Dienstag, 18. August 2015

The Mirror

In seiner Adaption einer Erzählung des brasilianischen Nationalschriftstellers Machado de Assis ist Rodrigo Lima sichtlich darum bemüht, dem wortkargen Film-Impressionismus der Weltkino-Lieblinge Tsai Ming-liang (Visage, Stray Dogs), Carlos Reygadas (Luz silenciosa, Post Tenebras Lux) und Apichatpong Weerasethakul (Tropical Malady, Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives) nachzueifern. Es bleibt beim krampfhaften Versuch.

Die Gattung des "Festival-Films", zu der The Mirror (Original: O espelho) unzweifelhaft gehört, ist längst zum Klischee geworden. Diese Beiträge sind oft abseits der grossen Säle und Galas zu finden; ihr Lebensraum ist der spezialisierte Themenzyklus; die Geschichten, die sie erzählen, bewegen sich gerne aufreizend langsam vorwärts, sind unklar umrissen und weisen eine ausgeprägte Affinität zu Symbolismus und assoziativen Bilderfolgen auf. So tief ist der Festival-Film ins kollektive Bewusstsein eingedrungen, dass sich fast jegliche Parodie von internationalem Arthouse-Kino beim Merkmal-Katalog dieses Phänomens bedient.

Insofern ist The Mirror zweifellos nicht das einzige, und wohl auch nicht das schlechteste Werk dieser Art, welches derzeit die Festival-Runde macht – zumal sich Limas Assis-Verfilmung mit ihrer Laufzeit von knapp über einer Stunde noch in einem durchaus vertretbaren Rahmen hält. Doch dieses Wissen lenkt nicht von der Erkenntnis ab, dass man es hier mit einem akuten Fall von ehrgeiziger Selbstüberschätzung zu tun hat. Der Film über einen Mann (Augusto Madeira), der von einer einem Fluss entstiegenen Frau (Ana Abbott) in ein verlassenes Landhaus gelockt wird, verwehrt sich sämtlichen Versuchen der Persiflage – er ist in seiner gegenwärtigen Form bereits der vollendete Stereotyp eines behäbigen, zwanghaft um Tiefgründigkeit bemühten Kunstfilms.

Ein Mann (Augusto Madeira) macht in einem Landhaus im amazonischen Regenwald bizarre Erfahrungen.
© TB Produções
Obgleich Lima, primär wohl dank der Existenz einer literarischen Vorlage, hier einen zumindest ansatzweise grob nachvollziehbaren Ablauf der Geschehnisse präsentiert, driftet sein Film mit zunehmender Dauer ins Inkohärente und Willkürliche ab. Das mag zwar mit den psychedelischen Substanzen, denen sich die Protagonisten hingeben, in Zusammenhang stehen, doch das Fehlen jeglicher erzählerischer Bezugspunkte, die über die blosse Anwesenheit der Figuren hinausgehen, lassen einen immer mehr an einer stringenten und überspannenden Vision zweifeln.

So sind die Bilder und Szenarien, die Lima heraufbeschwört, nicht viel mehr als dekadenter Selbstzweck. Ein handförmiger Berg verwandelt sich per Schnitt in eine echte Hand; abstrakte Porträtmalereien beobachten zwei unsichtbare Personen beim Würfelspiel; die weibliche Hauptfigur sondert ein dämonisches Papageienkrächzen ab; ein Hut treibt im Fluss; die gänzlich emotionslosen Protagonisten sitzen in einer Tandem-Schaukel; altes Filmmaterial zeigt heitere Ferienmomente; ein Ruderboot erscheint in einem Schlafzimmer; die Charaktere hantieren mit einer Pistole; ein Fisch ringt mit menschlicher Stimme nach Luft; die Einstellungen werden verschwommen, als reflektierte sich das Geschehen im Wasser; die männliche Hauptfigur kehrt zum Ausgangspunkt zurück, wo sich herausstellt, dass beide Würfelspieler er selber ist. (Der Film besteht selbstverständlich aus mehr als diesen elf Stationen.)

Der Grund für seine psychedelische Reise scheint eine mysteriöse Frau (Ana Abbott) zu sein.
© TB Produções
Wenn Lima diese bizarren, überwiegend stummen, grundsätzlich ereignislosen Aneinanderreihung von Ideen – welche in viel zu langen Einstellungen und Szenen breit getreten werden – kommentiert, dann bedient er sich entweder der Prosa von Machado de Assis oder pseudophilosophischer Ruminationen über die Natur der menschlichen Seele. In einem besonders ärgerlichen Moment lässt er den Protagonisten wiederholt in eine zeigerlose Wanduhr – Vorsicht vor dem Todessymbol! – die englischen Worte "Never" und "Forever" murmeln. Augusto Madeiras Filmpartnerin Ana Abbott wiederum fällt hier einer Objektisierung der übelsten Sorte zum Opfer: Nicht nur hängt ihre Präsenz voll und ganz von ihrem männlichen Gegenüber ab – er folgt ihr, sie verführt ihn; aber nur ihm wird ein Fünkchen Persönlichkeit zuteil –, der Film findet auch allzu grossen Gefallen daran, ihr hauchdünnes weisses Kleid ins Wasser zu tauchen, und lässt es sich schlussendlich auch nicht nehmen, sie grundlos ihren Rock zu heben.

Machte Bruno Safadis The Mayor wenigstens Anstalten, so etwas wie einen Gedanken zu vermitteln, bleibt The Mirror eine stümperhafte Etüde in abgehobener Eigenliebe. Was hier im Mittelpunkt zu stehen scheint, ist nicht der Film, sondern der "kreative" Kopf dahinter; jedes noch so banale Bild will beklatscht, jeder angestrengte Kunstgriff bewundert, jeder nichts sagende, ins Unerträgliche verlängerte Moment bejubelt werden. Es wäre lustig – wäre das Ganze nicht dermassen langweilig.

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