Sonntag, 6. April 2014

Noah

Das Problem der Bibel ist nicht ihr Inhalt, und sei er noch so xenophobisch, sexistisch, homophob und blutrünstig. Wie die Edda, die Bhagavad Gita oder die antiken Mythensammlungen enthält sie faszinierende, ja inspirierende Geschichten, denen, aus literarischer Sicht, nicht selten eine anregende Zeitlosigkeit innewohnt. Die Probleme beginnen erst, wenn versucht wird, sie aus ihrem natürlichen Umfeld, zu dem auch andere, ähnlich konzipierte Schriften wie Boccaccios Decamerone oder Chaucers Canterbury Tales gehören, loszulösen und ihr einen Wahrheitsgehalt anzudichten, den sie erwiesenermassen nicht hat, als Resultat jahrhundertelanger Revision gar nicht haben kann. Ihre Poesie verliert an Magie, wenn in ihrem Namen Menschen verfemt, verbannt, gefoltert und getötet werden.

So umgibt jene Bibel-Epen, die in Hollywoods goldenem Zeitalter praktisch Jahr für Jahr die Massen in die Kinos lockten – Quo Vadis, The Ten Commandments, Ben-Hur –, und ihr geradezu fanatisch inbrünstiges Verneigen vor christlich-jüdischer Dogmatik eine zweifelhafte Aura. Allein schon deshalb zeichnet sich Darren Aronofskys Noah als lobenswert originelle Kinoadaption einer alttestamentarischen Sage aus: Für Aronofsky, Enfant terrible des mehrheitsfähigen US-Kunstfilms und Praktizierer eines persönlich gestalteten New-Age-Spiritualismus, ist die Bibel eine Fantasy-Parallelwelt, welche sich nach Belieben dehnen und ausschmücken lässt.

Seine Interpretation der Sintflut, die ein mit seiner Schöpfung desillusionierter Gott ("The Creator") entsendet, um alle und alles ausser Noah (Russell Crowe), seine Familie und "alles, was kreucht und fleucht", auszulöschen, ist bar jeglicher Historizität; die Kontinente, wie sie hier zu sehen sind, sind zu einem fiktiven Pangäa verschmolzen, dessen Realitätsanspruch nicht höher als derjenige von J. R. R. Tolkiens Mittelerde ist. Die virtuose Sequenz, in der Noah die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt, während auf der Leinwand Urknall, Weltenbildung, Zellteilung und darwinistische Evolution zu sehen sind, scheint die Möglichkeit anzudeuten, dass der Film in einer postapokalyptischen Zukunft spielt. (Es wäre nicht das erste Mal, dass Aronofsky den dramaturgischen Clou im Vordergrund versteckt: The Fountain, allenthalben als Zeitreise- oder Wiedergeburts-Narrativ beschrieben, beschäftigt sich augenscheinlich mit dem Akt des Schreibens.)

Noah (Russell Crowe) kämpft mit der Mission, die ihm der Schöpfer aufgetragen hat.
© Paramount Pictures Corporation
Überhaupt ist Noah ein Epos voller moralischer Grautöne, in dem nicht nur Noah, sondern auch Gott selber keineswegs über alle Zweifel erhaben sind. Während der Allmächtige, niemals mehr als ein grelles Licht am Himmel, letztlich als launischer Rachegott dargestellt wird, welcher jene Engel, die sich nach dem Sündenfall Adams und Evas erbarmen und ihnen zu Hilfe eilen wollen, in steinerne Golem-Ungeheuer verwandelt, finden Aronofsky und sein regelmässiger Co-Autor Ari Handel (The Wrestler, Black Swan) in ihrer Titelfigur einen spannenden Gewissenskonflikt. Noah ringt konstant mit der ihm aufgebürdeten Mission, mit der Diskrepanz zwischen blindem Glauben und freiem Willen, mit den "frevelnden" Menschen, die unter Führung Tubal-Kains (Ray Winstone) einen Platz auf der Arche verlangen, mit einer Familie, die sich zunehmend vor dem fanatischen Propheten fürchtet, zu dem ihr Oberhaupt geworden ist. In einem der am stärksten nachhallenden Momenten des Films sitzen Noah, seine Frau Naameh (Jennifer Connelly), seine Söhne Ham (Logan Lerman) – der verfluchte Stammvater Kanaans – Sem (Douglas Booth) und Japhet (Leo McHugh Carroll) sowie seine Adoptivtichter Ila (die schwache Emma Watson) in ihrem kruden Rechteck von einem Schiff in Sicherheit, derweil von draussen eine überwältigende Geräuschkulisse die gespannte Stille durchdringt: Wellen branden gegen das Gebilde, der Regen prasselt darauf nieder, die dem Verderben geweihten "Sünder" schreien ohne Unterlass.

"Alles, was kreucht und fleucht": Die unschuldigend Tiere sollen die Arche Noah füllen.
© Paramount Pictures Corporation
Aronofsky beschwört in seinem Film eine beeindruckende Atmosphäre, die sich aus der unterschwellig gewichtigen Materie, dem makellosen Tondesign, Clint Mansells modernistisch angehauchtem Musikscore sowie den grandios komponierten, oftmals drastischen Bildern zusammensetzt. Diese ist es auch, die Noah über seine zahlreichen Defizite hinweg hievt; seine bemühenderen Passagen, die sich besonders in der zweiten Hälfte zu häufen beginnen, sein stellenweise missglücktes CGI, seine Stellen, in denen das Ganze zu sehr ins Esoterische abzudriften droht. Selbst der Versuch, der Geschichte von der Arche Noah, welche in der Genesis lediglich drei Kapitel einnimmt, durch die Familienverhältnisse seines Protagonisten zusätzliche Tiefe zu verliehen, stösst bisweilen an seine Grenzen. Noahs Sinnkrise, welche darin mündet, dass er die gesamte Menschheit ausgelöscht sehen will, einschliesslich seiner neu geborenen Enkel, ist eine passende Parabel auf die Crux des – wie bei Ingmar Bergman – schweigenden Gottes; derweil Hams Verführung durch Tubal-Kain, ein unterentwickelter Subplot, dem eh schon überladenen Film nicht viel mehr zu geben vermag als eine unnötige Action-Klimax.

Inwieweit das Produkt, welches derzeit in den Kinos zu sehen ist, wirklich Aronofskys Vision entspricht, bleibt letztendlich offen. Mindestens viermal wurde Noah neu geschnitten, bevor ein Testpublikum sich damit anfreunden konnte; Sequenzen, welche Anhänger abrahamitischer Religionen erzürnen könnten, blieben ohnehin im Schneideraum liegen. Man darf gespannt sein, wie viele "Director's Cut"-Fassungen des Films in den kommenden Jahren die Runde machen werden. Für den Moment lässt sich konstatieren: Noah ist eine prächtig unvollkommene Sonderbarkeit im Werk eines Visionärs.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen