Donnerstag, 2. April 2015

Une nouvelle amie

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Mit Une nouvelle amie, der Verfilmung einer Ruth-Rendell-Kurzgeschichte um Freundschaft, Transvestitismus und gesellschaftliche Normen, erteilt der gefeierte Regisseur von 8 femmes, Swimming Pool und Potiche dem heteronormativen Spiessbürgertum einmal mehr eine süffisant-provokante Absage.

Dem Franzosen François Ozon seine unübersehbare Affinität zu den erzählerischen Konventionen des klassischen Hollywood-Melodramas zum Vorwurf machen zu wollen, käme dem Versuch gleich, Woody Allen dafür zu kritisieren, dass in seinen Filmen zu oft neurotische New Yorker Intellektuelle im Mittelpunkt stehen. Ozon liebt die gross geschriebene Emotionalität, die dramatische Intrige, das Anziehen der psychologischen Schraube, den unwahrscheinlichen Zufall, der das Leben seiner Figuren für immer verändert. In Werken wie 8 femmes, Dans la maison und Jeune & Jolie ist der Einfluss von Classic-Hollywood-Genre-Giganten wie Wyler, Hitchcock und Sirk mindestens ebenso spürbar wie derjenige europäischer Provokateure Buñuel, Antonioni, Fassbinder und Almodóvar, mit denen der 47-jährige Ozon immer wieder gerne verglichen wird.

Auch Une nouvelle amie ist geprägt von emotionaler Überhöhung, expressiver Musikuntermalung und einem Plot, der wiederholt den Realismus der zweckdienlichen Wendung unterordnet; derweil dem allzu sauberen Ende sowohl die konkrete logische Herleitung als auch die dramatische Notwendigkeit fehlt. Doch auch wenn der Film der narrativen Finesse eines Dans la maison oder der radikalen Subversion eines Jeune & Jolie letztlich nicht das Wasser reichen kann, überzeugt Ozons Adaption von Ruth Rendells Erzählung The New Girlfriend aus dem Jahr 1985 dennoch als hintersinnig-geschmackvolles Porträt der Existenz abseits der gesellschaftlichen Mitte. Die Figuren entstammen der Haute Bourgeoisie, einem semifiktiven Frankreich der Landsitze und der amerikanisch anmutenden Suburbia-Paläste. In diesem Umfeld sind Laura (Isild Le Besco) und Claire (Anaïs Demoustier) in den Achtziger- und Neunzigerjahren aufgewachsen; beste Freundinnen sind sie bis heute geblieben. Nachdem Laura aber einer nicht näher definierten Krankheit erliegt, wird Claire von tiefer Schwermut erfasst. Unterstützt von ihrem Mann (Raphaël Personnaz), sucht sie deswegen den Kontakt zu Lauras Witwer David (Romain Duris), den sie während eines Besuchs dabei ertappt, wie er in Frauenkleidern seine wenige Monate alte Tochter in den Schlaf wiegt. David gesteht ihr, ein Transvestit zu sein – ein Geheimnis, das von ihm und Laura jahrelang gehütet wurde.

Claire (Anaïs Demoustier) freundet sich mit David (Romain Duris), dem Witwer ihrer besten Freundin, an. Doch er hat ein Geheimnis: Er ist ein Transvestit.
© filmcoopi
Die Stärke dieses Films liegt nicht in der Geschichte, die Ozon seiner Ausgangssituation entlockt. Vielmehr glänzt Une nouvelle amie mit den Möglichkeiten, die er andeutet – so etwa Claires latente Bisexualität –, mit seinem feinen Gespür für die Figurenentwicklung und mit seinem enthusiastischen Aufruf dazu, sich von starren Geschlechter-Rollenbildern und der veralteten Idee, Sexualität sei eine bipolare Angelegenheit, zu verabschieden. Nicht zufällig gehören die Szene, in der David die Wiederentdeckung seiner inneren Weiblichkeit schildert, sowie sein und Claires Besuch in einem Travestie-Cabaret zu den ergreifendsten Momenten des Films. Wie noch kaum einem Regisseur vor ihm – mögliche Ausnahme: Fassbinder – ist es Ozon gelungen, die spektrale Natur der sexuellen Identität des Menschen mit grandioser Schlichtheit auf den Punkt zu bringen. Als schauspielerischer Höhepunkt bleibt indes die zurückhaltende Darbietung von Romain Duris in Erinnerung, der dafür zurecht mit einer César-Nomination – seiner bereits fünften – bedacht wurde. Seine Darstellung von David ist getränkt von einer subtil zur Schau gestellten Traurigkeit, welche in ihren besten Momenten an Jean-Louis Barraults wegweisende Darbietung als Pantomime Baptiste Deburau in Marcel Carnés epochalem Les enfants du paradis erinnert. Wie Deburau leidet auch David unter den Erwartungen einer Welt, die nicht sein wahres Ich, sondern nur seine selbstverleugnende Verkleidung – die des gewöhnlichen, "aufrechten" Bürgers – akzeptiert.

★★★★

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