Dienstag, 21. Januar 2014

Nebraska

Irgendwo in Nebraska vermischt sich die europäische Tradition des absurden Theaters mit dem melancholischen Ende-einer-Ära-Fatalismus, den man aus dem amerikanischen Kino kennt, etwa in Form der Western-Spätwerke eines John Ford – The Searchers, The Man Who Shot Liberty Valance – oder Peter Bogdanovichs Texas-Elegie The Last Picture Show (dessen Schwarz-Weiss-Ästhetik einer US-Kleinstadt Kameramann Phedon Papamichael hier wohl als Inspiration diente).

Wie in den Werken Becketts und Ionescos ist es das Nichts, welches die Figuren in Alexander Paynes grandioser Tragikomödie umtreibt: eine Werbeaktion einer Firma in Lincoln, Nebraska, die den Rentner Woody (Bruce Dern) aus Billings, Montana, glauben lässt, er habe eine Million Dollar gewonnen. Als Woodys unwilliger Sohn David (Will Forte) schliesslich einwilligt, ihn nach Nebraska zu fahren, landen die beiden zunächst in Hawthorne, der alten Heimat von Woody und seiner Frau (June Squibb), wo einstige Bekannte den vermeintlichen Millionär um Geld zu bitten beginnen.

Doch Bob Nelsons Drehbuch erzählt von einer ganz speziellen Art von Nichts: Nebraska, passend unterlegt mit einem simplen, elegischen musikalischen Motiv, ist ein Film über den Zerfall des Mittleren Westens, dem sprichwörtlichen Herzen Amerikas, wo in den Dreissigerjahren Sandstürme die Landwirtschaft ruinierten und danach zahlreiche andere Industrien Fuss fassten, nur um selber, bedingt durch Krisen und Strukturwandel, wieder zu verschwinden. Das Land, welches Woody und David auf ihrer zum Scheitern verurteilten Reise durchstreifen, ist gezeichnet von den Schatten einstiger Grösse, geschunden von dem Untergang geweihten Kohlebergwerken; an den Gebäuden bröckelt der Verputz; selbst der legendäre Mount Rushmore verliert in dieser Landschaft an Grandeur: "It's not even finished", moniert Woody (richtigerweise), als sein Sohn ihn zu einem Zwischenhalt überredet.

Paynes Interesse galt schon immer dem Puls der Zeit: Menschlich anregende, zugleich aber hintergründig satirische Werke bestimmen seine Filmografie, von seinem Debüt Citizen Ruth (1996) über die überraschend erfolgreichen About Schmidt (2002), Sideways (2004) und The Descendants (2011), jenem diskreten Meisterwerk des jüngeren US-Kinos. Sie alle drehen sich, ob direkt oder implizit, um Beziehungen und die Frustration, die ihnen aufgrund gestörter Kommunikation entwächst. Zum einen vertieft Nebraska diesen Fokus; zum anderen erweist sie sich aber auch als Paynes unterschwellig politischste Regiearbeit seit Election (1999).

Woody (Bruce Dern) und sein Sohn David (Will Forte) durchqueren auf ihrem Weg nach Lincoln, Nebraska, das zerfallene Herz Amerikas.
© Ascot Elite
Die Tragödie vom geschundenen, in seinem Pionier-Stolz verletzten Herzen der USA bildet den Hintergrund, vor dem die jahrelang unausgesprochenen Probleme zwischen Vater Woody und Sohn David angesprochen und ausgebreitet werden. Dies hat unübersehbaren Symbolcharakter: Woody, welcher trotzig am Strassenrand entlang geht, um die 800 Meilen zwischen Billings und Lincoln zu Fuss hinter sich bringen, und sich immer wieder auf Dinge beruft, die er "zurückholen" will, wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Tagen, in denen Sturheit Entschlossenheit genannt wurde und zu den Kerntugenden des amerikanischen Helden zählte. Nun jedoch schlägt ihm kein Applaus mehr entgegen, sondern das Unverständnis von Frau ("I never even knew the son of a bitch wanted to be a millionaire") und Nachwuchs ("You got enough money to get by. What's the point?") sowie Neid, Gier und Hohn alter Kameraden entgegen.

Aber Nebraska ist nicht zuletzt deshalb der vielleicht beste amerikanische Film seit The Descendants, weil Payne bei aller scharfen Ironie stets die menschliche Komponente von Nelsons Geschichte im Auge behält und dabei Sozialkommentar und legitimes Charakterdrama nahtlos ineinander übergehen lässt, womit er stets sowohl Mainstream- wie Indie-Publikum zu begeistern weiss. Der ungebrochene Optimismus Woodys, sein Wunsch, im Leben noch einmal ein Ziel zu erreichen und seiner Familie dereinst etwas Handfestes hinterlassen zu können, ist so zugleich der Triumph des Pioniergeistes über den zersetzenden Zynismus, der Hawthorne im Würgegriff hält, und ein emotional nachhallendes Element der Erzählung.

In seiner einstigen Heimatstadt trifft Woody auf alte Kameraden, die in seinem angeblich gewonnenen Vermögen die grosse Chance wittern.
© Ascot Elite
Insgesamt ist Nebraska ein stilles Wunderwerk voller perzeptiver, ergreifender und oftmals urkomischer Momente, getragen von herausragenden schauspielerischen Leistungen – sowohl Bruce Dern als auch Will Forte glänzen mit subtilen, nuancenreichen Darbietungen – und Phedon Papamichaels grossartiger Schwarz-Weiss-Fotografie. Alexander Payne einen Platz im Filmemacher-Pantheon zu verwehren, ist mit Nebraska zum Ding der Unmöglichkeit geworden.

★★★★★

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