5.5 Sterne
Die Filmindustrie mag Figuren, welche sich in ständigem Wandel befinden, Figuren, welche ihrer Zeit voraus sind und scheinbar unbegrenzten Einfluss auf andere Menschen haben. Die grösste derartige Figur ist zweifelsfrei Bob Dylan, der seit nun schon fast 50 Jahren sein Publikum entweder begeistert oder vor den Kopf stösst und sich dabei immer wieder neu erfindet. Umso erstaunlicher ist es, dass sich noch nie jemand anhand eines Spielfilms seiner annehmen wollte. Die Kultdokus Don't Look Back von D.A. Pennebaker und No Direction Home von Martin Scorsese stehen gemeinsam mit dem von Dylan selbst inszenierten Stück Exzentrik Renaldo and Clara allein im Raum der Bob-Dylan-Filme. Und dann kam im Jahre 2007 Todd Haynes, der sich dem Musiker auf die einzig wahre Art näherte: Dylanesk.
I'm Not There ist ein seltsames und vielschichtiges Filmmärchen, das bei Menschen, welche sich nicht für Musik interessieren wohl nur Kopfkratzen auslöst. Todd Haynes' Film dreht sich um sechs Figuren, welche, wenn man sie zu einer Person zusammenschmelzen würde, Bob Dylan, dessen Name, ausser im Vorspann, nie genannt wird, ergeben würden. Keine der miteinander verwobenen Episoden folgt einer stringenten Handlung. Jeder Teil des Films beinhaltet wahre, erfundene, erträumte und angedeutete Geschichten aus dem Leben des Mannes, der seine Fans mit Hochgenuss auf den Arm nimmt und ihnen in seinen Songs mit schöner Regelmässigkeit Rätsel aufgibt.
Dylans Songs spielen in I'm Not There eine zentrale Rolle. Entweder untermalen sie das Geschehen sehr passend oder sie dienen als Rahmenhandlung für eine Episode - so zum Beispiel die Anti-Journalisten-Tirade "Ballad of a Thin Man", welche quasi das Herzstück des Jude-Quinn-Teils, darauf wird später noch eingegangen, bildet. Das Leitmotiv des ganzen Films ist aber weder "Ballad of a Thin Man", noch der bis dato nie veröffentlichte und titelgebende Song "I'm Not There" und auch nicht Dylans bekanntestes Lied "Like a Rolling Stone", sondern das düstere "Cold Irons Bound", welches immer wieder angedeutet wird und letztendlich gespielt wird, als der Rockstar Jude Quinn, gespielt von Cate Blanchett, an seinem Tiefpunkt angelangt ist. Apropos Cate Blanchett: Wer I'm Not There gesehen hat, muss sich fragen, warum diese Frau für ihre Leistung nicht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde - besonders wenn man ihre Performance mit der Sieger-Performance, Tilda Swinton in Michael Clayton, vergleicht. Den Golden Globe hat sie sich geschnappt, ja, doch weshalb nicht auch gleich den Academy Award? Wir werden es nie erfahren. Was bleibt, ist die Bewunderung für Blanchett, die Dylan in seiner androgynsten Phase, Zeitraum 1966, spielt. Sie lebt den legendären Musiker in jeder spastischen Bewegung, in jeder kryptischen Äusserung und in jeder hämischen Aussage. Dass sie eine würdige Darstellerin ist, wird einem spätestens bei der Aufbereitung des berühmt gewordenen "Royal Albert Hall"-Konzerts, klar. Ihre Antwort auf die "Judas!"-Rufe aus dem Publikum machen es endgültig ersichtlich: Cate Blanchett spielt Bob Dylan nicht einfach, sie lebt ihn. Doch genau darin liegt die einzige kleine Schwäche von I'm Not There. Durch ihre Performance werden die Leistungen ihrer Kollegen fast etwas zurückgestuft. Dies soll aber nicht heissen, dass die restlichen fünf Darsteller, welche getrennt gearbeitet haben, nicht gut spielen. Im Gegenteil: Mit Marcus Carl Franklin macht ein junger, talentierter Schauspieler auf sich aufmerksam. Er verkörpert den jungen Dylan, der so sehr wie sein Vorbild Woody Guthrie sein wollte, mit viel Eifer und einer gehörigen Portion Selbstironie. Auch Richard Gere als Billy the Kid und Ben Whishaw als Arthur Rimbaud machen ihre Sache mehr als gut. Besonders letzterer, der nicht viel mehr zu tun hat, als ein Interview von Dylan aus dem Jahre 1965 zu rezitieren, beeindruckt als Quasi-Erzähler, eine Rolle, die er mit dem bekannten Country/Folk-Musiker Kris Kristofferson teilt. Wenig Arbeit hat Christian Bale, der als Protestsänger, der grösstenteils in Archivaufnahmen aufzutreten hat, zu sehen ist. Und dann bliebe noch Heath Ledger in seiner drittletzten Rolle. Er wäre wohl der einzige Grund für einen Nicht-Musikfreund, sich I'm Not There anzusehen, da er den Familienmenschen Bob Dylan verkörpert und sich daher wenig um Musik zu kümmern hat. Die restlichen Schauspieler sind schnell beschrieben. Da wäre eine Charlotte Gainsbourg, Tochter des Chansonniers Serge Gainsbourg, welche Heath Ledger als Ehefrau zur Seite steht, dies aber nicht ohne Mühen. Eine Julianne Moore, welche in die Rolle von Joan Baez schlüpft (aber mit einem anderen Namen), um in einer No-Direction-Home-Hommage mitzuspielen, darf ebenfalls bewundert werden. Und Bruce Greenwood spielt sich als doppelter Antagonist, einmal als Mr. Jones und einmal als Pat Garrett, in die Herzen der Dylanologen.
