Montag, 22. November 2010

Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 1

Weitergabe des Auftrags: Noch-Zaubereiminister Rufus Scrimgeour (Bill Nighy, links) verliest das Testament von Albus Dumbledore, der Harry (Daniel Radcliffe, rechts), Ron (Rupert Grint) und Hermione (Emma Watson) einige Dinge hinterlassen hat.
 
5.5 Sterne

Als bekanntgegeben wurde, dass Harry Potter and the Deathly Hallows in zwei Teilen veröffentlicht würde, überschlugen sich die zynischen Kommentare unter Filmkennern und Buchfans: Warner Brothers wolle seine goldene Gans noch so lange wie möglich ausschlachten, das Ganze sei eine gigantische Geldmacherei und den treuen Harry-Potter-Freaks werde das Geld schamlos aus der Tasche gezogen - dies waren Äusserungen, die man allenthalben hören konnte. Dabei war die Zweiteilung der Geschichte vermutlich die beste Idee, welche die Produzenten für die Filmserie je hatten. Als Einzelfilm hätte die Verfilmung des letzten Teils von J.K. Rowlings Saga wohl alle enttäuscht; zu dicht ist die Handlung, zu viele Handlungsstränge und Charakterkonflikte werden zusammengeführt und aufgelöst. Harry Potter and the Deathly Hallows - Part 1 dürfte die meisten Kritiker befriedigen. Und obwohl der Film nicht perfekt ist, so ist es doch irgendwie die Harry-Potter-Verfilmung, die wir uns alle ursprünglich erträumt haben.

Die Qualität der Tragödie erster Teil kann im Prinzip mit einem einzigen Satz beschrieben werden: Wo Harry Potter and the Half-Blood Prince schwächelte, triumphiert sein Nachfolger - und umgekehrt, mehr oder weniger. Drehbuchautor Steve Kloves brachte 2009 das Kunststück fertig, die heterogene Geschichte des sechsten Harry-Potter-Bandes, dem etwas der rote Faden fehlte, in einen verdichteten, stringenten Film zu verwandeln. Dafür musste man als Buchkenner allerdings den stellenweise etwas zu lockeren Umgang mit der ursprünglichen Story hinnehmen. Scheinbar sinnlose Dinge wurden dazugedichtet, essentielle Eckpunkte des Plots wurden übergangen oder radikal gekürzt. Das gibt es bei Harry Potter and the Deathly Hallows - Part 1 nicht. Keiner der vergangenen sechs Filme - inklusive diejenigen unter der Regie von Chris Columbus - hält sich so genau an die literarische Vorlage wie David Yates' neuster Wurf. Kaum eine entscheidende Szene fehlt, keine Sequenz widerspricht der Aussage des Buches, kleine Details, welche auch in geschriebener Form den Plot nicht zwingend vorantreiben - beispielsweise die Staubfigur von Albus Dumbledore, die Eindringlinge aus Sirius Blacks altem Haus vertreiben soll -, werden gezeigt, "vergessene" Charaktere rücken endlich etwas mehr in den Vordergrund - allen voran Mundungus Fletcher -, und Dialoge werden Wort für Wort wiedergegeben - etwa der unübersetzbare und wunderbar lakonische "Hol(e)y"-Dialog der Weasley-Zwillinge Fred und George oder Hauself Dobbys fantastischer Einzeiler "Dobby never meant to kill; Dobby only meant to maim... or seriously injure!". Der Grund für diese plötzliche Detailverliebtheit, die wohl jeden eingefleischten Fan der Materie erfreuen wird, ist in der Geschichte selbst zu suchen: Harry Potter and the Deathly Hallows ist das einzige Buch der Serie, welchem nicht der Schullalltag in Hogwarts zugrunde liegt. So verliert die Handlung die Kapazität zu mäandern und grössere Umwege zu nehmen. Zwar enthält auch der siebte Teil so etwas wie Nebenplots, aber da sich diese ausschliesslich um die drei Hauptfiguren drehen und direkten Einfluss auf den Lauf der Geschichte nehmen, konnten es sich David Yates und Steve Kloves nicht leisten, sich gross an ihnen zu vergreifen. Doch was hat Harry Potter and the Half-Blood Prince nun seinem Nachfolger voraus? Die Stringenz. Diese fehlt dem neuen Film etwas. Dennoch kommt keinerlei Langeweile auf, da das Geschehen immer zu begeistern vermag.

