Montag, 7. August 2017

Kritik in Kürze: "The Beguiled", "The Discovery", "Free Fire"

The Beguiled – ★★★★

Schon zum zweiten Mal erhält Thomas P. Cullinans Bürgerkriegsroman The Beguiled aus dem Jahr 1966 eine ungewöhnliche Verfilmung. 1971 waren es Regisseur Don Siegel und Hauptdarstellerstar Clint Eastwood – das Duo, das im gleichen Jahr Dirty Harry drehte –, die Cullinans Mischung aus Exploitation und Southern Gothic mit ungeahnter Feinfühligkeit auf die Leinwand brachten. Und nun versucht sich Sofia Coppola am selben Stoff.

Coppola nennt im Abspann sowohl Cullinan als auch die Arbeit von Siegel und dessen Drehbuchautoren Albert Maltz und Irene Kamp (alias Grimes Grice) als Vorlagen; somit ist ihr The Beguiled als Romanadaption und Remake zu verstehen. Sie übernimmt die originale Prämisse: Der verwundete Nordstaaten-Soldat McBurney (Colin Farrell) wird 1864 im Südstaat Virginia in einem Mädcheninternat von den Bewohnerinnen gesund gepflegt. Doch wie bereits Siegel reduziert auch Coppola die Erzählung: Die 1971 noch vorhandene Sklavenfigur Hallie (gespielt von Mae Mercer) verschwindet ebenso wie die inneren Monologe, mit denen Maltz und Kamp die drastischen Entscheidungen der Charaktere psychologisch nachvollziehbar machten.

Wer Siegels Version kennt, wird von Hallies Fehlen irritiert sein – und dürfte sich für Angelica Jade Bastiéns äusserst klugen Text über Coppolas Umgang/Umgehung der Sklaventhematik interessieren. Davon abgesehen, glänzt die neue Version von The Beguiled als faszinierende, gleichwertige Alternative. In atemberaubenden Bildern – gepaart mit herausragenden Schauspielleistungen von Farrell, Nicole Kidman und Kirsten Dunst – frönt Coppola ihrer Liebe zur Undurchsichtigkeit. Wie schon in The Virgin Suicides (1999), Lost in Translation (2003) und The Bling Ring (2013) wird das Publikum mit Figuren konfrontiert, deren Handeln sich offensichtlicher Erklärungen entzieht. Es ist ein skizzenhaftes Porträt der menschlichen Abgründe, die sich hinter perfekten Sitten und eleganten Fassaden – und betörenden Bildern der Kamera – öffnen.



The Discovery – ★★

Die Netflix-Produktion The Discovery basiert auf einer spannenden Idee: Was wäre, wenn die Existenz eines Lebens nach dem Tod bewiesen wäre? Allein die sozialen Auswirkungen einer solchen Entdeckung böten genug Stoff für einen anregenden Film. Doch Regisseur Charlie McDowell ist nicht nur dieser Herausforderung nicht gewachsen; es gelingt ihm auch nicht, aus der Idee ein überzeugendes intimes Drama herauszuholen.

Was die Jenseits-Entdeckung von Thomas Harbor (ein gelangweilt wirkender Robert Redford) in diesem Universum gesellschaftlich bewegt hat, beschränkt sich auf eine massiv gestiegene Suizidrate, omnipräsente Werbekampagnen gegen Selbstmord und – ein ebenso morbider wie lächerlicher Einfall – weit verbreitete digitale Anzeigetafeln, auf denen die globalen Freitode mitgezählt werden. Vor diesem Hintergrund reist Harbors skeptischer Sohn Will (Jason Segel) auf das Anwesen seines Vaters, wo eine ganze Kommune eifrig Jenseits-Forschung betreiben. Auf dem Weg freundet sich Will mit der suizidalen Isla (Rooney Mara) an.

The Discovery versucht, mit Dystopie, Familiendrama und Romantik zu jonglieren, wird aber keiner der drei Disziplinen gerecht. Im Gegenteil: Die Kombination ist dermassen disharmonisch, dass der heilige Ernst, mit dem McDowell und Justin Lader ihr unbeholfenes Drehbuch behandeln, oft unfreiwillig komisch wirkt. Auch die Tatsache, dass der Film auf ein Dénouement im Stile von Christopher Nolans Interstellar (2014) oder Denis Villeneuves Arrival (2016) zusteuert, trägt nicht zur Seriosität von The Discovery bei. Es bleibt der Eindruck einer verschwendeten Prämisse.



Free Fire – ★★★

Wenn Ben Wheatleys letzter Film, die Romanverfilmung High-Rise (2015), etwas gezeigt hat, dann dass der Stil des britischen Regisseurs wie gemacht ist für Geschichten, die in den Siebzigerjahren spielen. Sein neuestes Projekt, der Gangsterfilm Free Fire, in dem die IRA, Apartheid-Südafrika und überdimensionale Hemdkragen allesamt eine Rolle spielen, steht somit unter einem guten Stern. Befreit von den ungelenken politischen Ambitionen seines Vorgängers, erweist er sich als Wheatleys bislang zweitbestes Werk.

Free Fire ist ein erzählerisches und filmemacherisches Experiment: eine Schiesserei in Spielfilmlänge. Cillian Murphy, Armie Hammer, Brie Larson, Sharlto Copley und andere treffen sich in einem verlassenen Fabrikgebäude zu einem Waffendeal. Kurze Zeit später sind sämtliche Beteiligten verwundet und suchen blutend Schutz hinter Säulen, Kisten und Autos. Was folgt, ist ein radikal entschleunigter Actionfilm – eine jämmerliche Jagd nach einem Geldkoffer, deren Teilnehmer unter Schmerzen nur wenige Meter weit humpeln, hüpfen und kriechen können.

Das Kunststück gelingt Wheatley nicht vollumfänglich. Nach 60 von 85 Minuten fängt das Ganze an, repetitiv und in die Länge gezogen zu wirken. Dennoch verdient Free Fire, wie schon der bizarre A Field in England (2013) – Wheatleys bisheriges Pièce de résistance –, viel Anerkennung für seine Choreografie, sein Spiel mit dem Set, seinen schwarzen Humor und, nicht zuletzt, die einzigartige Vision, die hinter ihm steckt. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Ben Wheatley sein erstes Meisterwerk dreht.

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