Donnerstag, 4. Juni 2015

Das ewige Leben

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Auch in seinem vierten Leinwandabenteuer widersetzt sich der gescheiterte Privatdetektiv Simon Brenner, gespielt vom österreichischen Kabarettisten Josef Hader, den Konventionen des Sonntagabendkrimis. Das ewige Leben ist eine unbequeme Groteske über den Mythos der unanfechtbaren Wahrheit.

Inzwischen ist es beinahe vermessen, "den Brenner" überhaupt als Detektiv zu bezeichnen. Schon in Wolfgang Murnbergers ersten drei Verfilmungen von Wolf Haas' Kriminalromanen stolperte der beharrlich am Existenzminimum lebende Wahl-Wiener öfters eher zur Lösung seiner vertrackten Fälle, als dass er sich in professioneller Manier ans Ziel kombiniert hätte. Doch stets spielte er eine zentrale Rolle – in der Aufklärung einer Mordserie, welche in Komm, süßer Tod (2000) die Wiener Krankenwagen heimsuchte; im Versuch, in Silentium (2004) die finsteren Machenschaften hinter den Salzburger Festspielen aufzuklären; im Entwirren eines Tohuwabohus aus Menschenhandel, Prostitution, Entführung und vermeintlichen Todesfällen in Der Knochenmann (2009). Ein verhörender, messerscharf räsonierender Philip Marlowe war Brenner – von Josef Hader, der gemeinsam mit Murnberger und Haas für die Drehbücher dieser Filme zeichnet, mit missmutigem Schalk und nicht selten blanker Misanthropie verkörpert – noch nie; doch in Das ewige Leben mutiert seine weltmüde Lakonie vollends zu bleierner Passivität.

Dieser neue Brenner ermittelt nicht; er lässt sich vom Lauf der Ereignisse treiben. Arbeits- und mittellos kehrt er, voller Widerwillen, in sein heimisches Graz zurück, wo ihm sein Vater eine Ruine von einem Haus hinterlassen hat. In der Stadt seiner Jugendjahre angekommen, stattet er, geplagt von heftigen Migräneschüben und traumatischen Erinnerungen an seine Vergangenheit, seinem alten Freund Köck (Roland Düringer) einen Besuch ab; wenig später schaut mit dem Polizeivorsteher Aschenbrenner (Tobias Moretti) ein weiteres Gesicht von früher vorbei. Und plötzlich liegt Brenner mit einer selbst beigebrachten Kopfschuss-Wunde im Spital.

"Jetzt ist schon wieder was passiert": Sein neuester Fall führt Privatdetektiv Simon Brenner (Josef Hader, rechts) ins triste Graz.
© look now
Was folgt, trägt zwar ästhetisch wie erzählerisch die Spuren eines Krimis, weigert sich aber standhaft, einer klar erkennbaren Formel zu folgen. Es gibt Tote zu beklagen, deren Schicksal mit den metaphorischen Leichen in Brenners Keller zusammenhängen; Verschwörung liegt in der Luft – doch die Hauptfigur leidet an Amnesie, schlurft ohne jeden Hinweis von Ort zu Ort, verkommt inmitten gross angelegter Ermittlungen zur Marginalie. Brenner rollt Vergangenheit und Fall nicht auf, sondern wird buchstäblich von ihnen eingeholt. Selbst dem viel gelobten schwarzen Humor seiner Vorgänger erteilt Das ewige Leben zu einem gewissen Grad eine Absage: Es überwiegt die Tristesse von Graz, einer Stadt, die in den Achtzigerjahren stehengeblieben zu sein scheint; das Ganze ist noch trübsinniger, noch grauer als man es sich vom Trio Murnberger, Haas und Hader gewohnt ist; die sporadischen Lacher haben die Tendenz, einem im Halse stecken zu bleiben.

Insofern hat Murnbergers Film in mancherlei Hinsicht etwas von Paul Thomas Andersons Thomas-Pynchon-Adaption Inherent Vice. Der Detektiv – seit jeher die Figur, die Licht ins Dunkel bringt und die Welt vom Fluch des Unwissens befreit – scheitert nicht nur; er versinkt in der Fülle von fragmentierten Informationen, die er eigentlich zu ordnen hat; er wird vom Chaos, das er erklären soll, dermassen überragt, dass Apathie und Gleichmut im Endeffekt seine einzige Chance sind, bei Verstand zu bleiben. Das ewige Leben ist ein raffinierter, nichtsdestoweniger höchst unterhaltsamer Antikrimi, der nicht auf eine harmonische Auflösung aller im Zuge der Ermittlung aufgeworfenen Konflikte zusteuert, sondern letztendlich auf die ernüchternde Erkentnis hinausläuft, dass Wahrheit keine universelle Konstante ist. Schliesslich steht jede Figur mit ihrer eigenen, sich selber zurecht gelegten Interpretation der Geschehnisse da. So auch der Zuschauer: Der Brenner hat mal wieder einen Fall gelöst – irgendwie.

★★★★

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