Aber Kloves' Drehbuch beschränkt sich nicht nur auf das genaue Wiedergeben der Originalstory. Harry Potter and the Deathly Hallows ist ein Buch, welches sehr viel Wert darauf legt, was in den Köpfen der Charaktere vor sich geht. Kloves hat es gemeinsam mit Regisseur Yates und Kameramann Eduardo Serra, der in einigen Szenen so einfallsreich mit Licht und Schatten spielt, dass man das Gefühl hat, Bruno Delbonnel wäre immer noch am Werk, wunderbar verstanden, die emotionalen inneren Konflikte der Protagonisten fast wortlos wiederzugeben. Eine diesbezügliche Schlüsselszene ist die erste des Films: Hermione löscht die Erinnerungen ihrer Eltern an sie, Harry sieht mit unverkennbar melancholischer Miene zu, wie sich die von ihm eigentlich gehassten Dursleys in Sicherheit bringen, und Ron distanziert sich langsam von der Geborgenheit seiner Familie - alle drei schliessen auf ihre eigene Art mit ihrer Kindheit ab und stellen sich ihrem Schicksal.

Auch glänzt der Film durch Experimente, von denen man in der Serie bisher noch nicht allzu viele sehen durfte. Die von Hermione vorgelesene Fabel der drei Brüder - die Geschichte der Heiligtümer des Todes - wird dem Zuschauer zum Beispiel als animierte Sequenz mit schemenhaften Figuren präsentiert - ein Treffer ins Schwarze: Die Szene ist eine der besten der Serie. Diese Freiheiten, die sich die Filmemacher nahmen, zeigen sehr schön auf, warum die Entscheidung, Harry Potter and the Deathly Hallows in zwei Teile zu teilen, eine brillante Eingebung war: Einerseits fällt jeglicher Zeitdruck von der Geschichte ab, weshalb sie sich vollständig entfalten kann und einen eleganteren Erzählfluss und eine detailliertere Charakterstudie erlaubt; andererseits schliessen sich bei so viel zur Verfügung stehender Zeit filmische Eigenständigkeit und Werktreue nicht aus. Ausserdem kann der Film so eine sehr nuancierte Atmosphäre erzeugen; Action- und Gruselszenen werden langsam und sorgsam aufgebaut und wenn sie da sind, wird das Maximum aus ihnen herausgeholt. Ein weiteres Verdienst der Zweiteilung ist die Rückkehr der "kleinen" Szenen, die David Yates besonders gut beherrscht. Immer wieder nimmt sich der Film Zeit, persönliche Momente, die den Plot nur indirekt vorantreiben, zu unterstreichen; so etwa Rons Versuch, Hermione "Für Elise" auf dem Klavier nachzuspielen; der spontane Tanz von Harry und Hermione, der, obwohl stumm, unglaublich viel über das Innenleben der Figuren verrät; oder Hermione, die pötzlich den Gedanken äussert, einfach in einem ruhigen Waldstück, in dem sich nie etwas zu verändern scheint, zu bleiben und alt zu werden - alles Szenen, die, gemessen an ihrer poetischen Kraft, ihresgleichen in der Serie suchen.

Nicht nur die Charaktere haben sich seit Harry Potter and the Philosopher's Stone verändert; auch die Schauspieler selbst. Daniel Radcliffe, Rupert Grint und Emma Watson sind so Darsteller mit einem vor allem unter Jugendlichen enorm hohen Wiedererkennungswert geworden. Aber wie steht es um ihr schauspielerisches Talent? Nun, in diesem Bereich hat sich seit Harry Potter and the Half-Blood Prince kaum etwas verändert: Watson sticht als die begabteste Hauptdarstellerin hervor und erreicht überraschend viel mit einzelnen Gesichtsausdrücken. Doch auch Radcliffe und Grint zeigen, dass sie sich seit 2001 stetig verbessert haben.

Die Nebendarsteller haben wie immer nicht allzu viel Screentime, bemühen sich aber sichtlich, einen Eindruck zu hinterlassen. Am besten gelungen ist dies sicherlich Brendan Gleeson - dessen Sohn Domhnall übrigens Bill Weasley mimt -, der vor dem Tod seiner Figur noch einmal ihren ganzen Sarkasmus aufleben lässt. Aber auch Jason Isaacs nutzt seine kurzen Auftritte, um Lucius Malfoy so dreidimensional wirken zu lassen wie es Tom Felton in Harry Potter and the Half-Blood Prince mit Draco gemacht hat. Neben den üblichen Verdächtigen (David Thewlis als Lupin, Robbie Coltrane als Hagrid, Julie Walters und Mark Williams als Weasley-Eltern, James und Oliver Phelps als Weasley-Zwillinge, Evanna Lynch als Luna, Alan Rickman als Snape, Ralph Fiennes als Voldemort, Helena Bonham Carter als Bellatrix Lestrange, Timothy Spall als Wormtail) gesellten sich einerseits zwei Neuzugänge zum Cast dazu - Rhys Ifans als Xenophilius Lovegood und Bill Nighy als Zaubereiminister Rufus Scrimgeour - und andererseits kehrte ein prominenter Schauspieler in die Serie zurück - John Hurt als Zauberstabmacher Ollivander. Letzterer ist zwar kaum zu sehen, wird aber am Anfang von Harry Potter and the Deathly Hallows - Part 2 seinen Auftritt haben. Nighy hingegen holt in zwei Szenen das Letzte aus seiner Figur heraus. Man hat Nighy zwar schon subtiler spielen gesehen, aber er macht dennoch eine gute Figur als pathetischer Politiker. Und Rhys Ifans findet genau die richtige Balance zwischen der tragischen und der lustigen Seite von Mr. Lovegood.

Schlussendlich soll auch die wunderschöne Ausstattung von Andrew Ackland-Snow und Stephanie McMillan Erwähnung finden. Nicht nur wirken die Sets und Requisiten echt und atmosphärisch, sie lassen einen auch immer wieder unterhaltsame Kleinigkeiten wie Pamphlete im Stile der amerikanischen Anti-Kommunismus-Ära oder Anspielungen an frühere Filme entdecken.

Harry Potter and the Deathly Hallows - Part 1 ist genau das, was der Titel verspricht: Ein Teaser. Der Film endet mit Lord Voldemorts Ergreifung des mächtigsten Zauberstabs der Welt, also mit einem Cliffhanger sondergleichen. Dass dies gewisse Kinogänger frustriert, ist verständlich, aber es darf nicht zum Kritikpunkt erhoben werden. Das furiose Finale wird im zweiten Teil, der im Juli 2011 in den Kinos startet, sicherlich kommen, aber der Wert des ersten Teils darf auf keinen Fall ausser Acht gelassen werden. Obwohl primär die Voraussetzungen für einen krachenden letzten Akt geschaffen werden, ist es ein eigenständiger Film, der den Zuschauer noch einmal tief durchatmen lässt und die ruhigen und langsameren Momente, die während der Serie immer einen besonderen Reiz hatten, zelebriert. Es ist möglicherweise sogar der beste Film der Serie bis jetzt. Wenn der zweite Teil qualitativ am ersten Teil anknüpft, dann kann man sich auf einen gelungenen Serienabschluss freuen.

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