Montag, 10. März 2014

Saving Mr. Banks

Die Kamera schwebt sanft durch einen Himmel voller weisser Wolken, es spielt eine melancholische instrumentale Neuinterpretation des Kult-Stücks "Chim Chim Cher-ee" – der Höhepunkt von Thomas Newmans ansonsten bestenfalls durchschnittlichem Score, dessen Originalkompositionen sich oft gefährlich nahe an trällernder Fahrstuhl-Musik bewegen –, Colin Farrell zitiert per Voiceover mit nachdenklicher Stimme: "Winds in the East... Mist coming in... Like something is brewing, about to begin... Can't put my finger on what lies in store... But I feel what's to happen all happened before".

So beginnt Saving Mr. Banks, John Lee Hancocks überaus anregende Tragikomödie über den Kampf, welchen die Autorin P. L. Travers (Emma Thompson) 1961 in Hollywood mit Walt Disney (Tom Hanks) ausfocht, um eine werkgetreue Verfilmung ihres Romans über das magische Kindermädchen Mary Poppins sicherzustellen. Doch der Reiz dieser stellenweise freien Adaption wahrer Begebenheiten liegt nicht primär in ihrer zeitgeschichtlich-journalistischen Dimension. Unter der Ägide eines weniger effizienten Regisseurs – was Hancock an Vision fehlt, kompensiert er mit seiner unbestrittenen Erfahrung – hätte diese Geschichte, welche zahlreiche Exkurse in die Kindheit von Travers unternimmt, wo sich die realen Vorlagen für ihre Figuren finden, womöglich enttäuschend zahm gewirkt, wie die verharmloste Darstellung einer eigentlich weitaus tiefer greifenden Thematik. Wäre das Projekt in den falschen Händen gelandet, hätte die Kritik, die Drehbuchautoren Kelly Marcel und Sue Smith würden die dunkleren Seiten von Disneys Philosophie ausblenden, wohl mehr Gewicht gehabt.

Aber Saving Mr. Banks, logischerweise unter der Schirmherrschaft der Disney-Studios entstanden, was den Machern uneingeschränkten Zugriff auf die Archive des Unternehmens erlaubte und darüber hinaus rechtliche Bedenken eliminierte, besticht mit seiner Einfühlsamkeit den Charakteren gegenüber sowie mit seiner ansteckenden Liebe zu jenem Film, der aus dem Konflikt zwischen Travers und Disney hervorgegangen ist, Robert Stevensons fünffach oscarprämiertes Musical Mary Poppins aus dem Jahr 1964. Wie schon Stevenson verfallen auch Hancock, Marcel und Smith nie falscher Sentimentalität und verknüpfen die amüsante Situationskomik der vom oberflächlichen Los Angeles abgestossenen Travers mit ironisch gebrochenen Blicken hinter die Kulissen Hollywoods – ganz im Sinn und Geist von Singin' in the Rain –, der Frage, inwiefern das Leben die Kunst beeinflusst, sowie mit subtilen, mitunter gar sublimen Szenen, die sich mit der Gefühlswelt der Figuren auseinandersetzen. Mit Hilfe dieser Themen und Motive argumentiert der Film, und dies überzeugend, dass der "Verlust" von Travers, welche sich Zeit ihres Lebens nicht vollends mit Disneys Mary Poppins zu arrangieren wusste, einer war, von dem die Welt profitierte, dass Stevensons Musical Travers' Figuren gerechter wurde als sie bereit war anzuerkennen.

1906: Die junge P. L. Travers (Annie Rose Buckley) muss dabei zusehen, wie sich ihr hingebungsvoller Vater (Colin Farrell) um seine Gesundheit trinkt.
© Disney
Allerdings müssen auch solche Interpretationen mit gebührender Vorsicht getätigt werden, um Hancocks virtuos gemachtem Film keine explizite Ideologie anzuhängen und ihn so seiner bewegenden Menschlichkeit zu berauben. Nichts läge ihm ferner als einer Seite im zentralen Konflikt Recht zu geben, als eine Person als gut oder schlecht abzustempeln. Nirgendwo kommt dies besser zum Tragen als in den Rückblenden in Travers' Kindertage im Australien des frühen 20. Jahrhundert, als "P. L." noch Helen Goff (Annie Rose Buckley) hiess und dabei zusehen musste, wie ihr herzensguter Vater (Colin Farrell) seinen Kampf gegen die Alkoholabhängigkeit verlor. Die Verbindungen zwischen Mary Poppins und jenen Kindheitserlebnissen mögen bisweilen allzu deutlich hervorgehoben werden, doch dank eines Drehbuchs, welches auf gängige Stereotypen verzichtet, und einer grundsoliden Darbietung von Colin Farrell, der, obgleich er einen irischstämmigen Charakter spielt, von einem ausgeprägten Dialekt absieht, erfüllen diese auf Gravitas ausgerichteten Sequenzen ihren Zweck mühelos. Noch selten hat man im Hollyood-Mainstream eine derart differenzierte Darstellung einer alkoholkranken Figur gesehen.
1961: Walt Disney (Tom Hanks) lädt die Autorin P. L. Travers (Emma Thompson) nach Hollywood ein, um sie dazu zu überreden, ihm die Filmrechte an Mary Poppins abzutreten.
© Disney
Der Tonfall im primären Handlungsstrang ist entschieden fröhlicher: Die Verbalduelle von Disney und Travers werden von den herausragenden Hanks und Thompson mit der Präzision eines klassischen Screwball-Comedy-Duos vorgetragen; die zähen Verhandlungen der halsstarren Travers mit Skripteur Don DaGradi (Bradley Whitford) und den Musikkomponisten und -textern Richard (Jason Schwartzman – wundervoll) und Robert Sherman (B. J. Novak – wundervoll), welche sie dazu bringen sollen, Disney die Filmrechte ihres Buches abzutreten, enthalten viele witzige Dialoge und kreativ eingeflochtene "Rohfassungen" späterer Song-Klassiker; Paul Giamatti als Chauffeur entwickelt mit Thompson eine skurrile Driving Miss Daisy-Dynamik. Doch auch hier wird nicht vor der Ernsthaftigkeit zurückgeschreckt, gerade im letzten Drittel, als Travers der Tatsache ins Auge blicken muss, dass ihre Figuren, ob Familienmitglieder oder nicht, nicht nur ihr selbst gehören, und dass die realistisch-gestrenge literarische Mary Poppins es verdient, eine optimistischere Leinwand-Inkarnation zu erhalten. So ist letztlich auch Hancocks Entscheidung, gewisse Aspekte der realen Geschichte – Disneys gesundheitliche Probleme, Travers' Aversion gegenüber animierter Sequenzen in Mary Poppins, die sie noch am Abend der Weltpremiere entfernen lassen wollte – aussen vor zu lassen, im Grunde ein stimmiger Kniff: Kunst ist in Saving Mr. Banks genuiner als die kalte Realität. Denn "a spoonful of sugar helps the medicine go down".

★★★★

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