Besonderes Augenmerk ist auf die Inszenierung und das Drehbuch von I'm Not There zu richten. Todd Haynes hat es als Regisseur und Drehbuchautor hervorragend verstanden, Elemente aus Bob-Dylan-Songs auf die Leinwand zu übertragen. So werden dem Zuschauer die Linien "I saw guns and sharp swords in the hands of young children" und "I met a young child beside a dead pony" aus "A Hard Rain's a-Gonna Fall" in einer einzelnen Einstellung serviert. Zwar werden diese Anspielungen, vor allem wenn sie aus den Mündern der Akteure kommen, teilweise etwas überstrapaziert (Jude Quinn: "Yeah, just like a woman!"), doch für Dylanologen ist das musikalische "Wo ist Walter?"-Spiel die reinste Freude. Doch auch wenn keine Songs zitiert werden, ist das Drehbuch von Todd Haynes und Oren Moverman durch und durch dylanesk. Etwa wenn Kris Kristofferson am Anfang des Films, ähnlich wie eine Anklageschrift, "A devouring public can now share the remains of his sickness, and his phone numbers. There he lay: poet, prophet, outlaw, fake, star of electricity [eine Anspielung auf den Song "Visions of Johanna"]. Nailed by a peeping tom, who would soon discover: even the ghost was more than one person." verliest.
Über den Soundtrack muss nicht mehr viel gesagt werden, zumal sich die Musik im Film und die Musik auf der CD stark voneinander unterscheiden. Dennoch sei jedem Fan von Bob Dylan der Kauf des Soundtracks empfohlen.
Wer sich auf eine 130-minütige musikalische Achterbahn begeben will, sollte sich I'm Not There auf jeden Fall ansehen. Der Film kommt zwar nicht an ein Bob-Dylan-Konzert heran, doch trotzdem erfüllt er seinen Zweck: Man taucht in eine Welt voller Erfindungsreichtum, Selbstironie und Geschichtsbewusstsein ein. I'm Not There endet in jedem Punkt offen, aber irgendwie versöhnlich. Und schlussendlich ist Dylan höchstpersönlich zu sehen, wie er seine Mundharmonika bearbeitet und langsam im Dunkeln verschwindet. Und doch wird in die Zukunft geblickt - und gleichzeitig beziehen sich die letzten gesprochenen Worte des Films auf Dylans gesamte Karriere: "There's no telling what can happen."
Freitag, 10. Juli 2009
Donnerstag, 4. Juni 2009
Angels & Demons
4.5 Sterne
Lernfähigkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Regisseur braucht, um in seinem Fach zu reüssieren. Und Ron Howard musste fürwahr Lernfähigkeit beweisen, um die Fans von Dan Browns Büchern wieder zu versöhnen. Nachdem die Adaption des vergleichsweise unfilmischen Stoffes von The Da Vinci Code in eine etwas flache Geschichtslektion mit einer unbeholfenen Liebesgeschichte resultierte, was insgesamt dennoch nicht ganz so schlecht funktionierte, war man gespannt, wie Howard das spannendere und filmischere Buch Angels & Demons anpacken würde. Und siehe da! Er hat etwas gelernt.
