Dienstag, 17. September 2013

Gloria

1982, als die Disco-Welle eigentlich schon wieder passé war, erlangte die amerikanische Popmusikerin Laura Branigan kurzzeitig Weltruhm mit ihrer englischsprachigen Interpretation von "Gloria", einem Eurodisco-Track, den der Italiener Umberto Tozzi drei Jahre zuvor geschrieben und eingespielt hatte. Der seither in zahlreiche andere Sprachen übersetzte Song handelt von einer Frau, die sich offenkundig im Unklaren darüber befindet, ob sie sich wieder verlieben soll, ob sich der ganze Stress überhaupt noch lohnt.

Auch der neue Film des Chilenen Sebastián Lelio heisst Gloria und dreht sich um eine Frau, welche sich mit derartigen Fragen auseinandersetzen muss. 1982 hätte sogar das Jahr sein können, in dem sich Gloria (Paulina García) und Daniel (Alejandro Goic), auf der Höhe von Augusto Pinochets Militärdiktatur, das Jawort gegeben haben. Mittlerweile aber ist die Ehe zerbrochen, Gloria ist 58 Jahre alt und sucht in Nachtclubs nach amourösen Abenteuern. Am Ende seiner Geschichte verkneift es sich Lelio nicht, das Tozzi-Lied in seiner ganzen Synthesizer-Pracht abgzuspielen. Problematisch ist allerdings die Tatsache, dass dies der einzige Moment ist, an dem Gloria so etwas wie Identität aufweist.

Jeder andere Teil des Films ist austauschbar. Der auf 110 Minuten zerdehnte Plot macht grosszügig Gebrauch von den spezifischen Klischees, wie man sie aus anderen Streifen über frustrierte Menschen mittleren Alters kennt: Gloria besucht zweifelhafte Gruppentherapien, in denen Probleme weggetanzt und -gelacht werden sollen; sie greift zum Joint; sie verliebt sich in den gleichaltrigen Rodolfo (Sergio Hernández), dessen Unzuverlässigkeit für den Grossteil der breit getretenen Konflikte verantwortlich ist.

Gleich zweimal wird Gloria in eine Krise gestürzt, weil Rodolfo inmitten einer gemeinsamen Unternehmung plötzlich verschwindet; dass sein übertriebenes Verantwortungsgefühl für seine Töchter aus erster Ehe der Grund für den Graben zwischen ihm und Gloria ist, wird ad nauseam wiederholt. "Körperlich sind sie erwachsen", so Rodolfo, "geistig nicht". Es ist ein Verweis darauf, dass es sich mit den beiden Endfünfzigern ähnlich verhält. Lelio erzählt von zwei Menschen, welche im Angesicht des Alters noch einmal erwachsen werden müssen, welche einerseits (Gloria) ihre Selbstachtung wiederzufinden versuchen und andererseits (Rodolfo) lernen sollten, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Neue Liebe im mittleren Alter? Die geschiedenen Gloria (Paulina García) und Rodolfo (Sergio Hernández) finden Gefallen aneinander.
© filmcoopi 
Gloria gelingt dies schlussendlich wenigstens ansatzweise; Rodolfo hingegen scheitert, als er seine neue Liebe sitzen lässt, um seine Ex-Frau zu besuchen, welche sich verletzte, indem sie in eine Fensterscheibe knallte (man kann nur hoffen, dass dies nicht allzu ernst gemeint ist). Den Weg dahin verkauft Lelio seinem Publikum als hoch emotionalen Reifungsprozess, in dem sich Gloria auch damit abfindet, Teil der "alten" Generation zu sein, die einst noch gegen Pinochet demonstrierte, heute aber keinen Drang mehr dazu verspürt, sich den Protesten gegen die neuen politischen Feindbilder anzuschliessen.

Über alldem hängt die Atmosphäre der Werke von Mike Leigh, vorab Happy-Go-Lucky und Another Year. Doch anders als in den Filmen des britischen Meistercineasten ist in Gloria alles zu beiläufig, zu steif, um wirklich grosse Gefühle auszulösen, zu eintönig gemacht, um auf der filmischen Ebene zu packen. Die wenigen Einblicke, die man in Glorias Psyche erhält, erwecken nicht unbedingt Sympathie für diese ichbezogene, sich in ihrer Melancholie suhlenden Person, während Rodolfo nie mehr als ein plotfreundliches Konstrukt ist, dessen Charakterzüge nicht über das Nötigste hinausgehen. Es fiele leicht, hier Leere und Vagheit mit Subtilität zu verwechseln.

★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen