Donnerstag, 23. Juli 2015

Far from the Madding Crowd

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Thomas Vinterberg, Mitbegründer der dänischen Dogma-Bewegung, versucht sich an der Verfilmung eines britischen Literaturklassikers. Seine Adaption von Thomas Hardys feministisch angehauchtem Roman Far from the Madding Crowd aus dem Jahr 1874 wird der Vorlage mehr als nur gerecht.

Vorbei sind die Zeiten, als die grossen englischen Erzählungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere der viktorianischen Ära, die Zuschauer in Scharen in die Kinos lockten. Filmische Interpretationen von Werken von Dickens, den Brontë-Schwestern, George Eliot, Elizabeth Gaskell oder eben Thomas Hardy sind, wenn überhaupt, fast nur noch im Fernsehen zu sehen, der nimmermüden Kultivierung des eigenen literarischen Erbes durch die britische BBC sei Dank. Die Gründe dafür dürften bei der signifikanten Diskrepanz zwischen finanziellem Aufwand – man denke nur an Kostüme und Ausstattung – und dem kommerziellem Ertrag zu suchen sein, beim elitären Ruf älterer Literatur, bei den Kritikern, die den Stoffen nicht selten mangelnden Aktualitätsbezug und verstaubte Wertvorstellungen vorhalten. Dabei wäre gerade ein Thomas Hardy – 1840 als Zeitgenosse Wordsworths und Dickens' geboren, gestorben 1928, nach der Erfindung des Tonfilms – reif für eine Neuentdeckung durch ein breiteres Publikum, schlagen seine von scharfer Kritik an der viktorianischen Gesellschaft durchsetzten Werke doch oft überraschend moderne Töne an; sein letzter Roman, Jude the Obscure, sorgte nach seiner Veröffentlichung 1895 wegen angeblicher Obszönität sogar für einen Skandal. Auch Far from the Madding Crowd (1967 bereits von John Schlesinger stimmig verfilmt) war seiner Zeit in gewisser Hinsicht voraus; im Kleinen sind hier bereits die Vorwürfe ans Frauen herabsetzende Patriarchat erkennbar, die im diesbezüglich konsequenteren Tess of the d'Urbervilles (1891; 1979 von Roman Polanski verfilmt) schliesslich ihre Vollendung fanden.

Diesen emanzipatorischen Kern unterstreichen Thomas Vinterberg (Festen, Jagten) und Drehbuchautor David Nicholls in ihrer Version von Anfang an. Ist Hardys Erzähler ein allwissender, der in der dritten Person von den Vorgängen im ländlichen Dorset – im Buch als "mystisches Wessex" beschrieben – berichtet, beginnt der Film mit einem Voiceover der Protagonistin Bathsheba Everdene (grossartig: Carey Mulligan). Mehr noch als in der Romanvorlage ist die unabhängige Bäuerin eine aktive Figur, die in jeder Situation darum bemüht ist, ihre eigene Freiheit zu bewahren. So lehnt sie schon in den Anfangsminuten von Vinterbergs Far from the Madding Crowd – eine der schönsten, filmsprachlich poetischsten Eingangssequenzen der jüngeren Vergangenheit – die Avancen des Schäfers Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts) mit der Begründung ab, sie sähe keinen triftigen Grund, ihn heiraten zu müssen. Dieselbe Erfahrung macht, nachdem Bathsheba die weitläufigen Ländereien ihres Onkels geerbt hat, ihr schweigsamer Nachbar, der etwas ältere Junggeselle William Boldwood – dessen Nuancen, von Hardy noch ausgeschrieben, Michael Sheen mit stiller Intensität vermittelt. Als jedoch der charmante Sergeant Troy (Tom Sturridge) auch anfängt, um Bathshebas Hand zu buhlen, bröckelt die rigorose Entschlossenheit der Heldin.

In Thomas Vinterbergs Romanverfilmung kämpft die Bäuerin Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) um ihre Unabhängigkeit.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation
Vinterberg legt mit Far from the Madding Crowd ein eindrückliches Beispiel für eine gelungene Klassiker-Verfilmung vor. Der Plot wird – überwiegend erfolgreich – an das zeitgemässe Spielfilm-Format angeglichen, Hardys reichhaltiges Figuren-Kompendium wird ökonomisch reduziert; die direkte Inszenierung, die herausragende Bildsprache – jede Einstellung ein kleines Kunstwerk – sowie die grandiose Musik von Craig Armstrong rücken die Feinheiten, die düstereren, im Originaltext nur implizierten Abgründe der Geschichte subtil in den Vordergrund. Somit lässt sich auch leicht über die mitunter etwas unfilmischen Dialoge hinweg sehen – zu denen der ausdrucksstarke Kernsatz des Werks definitv nicht gehört: "It is difficult for a woman to define her feelings in a language chiefly made by men to express theirs."

★★★★

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