Freitag, 24. Juli 2015

Amy

In seiner 2011 erschienenen Rezension zu Asif Kapadias Formel-1-Dokumentation Senna schrieb der legendäre Filmkritiker Roger Ebert: "Senna is a documentary that does the job it sets out to do. I wish it had tried for more. It is a competent sports doc, the sort you'd expect to see on ESPN."

Es lässt sich natürlich darüber diskutieren, ob es statthaft ist, einen Film basierend auf persönlichen Erwartungen zu beurteilen, – der Text erntete nach seiner Veröffentlichung entsprechend Kritik –, doch Eberts Einschätzung trifft in ihrer Essenz auch auf Kapadias Nachfolgewerk zu, einem Porträt der britischen Singer-Songwriterin Amy Winehouse. Amy erzählt seine Geschichte ohne Schnörkel und Ausschweifungen, wobei es letztlich kaum einen Unterschied macht, ob man den Film nun im Kino oder in ein paar Monaten im Fernsehen im Rahmen eines Themenabends sieht.

Doch Kapadias erst zweite Dokumentation ist ein Musterbeispiel für die These, dass Qualität auch in der Konvention existiert; was ihr an innovativer Kraft fehlt, kompensiert sie mit journalistischer Gründlichkeit und handwerklicher Verve. Angesichts eines Themas, welches auch vier Jahre nach Winehouses Tod durch Alkoholvergiftung – im "verfluchten" 27. Lebensjahr, in dem auch Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain starben – ein heikles bleibt, steckt Amy zudem einen gangbaren Mittelweg zwischen minutiöser Recherche und befangenem Betroffenheitskino ab.

Erzählt wird eine klassische Rockmusiker-Vita: Das typische "Jewish North London girl", zu deren Helden Tony Bennett, Thelonious Monk, Carole King und James Taylor gehören, macht als Teenager mit ihrer starken Jazz-Stimme auf sich aufmerksam, erhält 2003 mit nur 19 Jahren einen Plattenvertrag, produziert das Album Frank und steigt darauf in Grossbritannien zur bekannten Grösse auf. Begleitet wird diese Entwicklung jedoch von einem turbulenten Privatleben, das von den Medien zunehmend genüsslich breit getreten wird. Alkohol- und Drogenexzesse sowie die wilde Beziehung zum heroinsüchtigen Blake Fielder-Civil gefährden ihre musikalische Karriere. Ihr zweites und letztes Album, das zig-fach preisgekrönte, als Meisterwerk der 2000er Jahre geltende Back to Black, mit dem sie endgültig internationalen Star-Status erreicht, erscheint erst 2006. Es folgen gescheiterte Entzüge, zahlreiche gesundheitliche Probleme – von Bulimie über Depression bis hin zu Atem- und Herzrhythmusstörungen –, abgesagte Konzerttouren, eine sechsmonatige Rückzugskur in der Karibik, die Scheidung von Fielder-Civil und, laut Freundin Juliette Ashby, sogar Einsicht, bevor Winehouse am 23. Juli 2011 von ihrem Leibwächter tot in ihrem Bett aufgefunden wurde.

Schon als Teenager fiel Amy Winehouse (rechts) mit ihrer bemerkenswerten Stimme auf.
© filmcoopi
Kapadia muss sich den Vorwurf gefallen lassen, in seiner Aufarbeitung von Winehouses Leben allzu bereitwillig den Zeigefinger zu erheben und mögliche "Schuldige" an ihrem zweifellos tragischen Schicksal auszumachen. Solche finden sich in stattlicher Zahl: Jugendfreund und Ex-Manager Nick Shymansky weist auf die fatale Entscheidung hin, ihn durch den PR-Agenten Raye Cosbert zu ersetzen, da diesem, laut Shymansky, vor allem an nervenzehrenden, erschöpfenden Touren gelegen war. Fielder-Civils Einfluss wird wiederholt – wahrscheinlich zu Recht – als erschwerender Umstand genannt. Und Vater Mitch Winehouse wird gleich in doppelter Hinsicht zum Mitschuldigen erkoren – einmal, weil er 1993 Frau und Tochter verliess, und einmal, weil er während der Arbeit an Back to Black Amy von einem Entzug abriet. Die meisten dieser Schuldzuweisungen mögen persönliche Eindrücke sein, doch Kapadia verdichtet sie zu einem Narrativ, das dem Zuschauer nicht als subjektive Einschätzung, sondern als Fakt verkauft wird.

Die triftigste Anklage, die der Film erhebt, ist jene gegen die sensationslüsternen Medien, die sich jahrelang gierig auf jeden neuen Akt im Drama Amy Winehouse stürzten. Besteht der Film zunächst vor allem aus privaten Foto- und Filmbildern – verwackelte, verpixelte Handkamera-Aufnahmen, die im Familien- und Freundeskreis oder auf der überschaubaren, amateurhaft organisierten ersten Albumtour entstanden sind –, werden diese mit zunehmender Laufzeit durch Fernsehmaterial und Paparazzi-Fotos ersetzt. Werden Privataufnahmen aus der Ära nach Back to Black eingespielt, dann zeigen sie primär das grelle Blitzlichtgewitter, dem Winehouse täglich ausgesetzt war. Amy zeigt auf eindrückliche Art und Weise, wie mediale Aufmerksamkeit ein Leben quasi zum öffentlichen Gut erklären kann – bis zu einem Punkt, wo selbst seriöse Vertreter wie BBC oder CNN es für nötig halten, Diskussionsrunden darüber zu veranstalten, wie Winehouse mit ihren Problemen fertig werden sollte. (Besonders erschreckend ist auch das Bild, welches Komiker Jay Leno abgibt: Nur wenige Jahre liegen zwischen Winehouses beklatschtem Auftritt in seiner Sendung und Lenos bösartigen Witzen auf ihre Kosten.)

Winehouses Musik erntete begeisterte Kritiken; ihr turbulentes Privatleben war ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse.
© filmcoopi
Letztlich ist Amy aber vor allem eines: informativ. Kapadia arrangiert aus Hunderten von Stunden an Interview- und Archivbild-Material eine umfassende, oftmals faszinierende Collage, die in rund 130 Minuten einen detaillierten, emotional mitnehmenden Blick hinter die Kulissen der Karriere von Amy Winehouse erlaubt. Von seiner Medienkritik sowie einem kleinen Exkurs über die Renaissance von Camden als musikkulturelles Zentrum in London abgesehen, konzentriert sich der Film ganz auf seine Titelfigur und ihre – ausgezeichnet eingesetzte – Musik, was wohl auch ganz im Sinne der leidenschaftlichen Musikliebhaberin Winehouse gewesen wäre. Bleibt die Hoffnung, dass ihre Songs dem kollektiven Gedächtnis ebenso erhalten bleiben wie die tragischen Geschichten dahinter.

★★★★

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