Freitag, 29. März 2013

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Während hierzulande gerne die Trivialisierung der Politik beklagt wird, zeigt das leichtfüssige Dokudrama No, Chiles erster für den Fremdsprachen-Oscar nominierter Film, wie man damit die Massen ansprechen und sogar eine Diktatur stürzen kann.

1988 steht Chile am Scheideweg. 14 Jahre lang ist Diktator Augusto Pinochet an der Macht, "legitimiert" durch eine gut situierte Mittelschicht, welche die Augen vor dem Preis ihres Erfolges verschliesst: Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, Proteste werden brutal niedergeschlagen, Andersdenkende verschwinden spurlos. Wegen steigenden internationalen Drucks sieht sich Pinochet gezwungen, sein Volk darüber abstimmen zu lassen, ob er sein Amt weitere acht Jahre ausüben darf. "Sí" ist eine Stimme für ihn, "No" für die Opposition. Um die ihnen an täglicher Fernsehzeit zustehende Viertelstunde optimal auszunutzen, verpflichten die No-Verfechter den Werbeexperten René Saavedra (Gael García Bernal), der eine erfolgreiche Kampagne auf die Beine stellt. Dieses Engagement bleibt allerdings nicht unbemerkt: Familie, Freunde und auch er selber geraten ins Visier des staatlichen Einschüchterungsapparates.

Tränengas liegt in der Luft, Demonstranten flüchten vor einer Armee bewaffneter Polizisten. Über die Bilder sind Texttafeln gelegt; sie zeigen, wie viele willkürliche Verhaftungen das Pinochet-Regime zu verantworten hat, wie viele Exilanten, wie viele Exekutionen. Das karge Fazit: "No". Ob sie glauben, damit die Wahl gewinnen zu können, möchte René Saavedra wissen. Nein, aber darum gehe es auch nicht, lautet die Antwort. Das Ziel sei, Aufmerksamkeit zu erregen. Wenig später legt Saavedra seine Vision vor, eingeführt mit der immer gleichen Versicherung, dass der folgende Clip "in den gegenwärtigen sozialen Kontext Chiles passt". Fröhliche Menschen singen und tanzen, alles ist bunt; Freiheit und Freude sollen fortan die Opposition inspirieren. Die neue Botschaft lautet "No más", "nicht mehr": Schluss mit der Armut, Schluss mit der Angst, Schluss mit der Diktatur.

Kreative Pause: Werbefachmann René (Gael García Bernal) übernimmt die gefährliche Aufgabe, die Fernsehkampagne gegen Diktator Pinochet zu gestalten.
© cineworx
Die Gegenüberstellung dieser beiden Interpretationen von Demokratie ist einer der Hauptkonflikte im dritten Teil von Pablo Larraíns Pinochet-Trilogie (Tony Manero, Post mortem). Ist es wirklich integrer, die Wählerschaft mit Fakten zu überzeugen, wenn griffige Slogans und lustige Ideen eher zum Ziel führen? Larraín nimmt diese Frage keineswegs auf die leichte Schulter – wie es ihm einige chilenische Kritiker vorgeworfen haben –, sondern versucht sie anhand der Entwicklung seiner Hauptfigur zu beantworten. René wandelt sich vom apolitischen Jedermann zum vorsichtigen politischen Optimisten, der schliesslich aber einsehen muss, dass der von ihm orchestrierte Erfolg der No-Kampagne einen heiklen Präzedenzfall geschaffen hat. Entertainment-Politik war ein Segen im Chile der späten Achtzigerjahre – sie "passte in den sozialen Kontext" –, doch davon auf die Allgemeingültigkeit zu schliessen, wäre falsch.

Larraíns primäres Bestreben ist es jedoch, sich vor den Helden des Plebiszits von 1988 zu verneigen. Dabei erweist sich das Medium, eine alte U-matic-Videokamera, als ideales Stilmittel: Archivaufnahmen verbinden sich nahtlos mit inszeniertem Material. Fast könnte die Illusion entstehen, No wäre aus den Archiven Santiagos gehoben worden – wären da nicht Larraíns gezielte Brüche: Dialoge werden trotz abrupter Schauplatzwechsel ohne Unterbrechung fortgeführt, sich selber spielende Protagonisten, etwa der heute 94-jährige Patricio Aylwin, Pinochets Nachfolger, erscheinen in den No-Werbespots plötzlich viel jünger. Mit Kniffen wie diesem unterstreicht Larraín seinen Anspruch, nicht Dokumentation, sondern Kunst mit hohem Unterhaltungswert machen zu wollen. Etwas mehr Substanz hätte No zwar nicht geschadet, doch über das Resultat lässt sich nicht streiten.

★★★★

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