Angels & Demons beginnt verheissungsvoll. Mit virtuoser Kameraführung, welche im Laufe des Films immer weniger virtuos wird, doch dazu später, werden Teilchen gezeigt, welche im CERN in Genf durch den LHC gejagt werden. Kurz darauf entsteht die sagenumwobene Antimaterie, die wiederum kurz darauf gestohlen wird. Damit wäre die Exposition geschafft und man befindet sich bereits mitten im Film. Der Anfang steht sinnbildlich für das, was einen in den folgenden 140 Minuten erwartet: Populärwissenschaftliche Fakten werden mit typischen Action- und Thrillerelementen verbunden und mit einem gesunden Tempo vorgetragen. Man kann sich also schon einmal bei Regisseur Ron Howard und den Drehbuchautoren Akiva Goldsmith und David Koepp bedanken, dass sie Dan Browns Werk auf das reduzieren, was es ist: Ein zu Papier gebrachter Actionstreifen. Sieht man sich die bisherige Filmografie von Koepp und Goldsmith an, kann man erahnen, auf welchem filmischen Niveau Angels & Demons steht. Drehbücher, die mit dem Namen David Koepp unterzeichnet sind, zeichnen sich durch rasante Actionszenen und abenteuerliche Plots aus (Panic Room, Mission: Impossible, Spiderman), während Akiva Goldsmith Filme wie The Jury oder A Beuatiful Mind mit seiner Mitarbeit bereichert hat. Gemeinsam funktionieren die Autoren nicht schlecht. Die Dialoge driften seltener ins Belanglose ab als in The Da Vinci Code, es gibt nicht allzu viele Szenen, welche abrupt durch ein einzelnes Stichwort beendet werden und die Handlung geht im Grossen und Ganzen zügig voran. Zwar hapert es hie und da mit der Stringenz, doch für einen Actioner ist Angels & Demons ganz akzeptabel geschrieben. Und dass die Schweizergardisten im Vatikan tatsächlich Berndeutsch sprechen, dürfte den Schweizer Kinogänger ganz speziell freuen. Der grösste Vorwurf, den sich die Autoren aber gefallen lassen müssen, ist der, dass sie etwas zu übermütig den Rotstift geschwungen haben. Es wurden nämlich nicht nur unnötige Liebesszenen weggelassen, sondern auch einige Twists und die Figur Maximilian Kohler - ein Jammer! Man wird das Gefühl nicht los, dass Dan Brown vielleicht etwas entschiedener gegen solche Streichungen hätte vorgehen müssen. Andererseits verschaffen derartige Weglassungen dem buchkundigen Kinogänger wenigstens ein bisschen Spannung. Ausserdem wird so dem grössten Fehler von The Da Vinci Code ausgewichen: die sklavische Abfilmung der Vorlage.
Wie bereits sein Vorgänger ist auch Angels & Demons gespickt mit einigen Stars aus dem Schauspielfach. Doch in diesem Fall ist der ganze Film einzig und allein auf Tom Hanks ausgerichtet. Man beschäftigt sich kaum mit Vitoria, welche von Ayelet Zorer überzeugend verkörpert wird, oder dem Auftragskiller, welcher beinahe vollständig in der Versenkung verschwindet. Auch die prominenten Nebenrollen kommen leider etwas zu kurz. Gerne hätte man etwas mehr von Armin Mueller-Stahl, Ewan McGregor, Pierfrancesco Favino oder Stellan Skarsgård gesehen, doch unterm Strich haben alle Schauspieler ihre guten bis sehr guten Momente.
Weniger befriedigend ist die Kameraarbeit von Salvatore Totino. In Ron Howards letztem Film, Frost/Nixon, begeisterte er mit fantasievollen Kameraperspektiven, während er Angels & Demons grösstenteils mit 0815-Actionaufnahmen bebilderte. Etwas mehr Raffinesse wäre wünschenswert gewesen.
Die Sequenzen, welche Angels & Demons zu einem Actionthriller machen, beschränken sich fast ausschliesslich auf wilde Jagden durch ein immer düsterer werdendes Rom. Und wenn es einmal knallt, dann sind es meistens Schiessereien, in welchen die Carabinieri keinen besonders guten Eindruck machen, oder kleinere pyrotechnische Einlagen. Den grossen Knall hob sich Ron Howard verständlicherweise für den Schluss auf, der dann auch wesentlich mehr Verwüstung anrichtet als im Buch. Aber trotzdem sind die Spezialeffekte an sich kaum der Rede wert.
Viele Kritiker gehen in ihren Rezensionen auf die Unglaubwürdigkeit von Angels & Demons ein. Sie geben die unglaubliche Geschichte der Lächerlichkeit preis und geisseln sie als naturwissenschaftlich sowie historisch unhaltbar. Diese Rezensenten verstehen den Sinn, wenn man ihn denn als solchen bezeichnen darf, von Dan Browns Büchern nicht. Natürlich wirken die Bücher hie und da lächerlich oder an den Haaren herbeigezogen, aber welcher Teenager ist während der Lektüre von The Da Vinci Code nicht zum Computer oder zu einem Buch über Kunstgeschichte geeilt und hat sich "Das letzte Abendmahl" einmal genauer angesehen? Wer hat sich nach Deception Point nicht über Riesenasseln informiert? Der Normalsterbliche interessiert sich plötzlich für die Renaissance und "La purga", eine Entwicklung, die vor hundert Jahren bereits schon einmal Einzug hielt. Karl May schrieb damals seine Westernerzählungen, welche, nebenbei bemerkt, lücken- und fehlerhafter als Dan Browns Bücher sind, und jedermann begann sich mit Indianern und Cowboys zu befassen. Und solange man zumindest ein bisschen etwas dabei lernt, ist ja nichts Schlechtes daran. Und damit hat der hier Schreibende erklärt, weshalb die Geschichte von Angels & Demons für ihn keinen Kritikpunkt darstellt.
