Freitag, 10. Juli 2009

I'm Not There

5.5 Sterne

Die Filmindustrie mag Figuren, welche sich in ständigem Wandel befinden, Figuren, welche ihrer Zeit voraus sind und scheinbar unbegrenzten Einfluss auf andere Menschen haben. Die grösste derartige Figur ist zweifelsfrei Bob Dylan, der seit nun schon fast 50 Jahren sein Publikum entweder begeistert oder vor den Kopf stösst und sich dabei immer wieder neu erfindet. Umso erstaunlicher ist es, dass sich noch nie jemand anhand eines Spielfilms seiner annehmen wollte. Die Kultdokus Don't Look Back von D.A. Pennebaker und No Direction Home von Martin Scorsese stehen gemeinsam mit dem von Dylan selbst inszenierten Stück Exzentrik Renaldo and Clara allein im Raum der Bob-Dylan-Filme. Und dann kam im Jahre 2007 Todd Haynes, der sich dem Musiker auf die einzig wahre Art näherte: Dylanesk.

I'm Not There ist ein seltsames und vielschichtiges Filmmärchen, das bei Menschen, welche sich nicht für Musik interessieren wohl nur Kopfkratzen auslöst. Todd Haynes' Film dreht sich um sechs Figuren, welche, wenn man sie zu einer Person zusammenschmelzen würde, Bob Dylan, dessen Name, ausser im Vorspann, nie genannt wird, ergeben würden. Keine der miteinander verwobenen Episoden folgt einer stringenten Handlung. Jeder Teil des Films beinhaltet wahre, erfundene, erträumte und angedeutete Geschichten aus dem Leben des Mannes, der seine Fans mit Hochgenuss auf den Arm nimmt und ihnen in seinen Songs mit schöner Regelmässigkeit Rätsel aufgibt.

Dylans Songs spielen in I'm Not There eine zentrale Rolle. Entweder untermalen sie das Geschehen sehr passend oder sie dienen als Rahmenhandlung für eine Episode - so zum Beispiel die Anti-Journalisten-Tirade "Ballad of a Thin Man", welche quasi das Herzstück des Jude-Quinn-Teils, darauf wird später noch eingegangen, bildet. Das Leitmotiv des ganzen Films ist aber weder "Ballad of a Thin Man", noch der bis dato nie veröffentlichte und titelgebende Song "I'm Not There" und auch nicht Dylans bekanntestes Lied "Like a Rolling Stone", sondern das düstere "Cold Irons Bound", welches immer wieder angedeutet wird und letztendlich gespielt wird, als der Rockstar Jude Quinn, gespielt von Cate Blanchett, an seinem Tiefpunkt angelangt ist. Apropos Cate Blanchett: Wer I'm Not There gesehen hat, muss sich fragen, warum diese Frau für ihre Leistung nicht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde - besonders wenn man ihre Performance mit der Sieger-Performance, Tilda Swinton in Michael Clayton, vergleicht. Den Golden Globe hat sie sich geschnappt, ja, doch weshalb nicht auch gleich den Academy Award? Wir werden es nie erfahren. Was bleibt, ist die Bewunderung für Blanchett, die Dylan in seiner androgynsten Phase, Zeitraum 1966, spielt. Sie lebt den legendären Musiker in jeder spastischen Bewegung, in jeder kryptischen Äusserung und in jeder hämischen Aussage. Dass sie eine würdige Darstellerin ist, wird einem spätestens bei der Aufbereitung des berühmt gewordenen "Royal Albert Hall"-Konzerts, klar. Ihre Antwort auf die "Judas!"-Rufe aus dem Publikum machen es endgültig ersichtlich: Cate Blanchett spielt Bob Dylan nicht einfach, sie lebt ihn. Doch genau darin liegt die einzige kleine Schwäche von I'm Not There. Durch ihre Performance werden die Leistungen ihrer Kollegen fast etwas zurückgestuft. Dies soll aber nicht heissen, dass die restlichen fünf Darsteller, welche getrennt gearbeitet haben, nicht gut spielen. Im Gegenteil: Mit Marcus Carl Franklin macht ein junger, talentierter Schauspieler auf sich aufmerksam. Er verkörpert den jungen Dylan, der so sehr wie sein Vorbild Woody Guthrie sein wollte, mit viel Eifer und einer gehörigen Portion Selbstironie. Auch Richard Gere als Billy the Kid und Ben Whishaw als Arthur Rimbaud machen ihre Sache mehr als gut. Besonders letzterer, der nicht viel mehr zu tun hat, als ein Interview von Dylan aus dem Jahre 1965 zu rezitieren, beeindruckt als Quasi-Erzähler, eine Rolle, die er mit dem bekannten Country/Folk-Musiker Kris Kristofferson teilt. Wenig Arbeit hat Christian Bale, der als Protestsänger, der grösstenteils in Archivaufnahmen aufzutreten hat, zu sehen ist. Und dann bliebe noch Heath Ledger in seiner drittletzten Rolle. Er wäre wohl der einzige Grund für einen Nicht-Musikfreund, sich I'm Not There anzusehen, da er den Familienmenschen Bob Dylan verkörpert und sich daher wenig um Musik zu kümmern hat. Die restlichen Schauspieler sind schnell beschrieben. Da wäre eine Charlotte Gainsbourg, Tochter des Chansonniers Serge Gainsbourg, welche Heath Ledger als Ehefrau zur Seite steht, dies aber nicht ohne Mühen. Eine Julianne Moore, welche in die Rolle von Joan Baez schlüpft (aber mit einem anderen Namen), um in einer No-Direction-Home-Hommage mitzuspielen, darf ebenfalls bewundert werden. Und Bruce Greenwood spielt sich als doppelter Antagonist, einmal als Mr. Jones und einmal als Pat Garrett, in die Herzen der Dylanologen.

