Donnerstag, 23. April 2015

Les combattants

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Kaum ein anderes europäisches Land verfügt über einen so reichhaltigen und hochkarätigen Fundus an Regisseuren wie Frankreich. Mit dem 34-jährigen Thomas Cailley ist nun einem weiteren viel versprechenden Talent der Durchbruch gelungen. Sein Les combattants ist ein furioser Spielfilmerstling.

Wozu geht man heute eigentlich noch ins Militär? Die Kriege der Zukunft werden, so scheint es, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf offenem Schlachtfeld geführt; die Zeiten, in denen Wehrdienst zu einem respektablen Lebenslauf gehörte, neigen sich unaufhaltsam ihrem Ende zu; "Vaterlandsverteidigung" klingt im Zeitalter von Globalisierung, digitaler Vernetztheit und migrationsbedingter Multinationalität nach reaktionärem Festhalten an einer verschwundenen Vergangenheit. Es sind entsprechend auch nicht die grossen romantischen Vorstellungen von Heldentum und Bürgepflicht, die Arnaud (Kévin Azaïs) und Madeleine (Adèle Haenel) in Les combattants dazu animieren, sich zu einem sommerlichen Armee-Vorkurs im Südwesten Frankreichs zu melden. Während für den Zimmermann-Lehrling Arnaud die Armée de terre einen Ausbruch aus dem allzu geregelten Alltag und eine Staatsanstellung mit Aufstiegsmöglichkeiten darstellt, ist die forsche Madeleine fest davon überzeugt, der Welt stehe der gesellschaftliche Kollaps bevor, nach welchem fortgeschrittene Überlebenstechniken den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen werden. Das Militär ist nicht viel mehr als ein weiterer, letztlich defunkter Staatsbetrieb, der sein Personal mit krisenfesten Stellen anlockt – oder, in Madeleines Fall, als Vorbereitung auf eine staatenlose Zukunft dient. (Cailley zielt zwar in eine völlig andere Richtung, doch wer nach realen Parallelen zu Madeleines Motivation sucht, wird sich an die Hintergrundgeschichten europäischer IS-Rekruten erinnert fühlen.)

In dieser Schlussfolgerung findet Regisseur und Autor Cailley beträchtliches komisches Material (Stichwort: Nicolas Wanczycki als Oberleutnant Schleiffer); es ist keine grosse Überraschung, dass sich die lustigsten Momente des als Liebeskomödie vermarkteten Les combattants während des militärischen "Praktikums" von Arnaud und Madeleine abspielen. Dem Film ist aber weder daran gelegen, die geschichtsträchtige Armée française zu demontieren – die sanften Anlehnungen an Full Metal Jacket ergeben sich eher aus dem Schauplatz als auf Grund satirischer Hintergedanken –, noch daran, sie ins Lächerliche zu ziehen. Vielmehr stellt sie für Cailley ein weiteres Mosaikstück in der Desillusionierung seiner Protagonisten dar, jungen Franzosen um die 20, die versuchen, unter den gegebenen Umständen ihrem Leben einen Sinn zu geben, während die politischen Altherrschaften in Paris noch immer Grundsatzdiskussionen über Realitäten wie Einwanderer-Integration und die liberale Gesellschaft führen.

Zimmermann Arnaud (Kévin Azaïs) und die eigenwillige Pessimistin Madeleine (Adèle Haenel) nehmen aus unterschiedlichen Gründen an einem Militär-Vorkurs teil.
© filmcoopi
Les combattants ist in vielerlei Hinsicht ein grossartiger Film über die Stimmung in der (jungen) Mitte der französischen Gesellschaft, ohne dass Themen wie Klasse, Xenophobie oder Tagespolitik jemals explizit angeschnitten würden. In unaufdringlichen, aber maximal ausdrucksstarken Bildern erzählt Cailley eine zutiefst menschliche Geschichte über Selbstverwirklichung, Pflichtbewusstsein, Liebe und das Umgehen mit den Anforderungen, die das Leben an einen stellt. Eine Geschichte, in die es sich einzutauchen lohnt, auch dank zweier herausragender Hauptdarsteller, die es schaffen, ihren auf unterschiedliche Art und Weise unnahbaren Charakteren – Madeleine evoziert zuweilen den von Katastrophen besessenen Heinrich Gladney in Don DeLillos Roman White Noise – eine faszinierend intime Note zu verleihen. Von Thomas Cailley wird man in der Filmwelt bestimmt wieder hören.

★★★★★

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