Mit der Filmversion von Dan Browns bisher bestem Buch verhält es sich gleich wie mit den effektiven Büchern: Die Kritiker verachten den Streifen, das Publikum mag ihn. Ron Howard hat nach etwas langatmigen The Da Vinci Code einen Sprung in die richtige Richtung gemacht. So ist Angels & Demons ein guter Actionfilm geworden, der mit einigen Geschichtsfakten auftrumpfen kann. Es gibt rasante Verfolgungsjagden, versteckte Gänge, wohl dosiertes Blut und eine wunderschöne (!) Explosion zu bestaunen. Wer sich den Film mit Minimalerwartungen ansieht, wird nicht enttäuscht werden. Fazit: Nicht nur National Treasure hat die Reduktion der Ernsthaftigkeit im zweiten Teil gut getan.
Sonntag, 10. Mai 2009
Il divo
4.5 Sterne
Die politische Instabilität, welche Italien seit Jahrzehnten prägt, eignet sich hervorragend für brisante, satirische oder ganz einfach die Vergangenheit aufarbeitende Filme. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, dass das ausländische Publikum nicht aussen vor bleibt, da man bei 59 Regierungen in nunmehr 64 Nachkriegsjahren leicht den Überblick verliert. Giulio Andreotti, um den sich Il divo dreht, war an 33 dieser Regierungen beteiligt, wobei er selber siebenmal Ministerpräsident war. Ausserdem geniesst Andreotti mit seinen nun 90 Jahren das Amt eines Senators auf Lebenszeit und wäre vor drei Jahren, im Alter von 87 Jahren, beinahe noch Präsident des italienischen Senats geworden. Dieses erstaunliche Leben, gepaart mit unzähligen Skandalen und Korruptionsvorwürfen, liefert die Grundlage für Paolo Sorrentinos überambitionierten Film.
Il divo beginnt gleich wie diese Rezension. Bevor der Film überhaupt anfängt, erscheinen einige Schlüsselfakten über die politischen Verhältnisse im Italien der 1970er Jahre - ein etwas zerknirschtes Entgegenkommen der Macher für Nichtitaliener und Nachgeborene. Man merkt, wie stark Sorrentino das Thema Giulio Andreotti unter den Nägeln brannte. Er ist immerhin mit dieser schillernden, aber zugleich unschein- und unnahbaren Persönlichkeit aufgewachsen. Sorrentino (Jahrgang 1970) kannte in seiner Kindheit wahrscheinlich keinen anderen Politiker als Andreotti. Wie schon Todd Haynes' Versuch, sich dem Phänomen Bob Dylan auf unübliche Weise zu nähern - I'm Not There wurde richtigerweise überall mit einem Kaleidoskop verglichen - umgeht auch Paolo Sorrentino sämtliche geltenden Konventionen, die man normalerweise einhält, wenn man sich filmisch einem Politiker annähern will. Es fehlt beispielsweise ein klarer Aufbau. Wer sich nicht mit der Thematik auskennt, wird sich schnell verloren fühlen und sich verzweifelt an wiederkehrenden Motiven festhalten, wobei das einzige wirklich durchgehende Motiv von Il divo Giulio Andreotti selbst ist. Der Film passt sich seiner Hauptfigur in jedem Charakterzug an. Wortreiche Dialoge sind eine Seltenheit, Durchsichtigkeit stellt sich nie ein. Erst im letzten Akt, als es auf den berühmten Mafia-Prozess zugeht, kehrt filmische Normalität ein. In den zuvor gesehenen 80 Minuten reihen sich Ausschnitte aus Andreottis Leben aneinander, die zwar miteinander verknüpft, aber äusserst kompliziert sind. Es ist ein unmögliches Unterfangen, alle eingewobenen Seitenhiebe und Anspielungen, die Il divo einem bietet, zu erkennen. Andererseits schuf Sorrentino in seinem Film durchaus auch Raum für etwas Intimität, die sich vor allem in den wenigen Gesprächen des Ehepaares Andreotti widerspiegelt. Und auch der für Italien typische Humor, der zum Beispiel in der Komödie Non Pensarci erstklassig vorgetragen wurde, kommt nicht zu kurz. Hintergründige oder sarkastische Einzeiler finden sich an den unglaublichsten Stellen, das Parlament ist sowieso ein lebender Witz und es wird auch mit einem herrlichen Augenzwinkern auf die Eigenheit der italienischen Politiker, plötzlich mysteriösen "Unfällen" zum Opfer zu fallen, hingewiesen.
Der Untertitel des Films, La straordinaria vita di Giulio Andreotti (Das aussergwöhnliche Leben des Giulio Andreotti), übertreibt keineswegs. Die schweigsame Schlaftablette, als die Andreotti dargestellt wird, scheint ein eindeutiger Beleg dafür zu sein, dass stille Wasser tief sind. Toni Servillo, der für den Film in die Rolle von Andreotti geschlüpft ist, überzeugt im beinahe regungslosen Zustand. Während er in Gomorra nur in einer Nebenrolle zu sehen war, ist er in Il divo in nahezu jeder Szene anwesend. Und in jeder Szene hat er bzw. Andreotti die totale Kontrolle über das Geschehen. Schüttelt ihm jemand die Hand, lässt er sie schütteln, gibt er eine Anweisung, wird sofort gehorcht, sagt er etwas, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Ebenso beeindruckend ist die allgegenwärtige Ruhe des Mannes. Selbst wenn sich das Parlament im Ausnahmezustand befindet, wartet er seelenruhig darauf, dass es weitergeht. Auch der Spitzname "Il Divo", der in radikalem Widerspruch zur Meinung des Magazins "Panorama" steht (es taufte ihn "Belzebù"), trifft zu. Während Andreottis Mitstreiter, die nach Art eines Leone-Westerns eingeführt werden, einer nach dem anderen von Attentaten oder von der Justiz aus dem Verkehr gezogen werden, scheint er selbst unverwundbar zu sein.
