Dienstag, 19. November 2013

La Vénus à la fourrure

"Warum muss man heute alles auf etwas anderes zurückführen?", empört sich der Theaterautor Thomas (Mathieu Amalric), als die Schauspielerin Vanda (Emmanuelle Seigner) bei einem Vorsprechen versucht, seine Bearbeitung von Leopold Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz als Plädoyer gegen Kindesmisshandlung zu lesen. Er verbitte es sich darüber hinaus, mit der masochistisch veranlagten Hauptfigur Severin von Kusiemski identifiziert zu werden; der Text, so Thomas, sei "keine Anthropologie, keine Soziologie, sondern Theater".

Man kann diese Stellen im Quellenmaterial von La Vénus à la fourrure, David Ives' Venus in Fur, suchen und sich, sollte man sie finden, an ihrem Spiel mit der Frage, inwieweit ein Stoff sich an seinem Autor festmachen lässt, erfreuen. Ihre ganze köstliche Doppeldeutigkeit entfaltet sie jedoch erst in der Verfilmung von Ives' Sacher-Masoch-Adaption, denn diese wurde von Roman Polanski inszeniert, jenem Regisseur, dessen beeindruckendes Œuvre (Repulsion, Rosemary's Baby, Chinatown, The Pianist) inzwischen weniger zu reden gibt als der US-Haftbefehl, der seit seiner mutmasslichen Vergewaltigung einer Minderjährigen im Jahre 1977 gegen ihn vorliegt. In die Filmgeschichte eingehen wird er, so scheint es, ebenso als bedeutender Künstler des Mediums wie auch als zwielichtiger Schürzenjäger.

So ist sein La Vénus à la fourrure mitsamt seinen Tiraden gegen die obsessive Interpretationsfreude von Zuschauern und Kritikern auch als Provokation an sein Publikum aufzufassen; dem reichen Subtext des Films, welcher bewusst mit der Ambivalenz von Sacher-Masochs Geschlechterzeichnung spielt, haftet die Warnung an, es handle sich beim vorgeführten Stück weder um eine Allegorie, noch um eine Beichte, noch um eine Apologie: "Keine Anthropologie, keine Soziologie, sondern Theater" (wobei der spitzfindige Betrachter einwenden kann, das vorliegende Werk sei doch in Wahrheit Kino, womit er den von Thomas verschrieenen Interpretationen wiederum Tür und Tor öffnet).

Doch auch Vanda hat ihre Einwände: Ein perverses Machwerk sei die Venus im Pelz, die Machtfantasie eines gemeinen Schreiberlings, "Sadomaso-Pornografie". So spricht sie, die den Text dennoch in- und auswendig kennt, und wirft die Vorlage zu Thomas' Stück ins flackernde (falsche) Bühnen-Kaminfeuer. Es sind Vorwürfe, welche Sacher-Masochs kleinen Roman um die erotischen Abenteuer von Kusiemski und Wanda von Dunajew seit seinem Erscheinen 1870 begleitet haben und hier findet Polanskis Zwei-Personen-Spiel seinen zentralen Konflikt: Wo liegt die Grenze zwischen Kunst und Pornografie? Oder gibt es am Ende etwa gar keine? Als eine Art ironische "Sekundärliteratur" legt Polanski freizügige Gemälde von Tizian und anderen Renaissance-Meistern über den Abspann.

Leopold Sacher-Masochs Venus im Pelz erhält durch die Theaterprobe von Vanda (Emmanuelle Seigner) und Thomas (Mathieu Amalric) eine ganz neue Dimension.
© Ascot Elite
La Vénus à la fourrure zeigt – wie jüngst auch Alain Resnais' Vous n'avez encore rien vu, mit dem sich Polanskis Film den Schnittmeister Hervé de Luze teilt –, wie sich im Theater, jenem mythischen Heterotopia, Realität und Fiktion vermischen. Vanda und Thomas gehen, hitzig über Geschmack und Geschmacklosigkeit debattierend, immer mehr in ihren Rollen auf, bis ihr Spiel schliesslich bitterer Ernst wird. Zwischen Amalric und Seigner knistert die erotische Spannung, die sich, ganz nach Sacher-Masoch, in Akten der Gewalt und der Demütigung entlädt. Übersinnliches ist, man ahnt es, auch am Werk: Die scheinbar allwissende Vanda "schwebt" zu Beginn per POV-Kamerafahrt ins Schauspielhaus, begleitet von Alexandre Desplats karnevalesker Musik, erweist sich im Laufe der Probe als der Erzählung entstiegene Muse, verwandelt sich graduell in eine – der jungen Catherine Deneuve verblüffend ähnlich sehende – Venus und endet als dämonische Bakche, eine jener Frauen, die in Euripides' gleichnamiger Tragödie den in Frauenkleider gehüllten König von Theben verhöhnen.

Die Rolle des Königs fällt hierbei selbstverständlich dem entmachteten Regisseur Thomas zu, welcher im letzten Akt Lippenstift aufträgt, sich in High Heels hinein quält, sich den Titel gebenden Pelz überwirft und von Vanda mit Strumpfhosen an ein übergrosses Phallus-Symbol (einen Papp-Kaktus) gefesselt wird (eine ebenso krude wie hochgradig komische Szene). Ist es Pornografie oder Kunst (oder beides?), wenn die stets kokette Vanda schlussendlich nackt und wilde Fratzen schneidend um den gedemütigten Thomas herumtanzt? Ist es emanzipatorisch oder aber frauenverachtend, eine Frau als Peinigerin darzustellen? Ziemt es sich überhaupt, dass ausgerechnet ein Roman Polanski derartige Fragen aufwirft? Polanski selber lässt sich klugerweise nicht zu einer Antwort bewegen. Es genügt ihm, seinem subversiv provozierten Publikum das oft als sexistisch bezeichnete Epigraph von Sacher-Masochs Novelle (das Bibelzitat "Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben") vorzusetzen und den Abspann rollen zu lassen – und das mit einer Nonchalance, wie sie nur ein Meister mit vollem und berechtigtem Vertrauen in die Ausdruckskraft seines Handwerks aufbringen kann.

★★★★

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