Donnerstag, 28. August 2014

Jimmy's Hall

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Sein vielleicht grösster Erfolg, The Wind That Shakes the Barley, ist zum Standardwerk über den irischen Unabhängigkeitskampf geworden. In einem seiner wohl letzten Filme, dem packenden Drama Jimmy's Hall, kehrt Working-Class-Seismograph und Sozialdrama-Meister Ken Loach auf die grüne Insel zurück.

In einem Schaffen, das sich nicht über wiederkehrende Figuren, sondern konstante Motive, nicht über reziklierte Stoffe, sondern ein tief in der sozialistischen Tradition verwurzeltes politisches Bewusstsein definiert, ist Jimmy's Hall womöglich das einzige Werk von Ken Loach (Kes, Riff-Raff, Raining Stones, Looking for Eric, The Angels' Share), 78, welches die Züge einer Fortsetzung trägt. Das Jahr ist 1932, zehn Jahre nach dem im dritten Akt von The Wind That Shakes the Barley (Palme-d'Or-Gewinner 2006) beschriebenen Bürgerkrieg, in dem die ideologischen Strömungen Irlands gegeneinander um die Konditionen ihrer Unabhängigkeit vom Britischen Empire kämpften. Als Sieger zogen in den Zwanzigerjahren die Verfechter der pro-britischen Freistaat-Lösung vom Schlachtfeld; die radikal-republikanischen Kräfte sahen sich – trotz faktischer Selbstbestimmung – nach wie vor am Gängelband Londons. 1932 aber keimte Hoffnung auf, als mit Éamon de Valera ein einstiger Rebell in Dublin das Zepter übernahm. Unter seiner Führung gingen die während des Bürgerkriegs unterlegenen Republikaner eine Allianz mit der katholischen Kirche ein, was nicht nur zu einem neu erstarkten Nationalgefühl führte, sondern auch den Grundstein für Jahrzehnte der verstockt-bigotten Quasi-Theokratie legte.

Somit schreibt der auf wahren Begebenheiten beruhende Jimmy's Hall, dessen Tonfall weitaus heiterer ist als es der historische Hintergrund vermuten liesse, nach Land and Freedom, The Wind That Shakes the Barley sowie der Dokumentation The Spirit of '45 ein weiteres Kapitel in Loachs kommunistisch gefärbter Geschichte des 20. Jahrhunderts. Einmal mehr ortet Loach die wahren Helden der Historie abseits der grossen politischen Bühne, welche von Opportunisten und deren Ränkespielen dominiert wird – in selbstversorgerischen, klassenlos organisierten Volkskommunen. Entsprechend ist hier nicht de Valera die irische Ikone dieses wegweisenden geschichtlichen Moments, sondern der Kommunist Jimmy Gralton (Barry Ward), welcher 1932 nach 23-jährigem Aufenthalt in den USA in seine Heimat im ländlichen County Leitrim zurückkehrt und dort seinen alten Tanzsaal wieder eröffnet, wo die überwiegend arbeitslose Dorfgemeinschaft singen, lesen und boxen lernen, über die Gedichte William Butler Yeats' diskutieren und samstagabends zu traditionellen und jazzigen Klängen gleichermassen tanzen kann – ein veritabler irischer Mikrokosmos. Die ausgedehnten Szenen, in denen Loach der Musik ihren Spielraum gibt, gehören zu den Höhepunkten des Films.

Gesang, Tanz und Politik: Kommunist Jimmy Gralton (Barry Ward, Mitte) stellt sich im ländlichen Irland mit einer Festhalle dem verstockten Establishment.
© filmcoopi
Mit seinem linksproletarischen Populismus ist Gralton den etablierten Honoratioren der Landbevölkerung – den "masters and pastors", wie es eine seiner Mitstreiterinnen so schön ausdrückt – ein Dorn im Auge: Graf O'Keefe (Brían F. O'Byrne) fürchtet um seine Macht als Pächter; Pfarrer Sheridan (Jim Norton – der diabolische Bischof Brennan in der Kult-Sitcom Father Ted) sieht im Atheisten Gralton neben einem gottlosenn Verführer auch eine Gefahr für die noch fragile nationale Einheit. Es brauche nur einen charistmatischen Kommunisten, so Sheridan zu seinem Assistenten (Sherlock-Bösewicht Andrew Scott), um das vom Wirtschaftskollaps von 1929 nicht unberührte Irland wieder ins Chaos und in die rote Anarchie zu stürzen. Doch Loach, der damit wohl auch an die Möglichkeiten des Sozialismus in den finanziell gebeutelten 2010er Jahren denkt, sieht in Sheridan keinen fundamentalistischen Miesepeter; er ist der Vertreter eines jungen Landes am Scheideweg, dessen Suche nach Identität es in den vermeintlich sicheren kulturellen Isolationismus gedrängt hat. Gegen diesen Rückzug vermag auch Gralton nicht anzukommen; als einziger Ire der Geschichte wird er auf Lebenszeit des eigenen Landes verwiesen. Seine Verabschiedung am Ende des Films spiegelt Loachs Hinweise auf ein baldiges Ende seiner Karriere wider. Beide jedoch haben den Blick auf die junge Generation gerichtet, welche verspricht, den Kampf weiterzuführen. Wer ist würdig, das Erbe dieser grossen Rebellen und Störefriede – Gralton und Loach – anzutreten?

★★★★

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