Il divo geht nicht nur in der Erzählweise locker mit den üblichen Vorgaben an einen Film um, er ist auch bildlich relativ eigen. Dies trägt zwar teilweise etwas exzentrische Züge - die Skateboard-Szene in der Mitte des Films hat den unangenehmen "What the hell?!"-Effekt - ist aber ansonsten recht wirksam und vermag durchaus zu überzeugen.
Paolo Sorrentino hat Giulio Andreotti ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt, was an seiner Unangreifbarkeit aber wohl nicht allzu viel ändert. Dennoch beeindruckt Il divo mit einer wortlosen Eloquenz, eleganten Bildern, satirischem Unterton und einem Toni Servillo in Hochform. Der Reigen dauert knapp 110 Minuten und hinterlässt genug Gesprächsstoff, um sich den Rest des Tages zu vertreiben. Sollte man aber auf die Idee verfallen, sich zu notieren, wer im Film mit wem und wieso, dann endet man wie Giulio Andreotti: Mit nicht enden wollendem Kopfweh.
Montag, 20. April 2009
The Boat That Rocked
3 Sterne
Spielt ein Film in den 1960er Jahren, zieht er fast sicher viele Zuschauer an, da diese an ihre Kindheit erinnert werden möchten. Dass dies einige Filmemacher zur Schlampigkeit verleitet, ist eine logische Folge. Richard Curtis' Hommage an die Piratenradios, die damals in der Nordsee ihr Unwesen trieben, ist auf der gleichen Wellenlänge. Über die Schauspieler und den Soundtrack wurde nicht hinausgedacht. Was passiert? Es entsteht ein überlanger Film, der sehr darum bemüht ist, nostalgisch zu wirken, dabei aber eine kohärente Story völlig ausser Acht lässt. Jugenderinnerung hin oder her, lieber Richard Curtis, aber auch dieses Thema ist kein Selbstläufer.
Als sich The Boat That Rocked dem Ende zuneigt, stellt eine Figur die Frage "Which news first? The bad news or the good news?", worauf geantwortet wird "Good news!". Um dem Film gerecht zu werden, sollen auch hier zuerst die positiven Aspekte von Curtis' Film besprochen werden. Das offensichtlichste und zugleich am einfachsten zu erhaltende Lob ist Verneigung vor dem Soundtrack. Leute, die in den 60ern aufwuchsen werden aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommen, wenn sie Songs wie "Jumpin' Jack Flash" oder "Father and Son" hören. Doch auch dort gibt es Einschränkungen. Es fehlen essentielle Melodien à la Beatles oder Bob Dylan, was zwar an den Lizenzen liegen wird, den Musikfreund aber dennoch enttäuscht. Wie dem auch sei, der Soundtrack von The Boat That Rocked böte die ideale Grundlage für einen Nostalgietrip in die wilden 60er. Auch die schrägen Figuren hätten als Nährboden für einen wirklich tollen Musikfilm in Richtung High Fidelity dienen können. Auch die Schauspielleistungen würden stimmen. Philip Seymour Hoffman und Bill Nighy machen sich souverän zum Affen. Entsprechend begeistern die beiden arrivierten Schauspieler am meisten. Unterstützt werden sie von erstklassigen Nebendarstellern, die fast ausnahmslos ihre Sache sehr gut machen. Angeführt werden diese von einem Rhys Ifans, der als Kult-DJ Gavin Kavanagh alle Register zieht. Und Nick Frost fühlte sich in seiner Rolle offensichtlich wohl, so wohl, dass er mehrfach oben ohne zu sehen ist. Für einen Mann seines Umfangs ist dies eine mutige Sache. Auch Kenneth Branagh bringt eine witzige Performance, wobei seine Gestik und Mimik sehr an John Cleese erinnern, was einen denken lässt, dass dieser auch eine gute Wahl gewesen wäre. Doch spätestens nach Branaghs zweitem Auftritt ist man mit ihm ebenso zufrieden, wie man es mit Cleese gewesen wäre.
Soviel zu den guten Seiten des Films. Die Negativpunkte sind schnell zusammengefasst. Die grösste Schwäche von The Boat That Rocked ist sein Drehbuch. Die Dialoge und die Musikanspielungen wären ja noch ganz passabel, doch Richard Curtis versteht offenbar nichts vom Entwickeln einer einigermassen sinnvollen Story. 100 lange Minuten ist kein Hauptplot erkennbar, ausser vielleicht Carls (Tom Sturridge) gescheiterte Versuche, entjungfert zu werden. Garniert wird das Ganze mit kleinen Einschüben, die zwar nett anzusehen, aber komplett nutzlos sind. So füllt eine hanebüchene Mutprobe, die sich The Count und Gavin liefern, ganze fünf Minuten, ohne dass diese Szene eine besondere Bewandtnis hätte. Immerhin kommt in der letzten halben Stunde noch so etwas wie eine Geschichte auf, die aber auf unerklärliche Weise die Form eines Katastrophenfilms annimmt. Wenigstens finden sich in dieser Phase des Films die besten Sprüche, sodass man auf den plötzlichen Genrewechsel gelassen reagieren kann. The Boat That Rocked passt storytechnisch hervorragend in Curtis' bisheriges Werk. Auch seine Hits Four Weddings and a Funeral und Love Actually zeichneten sich nicht gerade dadurch aus, dass sie eine gute Story hatten. Ein fast noch grösseres Problem stellt der Humor in The Boat That Rocked dar. Man hätte erwarten dürfen, dass in einem derartigen Film viel britischer Humor steckt. Weit gefehlt! Es gibt kaum je richtig etwas zu lachen. Auch ist der Streifen dafür, dass ein rebellisches Radioteam, welches 24 Stunden am Tag Rock'n'Roll sendet, im Mittelpunkt steht, schlichtweg zu brav. Biss oder Satire sind kaum vorhanden. Die diesbezüglich beste Szene ist die Gegenüberstellung von Weihnachten auf dem Boot und Weihnachten im Haus des Ministers Dormandy, die aber leider viel zu schnell vorbei ist. The Boat That Rocked ist bunt, laut, verfehlt aber auf der humoristischen Ebene das Ziel total. Wie bereits Krabat oder The Chronicles of Narnia: Prince Caspian ist Curtis' Film ein Ausbund an Gemütlichkeit, dem aber entscheidende Elemente zu einem richtig guten Film fehlen. Auch technisch ist der Film bei weitem nicht perfekt. Cutterin Emma E. Hickox pappte mehrmals Bilder der gleichen Einstellung zusammen, was stellenweise ziemlich amateurhaft aussieht.
The Boat That Rocked ist eine vergebene Chance. Die Musik, die Figuren, die Schauspieler - alles hätte gepasst. Doch dieser todsichere Treffer wurde durch ein fades Drehbuch und eine für britische Verhältnisse erschreckende Humorarmut verhindert. So bleibt am Ende lediglich die Freude an den Songs, den Anspielungen und den diversen Schauspielern, die einem teilweise über den schalen Rest hinweghilft. So hat die Nostalgie zumindest ein wenig ihr Ziel erreicht. The Boat That Rocked lässt sich mit einem Zitat von Reverend Timothy Lovejoy aus den Simpsons am besten zusammenfassen: "This sounds like Rock and/or Roll!"
Last Chance Harvey
3.5 Sterne
Liebesgeschichten, in welchen nicht junge, sondern etwas angejahrte Paare im Mittelpunkt stehen, sind eine Strategie, die Hollywood in letzter Zeit gerne verfolgt. Die Produzenten dieser Filme dürfen sich dann nämlich damit rühmen, einen Film gemacht zu haben, der "anders" oder gar "aussergewöhnlich" ist. Natürlich treffen derartige Bezeichnungen auf einige dieser Filme tatsächlich zu, so beispielsweise auf The Bridges of Madison County, wobei man den nicht direkt mit Hollywood gleichsetzen sollte. Joel Hopkins, ein knapp 40-jähriger Brite hat sich nun entschlossen, ebenfalls sein Glück mit dem zweiten Frühling zu versuchen - mit der zurückhaltenden Tragikomödie Last Chance Harvey.
