Montag, 16. September 2013

The Congress

Obwohl keineswegs ohne Mängel, so gehört Ari Folmans Dokumentation Waltz with Bashir dennoch zu den klügsten, erschütterndsten Werken, die der Animationsfilm in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat. Diese Wirkung verdankt er nicht zuletzt der Entscheidung Folmans, in den letzten Sekunden des Films das gezeichnete Bild durch reales Archivmaterial zu ersetzen. Durch einen simplen Schnitt wurden die weinenden palästinensischen Frauen, welche aus dem von einer christlich-libanesischen Phalanx massakrierten Flüchtlingslager von Sabra und Shatila strömten, lebendig, ihr Leid durch den plötzlichen Medienwechsel förmlich greifbar.

Man kann darüber diskutieren, ob Folmans Methode die Grenzen der akzeptablen Manipulation überschreitet, doch es lässt sich nur schwer bestreiten, dass sie ihr Ziel erreicht hat. So gut hat dieser Schnitt funktioniert, dass Folman ihn in seinem neuen Film, The Congress, einer freien Adaption von Stanisław Lems Roman Der futurologische Kongress, gleich noch einmal einsetzt: Die sich selber spielende Schauspielerin Robin Wright (The Princess Bride, Forrest Gump) wandelt durch ein animiertes Schein-Utopia, dessen wunderschöne Bewohner sich mit einem Schnitt in reale Menschen verwandeln, sediert, ausgemergelt, in Lumpen gekleidet.

Dass der Kniff inzwischen nur noch halbwegs zu packen vermag, verweist auf die fundamentalen inhaltlichen Probleme, von welchen The Congress unterminiert wird. Der Grund, weshalb Wright überhaupt in jene gezeichnete Fantasiewelt gefallen ist, liegt viele Jahre in der Vergangenheit: Damals, im Jahr 2013, hat sie dem Filmstudio Miramount die Rechte an ihrem Abbild überlassen, es dazu autorisiert, ihre Person digital einzuscannen, um künftig einen computergenerierten Avatar von ihr in jedem beliebigen Streifen zu benutzen. (Vom Schauspielfach scheint Folman nicht allzu viel zu halten, da der Scanner nur zwei Emotionen – Freude und Trauer – von Wright benötigt.)

20 Jahre später reist sie zu einem von der mittlerweile allmächtigen, einen vollständig animierten Lebensstil propagierenden Miramount-Firma ausgerichteten Futuristen-Kongress, auf dessen Gelände strikter "Animationszwang" herrscht. Mittels einer chemischen Lösung halluzinieren sich die Teilnehmer in eine alternative Realität, wo ihre Mitmenschen die Formen von Cartoon-Charakteren, Kunstwerken und Berühmtheiten wie Clint Eastwood, Marilyn Monroe, Frida Kahlo, Yoko Ono, Elvis Presley, John Wayne, Michael Jackson und Elizabeth I. annehmen – eine Welt, gezeichnet in einem bizarren Hybrid-Stil, der die Ästhetik von Silly Symphonies, Merry Melodies, Sylvain Chomet, Cool World und Yellow Submarine in sich vereint.

Am futurologischen Kongress herrscht "Animationszwang", auch für die Schauspielerin Robin Wright.
© Pathé Films AG
Abstreiten lässt sich die Brillanz von Folmans Animation nicht. In zuckersüssen, ins Albtraumhafte überzeichneten Bildern fängt er die düster-groteske Atmosphäre von Lems zynischer Dystopie ein; faszinierend und beängstigend zugleich ist die Welt, die er kreiert. Bis der Film aber seinen Hauptteil erreicht, verstreichen 40 lange Minuten, in denen sich Robin Wright in realer Form mit der Aussicht auf ein Leben abseits des Rampenlichts auseinandersetzt. Hier wird ihr herzensguter Agent (Harvey Keitel) eingeführt, der danach komplett von der Bildfläche verschwindet, ferner der skrupellose Miramount-Produzent Jeff Green (Danny Huston), ihr schleichend Gehör und Augenlicht verlierender Sohn Aaron (Kodi Smit-McPhee) sowie dessen Arzt (Paul Giamatti).

Dieses erste Drittel ist, vereinfacht gesagt, eine technische wie thematische Katastrophe. Die grässlich dämmergelbe Beleuchtung macht aus jedem Dialog eine Abfolge von Dokumentarfilm-Interviews; auf der Tonspur wird, in der Hoffnung charakterliche Tiefe zu erzeugen, allzu häufig am Lautsträrkenregler gedreht. Banale Satire dominiert: Folman lässt sich herab zu billigen Schenkelklopf-Verweisen auf "B-actresses doing Holocaust flicks" und ignorante Produzenten ("Do you know why nobody read Lord of the Rings? Because it's boring! That's why we make movies"). Mit erhobenem Zeigefinger warnt er vor der Rationalisierung der Künste (ausgediente Kameramänner bedienen Miramounts Menschen-Scanner) und den Tücken des Fortschritts (die durchaus nachvollziehbare Linie "Technophobie hat noch nie jemanden weitergebracht" wird als Auswuchs jugendlicher Naivität behandelt). Seinen lächerlichen Höhepunkt erreicht der sich selber viel zu ernst nehmende Film bereits nach einer halben Stunde, als Paul Giamatti während einer Beschreibung von Aarons Krankheit daraus plötzlich die bedeutungsschwangere Linie "Imagine what movies will be like in 50 years" ableitet.

Leider wird dieser Ansatz auch in den darauf folgenden 80 Minuten weitergeführt; Lems hintergründiger Humor weicht einer geradezu kindischen Wortakrobatik und uninspirierten Anspielungen – so heisst etwa der Zeremonienmeister des Titel gebenden Kongresses Reeve Bobs. Entsprechend pendelt The Congress stets zwischen abgedroschener Oberflächlichkeit und – dank Folmans Virtuosität im Bereich der Animation sowie der nachhaltigen Kraft von Lems Erzählung – wahrhaftig fesselnden Passagen.

★★

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