Besonderes Augenmerk ist auf die Inszenierung und das Drehbuch von I'm Not There zu richten. Todd Haynes hat es als Regisseur und Drehbuchautor hervorragend verstanden, Elemente aus Bob-Dylan-Songs auf die Leinwand zu übertragen. So werden dem Zuschauer die Linien "I saw guns and sharp swords in the hands of young children" und "I met a young child beside a dead pony" aus "A Hard Rain's a-Gonna Fall" in einer einzelnen Einstellung serviert. Zwar werden diese Anspielungen, vor allem wenn sie aus den Mündern der Akteure kommen, teilweise etwas überstrapaziert (Jude Quinn: "Yeah, just like a woman!"), doch für Dylanologen ist das musikalische "Wo ist Walter?"-Spiel die reinste Freude. Doch auch wenn keine Songs zitiert werden, ist das Drehbuch von Todd Haynes und Oren Moverman durch und durch dylanesk. Etwa wenn Kris Kristofferson am Anfang des Films, ähnlich wie eine Anklageschrift, "A devouring public can now share the remains of his sickness, and his phone numbers. There he lay: poet, prophet, outlaw, fake, star of electricity [eine Anspielung auf den Song "Visions of Johanna"]. Nailed by a peeping tom, who would soon discover: even the ghost was more than one person." verliest.

Über den Soundtrack muss nicht mehr viel gesagt werden, zumal sich die Musik im Film und die Musik auf der CD stark voneinander unterscheiden. Dennoch sei jedem Fan von Bob Dylan der Kauf des Soundtracks empfohlen.

Wer sich auf eine 130-minütige musikalische Achterbahn begeben will, sollte sich I'm Not There auf jeden Fall ansehen. Der Film kommt zwar nicht an ein Bob-Dylan-Konzert heran, doch trotzdem erfüllt er seinen Zweck: Man taucht in eine Welt voller Erfindungsreichtum, Selbstironie und Geschichtsbewusstsein ein. I'm Not There endet in jedem Punkt offen, aber irgendwie versöhnlich. Und schlussendlich ist Dylan höchstpersönlich zu sehen, wie er seine Mundharmonika bearbeitet und langsam im Dunkeln verschwindet. Und doch wird in die Zukunft geblickt - und gleichzeitig beziehen sich die letzten gesprochenen Worte des Films auf Dylans gesamte Karriere: "There's no telling what can happen."

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