Last Chance Harvey ist ein Film, der knapp 90 Minuten dauert, keine Längen hat, immer seinen Charme behält, aber weder beeindruckt, noch besonders bewegt. Das ist im Prinzip schon die ganze Rezension, denn mehr gibt Joel Hopkins' Streifen nicht her. Nun gut, es gibt Aspekte, die man trotz dieses sehr knappen Verdikts noch genauer beleuchten könnte. Zum Beispiel die Schauspieler. Das Golden-Globe-Komitee hat mit Dustin Hoffman und Emma Thompson die Richtigen nominiert. Dustin Hoffman, bekannt dafür, dass er schauspielerisch alle Register ziehen kann - siehe seine Paraderolle in Rain Man - überrascht mit einer leisen, beinahe schon schüchternen Darstellung von Harvey Shine, einem Mann, dessen grösste Gefühlsregung tränenverhangene Augen zu sein scheinen. Hoffman spielt routiniert und verzieht sein Gesicht mehrmals zu einem derart ungelenken Grinsen, dass er die Sympathien des Publikums mühelos gewinnt. Doch auch Emma Thompson zeigt, dass sie mehr ist als bloss die Zynikerin in mittleren Jahren, als die sie immer mal wieder agieren darf. Sie und Hoffman harmonieren sehr gut miteinander. Dies liegt nicht zuletzt am Drehbuch, welches zwar kein Meisterwerk an sich ist, hie und da aber doch mit guten Dialogen glänzt. Ansonsten ist Last Chance Harvey aber leider etwas ereignislos geraten. Zwar nicht langweilig, aber eben auch nicht besonders spannend. Dass dabei zu viele Klischees aus gängigen Rom-Coms übernommen wurden, macht das Ganze auch nicht besser. Um wirklich Substanz zu zeigen, braucht es mehr als das hübsche Gesichtchen von Liane Balaban, die Harveys Tochter, der zuviel Platz eingeräumt wird, mimt. Besser ist Joel Hopkins der winzige Nebenplot mit Kates Mutter, wunderbar gespielt von Eileen Atkins, gelungen, der fast ohne Worte auskommt und sich traut, etwas absurd und karikiert zu sein. Sehr gut macht sich auch die Figur Oonagh, die resolute Freundin von Kate. Bronagh Gallagher, die Irin aus dem Bilderbuch, verkauft sich hervorragend und sorgt sogar für ein paar Lacher, die der Film gut brauchen kann, da es ansonsten nicht richtig witzig zu- und hergeht.
Joel Hopkins' Film ist alles andere als neu. Im Grunde werden in Last Chance Harvey lediglich die typischen Anhaltspunkte der Liebeskomödie des 21. Jahrhunderts auf ein etwas reiferes Paar übertragen. Dadurch wirkt der Film zwar sympathischer, doch gleichzeitig bringt es ihn auch um die Originalität. Der Zuschauer erlebt während der ganzen Laufzeit keine einzige echte Überraschung und das retardierende Moment, welches zum Schluss noch eingefädelt wird, wirkt nur noch fadenscheinig. Das "Finale" von Last Chance Harvey macht den Anschein, als ob Hopkins dringend noch eine Reibung zwischen den Hauptfiguren hervorrufen wollte. Ganz offensichtlich ist der Regisseur noch zu unerfahren, um wirklich einen dichten Film zu schreiben. Er bemüht sich zu stark, möglichst viele Themen anzusprechen und verliert dabei manchmal etwas sein Hauptanliegen aus den Augen. Es überrascht überhaupt nicht, dass Hopkins hat vor Last Chance Harvey erst zwei Filme gemacht hat.
Ein kleines Kompliment sollte dem Kameramann John de Borman gemacht werden. Zwar würde man diverse Bilder von ihm eher in einem Arthouse-Film vermuten, doch trotzdem bindet er London, in welchem ungewohnt schönes Wetter herrscht, sehr gekonnt in die Geschichte ein.
Last Chance Harvey ist auf eine Art ein sehr seltsames Stück Film. Er plätschert vorbei, doch es passiert etwas. Es geht mehr oder weniger romantisch zu und her, doch bewegt wird man kaum. Es geht um ein nicht mehr ganz junges Paar, doch es kommen überdurchschnittlich viele junge Leute vor. Aber möglicherweise ist der Autor dieses Textes schlicht und ergreifend zu jung, um Last Chance Harvey richtig zu deuten.
Mit Last Chance Harvey ist die Jahreszeit der Rom-Coms lanciert. Der Kinozuschauer wird sich nun auf einige flaue Monate einstellen müssen. Joel Hopkins' Film ist nett, aber nichts für die Ewigkeit. Ein anspruchsloser Streifen sieht anders aus, doch viel steckt nicht in Last Chance Harvey. Er muss leider auf die Stufe einer guten Hollywood-Romanze gestellt werden. Doch wer weiss? Der eine oder andere Zuschauer verguckt sich vielleicht sogar in das schöne Setting oder die Idee der Liebe, die jedem Widerstand trotzt. Frühlingsgefühle ahoi!
Samstag, 11. April 2009
Je ne suis pas là pour être aimé
6 Sterne
Eines der am meisten verkanntesten Filmländer Europas ist zweifellos Frankreich. Das Land, welches uns Regisseure wie Marcel Carné, Jean-Pierre Melville, Claude Chabrol oder René Clément - eine mehr als nur unvollständige Aufzählung - gebracht hat, führt neben der amerikanischen und britischen Filmindustrie ein unverdientes Schattendasein. Besonders auch im deutschsprachigen Raum stossen französische Projekte gerne auf taube Ohren. Die Ausnahme bildete 2008 Bienvenue chez les Ch'tis, da dieser in Frankreich alle Rekorde brach. Stéphane Brizés kleiner Film Je ne suis pas là pour être aimé hingegen ist ein Beispiel eines französischen Films, der erst spät in der Schweiz ins Kino kommt und dann erst noch keine Seele anlockt - was nur einmal mehr beweist, dass sich Qualität nicht am Umsatz messen lässt.
Die Story von Je ne suis pas là pour être aimé mag einem auf den ersten Blick etwas einfach, wenn nicht sogar banal vorkommen. Ein Mann hat kein besonders tolles Leben, er nimmt Tanzstunden und lernt eine jüngere verlobte Frau kennen. Dass allein dies den durchschnittlichen Kinogänger schon abzuschrecken vermag, ist eine traurige Entwicklung.
Je ne suis pas là pour être aimé ist Geschmackssache, keine Frage. Der Film schlägt ein gemächliches Tempo an und geht es einmal rasant zu und her, dann wird Tango getanzt. Jede einzelne Tanzszene ist ungeschnitten und wird bis zum letzten Schritt gezeigt. Was sich während des Tanzens abspielt, zeugt von einer meisterhaften Regie. Die Gefühle der Protagonisten werden einem in diesen Szenen sehr subtil vor Augen geführt. Auch beim Drehbuch hat Stéphane Brizé, gemeinsam mit Juliette Sales, ganze Arbeit geleistet. Der Film kommt mit relativ wenig Dialog aus und setzt gekonnt auf das Mienenspiel der einzelnen Darsteller. In dieser Beziehung ist Patrick Chesnais schlichtweg umwerfend. Sein Jean-Claude ist ein schüchterner, innerlich aber sehr temperamentvoller Gallier der alten Schule. Chesnais und dem Nebendarsteller Lionel Abelanski ist es zu verdanken, dass einem Je ne suis pas là pour être aimé immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Ausserdem geht es hie und da mit einer herrlichen Lakonie zu, die nur die Franzosen (und vielleicht noch die Briten) derart trocken hinbekommen. Unterstützt wird Chesnais von einer starken Anne Consigny, mit der er bereits in Le scaphandre et le papillon vor der Kamera stand, und einem grummligen Georges Wilson. Besonders letzterer trägt viel zur Überzeugungskraft des Films bei. Brizé hat mit Jean-Claudes Vater, gespielt von Wilson, eine Figur geschaffen, die - analog zum Film selber - sehr nah am wahren Leben ist. Der Vater, der seine Gefühle, die er seinem Sohn gegenüber hegt, nicht zeigen kann, ist zwar kein neues Prinzip, wird in diesem Film aber auf eine derart intensive, tragische, doch gleichzeitig auch berührende Weise präsentiert, dass man Brizé dankbar ist, dass er diese Facette des Lebens ebenfalls anspricht. Das überzeugende Spiel von Georges Wilson setzt diesem Aspekt des Films letztendlich noch die Krone auf. Man kann vorbehaltlos zugeben, dass Chesnais, Consigny und Wilson ihre César-Nominationen mehr als verdient haben.
Das Erstaunliche an Je ne suis pas là pour être aimé ist, dass es Stéphane Brizé und Juliette Sales geschafft haben, in einen nur 93-minütigen Film so viele Seiten des Lebens zu packen, ohne dass dieser überladen wirkt. Brizés Film strotzt nur so vor Menschlichkeit und geht sorgfältig auf die verschiedenen Themen ein und behandelt sie alles andere als oberflächlich. Während des ganzen Films ist auch nie etwas von Kitsch oder Heuchelei zu spüren - eine grosse Leistung für einen Film, der unter anderem eine Romanze ist. Die Liebesgeschichte, die in Je ne suis pas là pour être aimé erzählt wird, erinnert sehr an Billy Wilders Meisterwerk The Apartment. In beiden Filmen wird in einer Art, die noch jeden mitzureissen vermag ohne grosse Sentimentalität die Möglichkeit einer unmöglichen Liebe thematisiert. Während The Apartment aber vor allem auf der satirischen Ebene funktioniert, legt Stéphane Brizé mehr Wert auf die Gefühlsentwicklung seiner Protagonisten. Auch in diesem Punkt ist sein Film sehr nah am wahren Leben. Sobald man einen verloren geglaubten Gegenstand wiederfindet, büsst dieser einen grossen Teil seines emotionalen Werts ein. Wie Patrick Chesnais diese komplizierte, aber dennoch höchst reale Entwicklung spielt, zeugt von seinem riesigen schauspielerischen Talent. Ein weiteres Kompliment verdiente sich die Person, die für die Choreografie zuständig war. Die Tanzszenen wurden nämlich mit viel Fachverstand inszeniert, das dürfte auch einem Laien, zu denen auch dieser begeisterte Kritiker gehört, auffallen.
Je ne suis pas là pour être aimé ist französisches Auteur-Kino auf höchstem Niveau. Regisseur Stépahne Brizé entführt den Zuschauer für 93 Minuten in die triste Welt von Jean-Claude und konfrontiert uns mit dessen Problemen und seinen Lösungen dafür. Den Film darf man wohl getrost als bisherigen Höhepunkt in Brizés Filmschaffen werten, da sein letzter Film - Entre adultes - angeblich nie die Klasse von Je ne suis pas là pour être aimé erreicht. Sollte jemand der Hollywood-Romanzen überdrüssig sein, dem sei Brizés Meisterstück von Herzen empfohlen. Grosse französische Gefühle im bescheidenen Rahmen - wie gemacht für den beginnenden Frühling.
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