Donnerstag, 21. November 2013

Captain Phillips

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


2009 kaperten vier Piraten ein amerikanisches Frachtschiff vor Somalia. Der britische Regisseur Paul Greengrass hat das Drama nun minutiös aufgearbeitet: Captain Phillips ist zugleich ein packender Tatsachenbericht und ein Lehrstück über Geopolitik, Globalisierung und Terrorismus nach 9/11.

Den Grundstein zu diesem Film legte das Studio Columbia Pictures bereits im Frühling 2009. Kaum ein Monat war seit den turbulenten Ereignissen im westlichen Indischen Ozean vergangen, als sich Produktionsverantwortliche an Richard Phillips, den Kapitän des geenterten Frachters "Maersk Alabama", wandten und sich die Rechte an seiner Geschichte sicherten. Man kann dies als Zeichen für fehlende Sensibilität und die sprichwörtliche Sensationsgier seitens Hollywoods werten, hatte doch Phillips – welcher von den vier jungen somalischen Piraten zum Schluss auf einem Rettungsboot als Geisel gehalten wurde – zu diesem Zeitpunkt wohl sein Trauma noch lange nicht überwunden. Doch immerhin gelangte der hochgradig filmische Stoff in die Hände von Paul Greengrass. Hätten weniger begabte Regisseure Phillips' Tortur vielleicht als ein Stück klassischen Heroismus inszeniert – der aufrechte Amerikaner bezwingt mit eisernem Willen verschlagene Terroristen –, stellt Greengrass in Captain Phillips einmal mehr sein Gespür für Feinheiten und Grautöne unter Beweis.

Wie schon in seinen Aufarbeitungen der nordirischen "Troubles" (Bloody Sunday, 2002) und der Anschläge vom 11. September (United 93, 2006) ist auch hier kein Platz für simple Gut-Böse-Dichotomien; die blutige Beendigung der Krise stellt, wie auch die Tötung Osama Bin Ladens im ähnlich intensiven Zero Dark Thirty, keinen Triumph dar. Vielmehr sind Kapitän Phillips (Tom Hanks) und die gleichermassen sorgfältig beleuchteten Piraten unter dem Kommando des knapp 20-jährigen Muse (Barkhad Abdi) der Spielball von Mächten, welche über ihre Köpfe hinweg operieren ("We all got bosses"), ihre Situation das Resultat einer Welt, deren wirtschaftliche und politische Mechanismen ausser Kontrolle geraten sind. Die Crux der Globalisierung durchdringt Autor Billy Rays Narrativ: Britische Anti-Piraten-Kontrollzentren haben ihren Sitz in Dubai; Hilfsgüter für das im Westen allzu oft als kulturelles Ganzes wahrgenommene Afrika haben bereits eine halbe Weltreise hinter sich, wenn sie im gigantischen omanischen Umschlagplatz, von wo die "Maersk Alabama" ausläuft, ankommen; die Tatsache, dass ein irgendwo in West Virginia gemeldetes Schiff, benannt nach einem US-Südstaat, einen Botengang im Indischen Ozean absolviert, entbehrt nicht einer gewissen impliziten Absurdität.

Das von Richard Phillips (Tom Hanks) kommandierte Frachtschiff wird von somalischen Piraten geentert.
© 2013 Sony Pictures Releasing GmbH
Greengrass kontrastiert dies mit dem beinahe zynischen Pragmatismus von Muse und seinen Männern (zwischen denen im Laufe der Entführung eine angespannte Dog Day Afternoon-Dynamik entsteht), welche aufgrund der kommerziellen Überfischung ihrer Gewässer die Fischerei aufgeben mussten und sich der Piraterie zuwandten – und doch sind drei Kriegsschiffe nötig, um die vier Amateure zu überwältigen. "No Al-Qaeda here. Just business. We want money", lautet ihre Beschwichtigungsformel an Phillips' Besatzung; ihre Angriffe – bezeichnet mit dem kapitalistischen Slogan "No game for the weak" – sehen sie als eine Form von Steuereintreibung.

Letztendlich ist Captain Phillips aber vor allem eines: ein packendes Erlebnis – dramaturgisch reduktionistisch, formvollendet inszeniert, von Barry Ackroyd (The Hurt Locker) atmosphärisch rastlos eingefangen –, welches einem das seltene Gefühl gibt, erst nach der allerletzten Einstellung wieder tief durchatmen zu können. Emotional getragen wird der Film vom magistral aufspielenden Tom Hanks, der mit dem still und minimalistisch vorgetragenen mentalen Zusammenbruch des zuvor stets kühl-analytischen Kapitän Phillips einen erschütternden Schlussstrich unter Greengrass' beeindruckendes Thrillerdrama setzt.

★★★★★

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