannend inszeniert, dass man dem Film seine inhaltliche und dramaturgische Fragmentiertheit nicht nur verzeiht, sondern davon überzeugt ist, dass diese Disharmonie Assayas' Intention ist. Ein wiederkehrendes Motiv in Personal Shopper ist die Vielschichtigkeit der digitalen Welt: Maureens Skype-Gespräche mit ihrem Freund, der in Oman arbeitet, ihr beunruhigender SMS-Austausch mit einer unterdrückten Nummer, ihre ausgedehnte YouTube-Recherche, um mehr über eine schwedische Künstlerin und Victor Hugos esoterische Experimente zu erfahren. Gesellschaftskritik ist das nicht – vielmehr eine subtile Anspielung darauf, dass die Menschheit, nach jahrhundertelanger Suche nach parallelen Welten, selber eine erschaffen hat.

...und eine professionelle Shopperin bei Tag.
© filmcoopi
Ein genau definiertes Ziel – geschweige denn eine erkennbare argumentative Stossrichtung – hat dieser Ansatz nicht. Es scheint Assayas' Plan zu sein, mit seiner Erzählung Gedanken und Assoziationen anzustossen, die selber nur wenig Verbindung zu den Ereignissen auf der Leinwand haben.

Auch der satirische Aspekt des Films deutet darauf hin: Maureen arbeitet als "personal shopper" für eine unklar umrissene Berühmtheit (Nora von Waldstätten), die sie kreuz und quer durch Paris und sogar nach London schickt, um sich um ihre Garderobe zu kümmern. Die oberflächliche Distanziertheit dieser Beziehung, kontrastiert mit Maureens digitaler und spiritueller Vernetztheit, ist eine der wenigen handfesten Seitenhiebe, die sich Assayas gegen die Welt der Stars und Sternchen erlaubt – ansonsten bleibt auch hier die Interpretation letztlich dem Publikum überlassen. Unterstrichen wird dies durch die rabiate, erschreckende, brillant inszenierte Art, mit der der Horror von Personal Shopper die erzählerische Barriere in die Modewelt hinein überwindet.

Assayas hat keinen einfachen Film gedreht. Er fordert heraus, er eckt an, er verwehrt sich einfachen Schlussfolgerungen. Wird man mit einem solch scheinbar formlosen Ungetüm konfrontiert – welches obendrein auch noch grossartig gemacht ist –, dann ist es lohnenswert, sich der unorthodoxen Vision, den ureigenen, nicht immer glorreichen Ideen, mit denen gespielt wird, zu ergeben. Personal Shopper ist kein perfekter Film. Doch es ist eines jener seltenen Werke, in die man nicht bloss eintaucht, sondern in denen man zu ertrinken riskiert.

★★★★

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