Donnerstag, 21. März 2013

Like Someone in Love

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Seit gut 25 Jahren ist der Iraner Abbas Kiarostami der prominenteste Vertreter des nahöstlichen Kinos. Sein neuer Film führt ihn jedoch in fremde Gefilde: In Like Someone in Love dient ihm Japan als Leinwand für ein meditatives Drama über Liebe, Identität und Kommunikation.

Um sich ihr Soziologiestudium an einer Tokioter Universität finanzieren zu können, arbeitet die junge Akiko (Rin Takanashi) des Abends als Callgirl. Als ihr Chef sie eines Abends zu einem Auftrag in die Vorstadt abkommandiert, prallen Privatleben, Beruf und Ausbildung aufeinander: Zum einen muss sie ihren misstrauischen Freund Noriaki (Ryo Kase), dem sie ihre Nebeneinkunft verheimlicht, per Telefon beruhigen; zum anderen opfert sie für ihren Kunden, den pensionierten Professor Takashi (Tadashi Okuno), den Schlaf, den sie vor der anstehenden Prüfung bitter nötig hätte, sowie die Möglichkeit, sich mit ihrer Grossmutter zu treffen, welche kurzfristig einen eintägigen Tokio-Besuch angekündigt hat. Bei Takashi angekommen, verzichtet Akiko auf das ihr angebotene Abendessen und legt sich sogleich ins Bett. Am nächsten Morgen fährt ihr Gastgeber sie zur Universität, wo er mit Noriaki ins Gespräch kommt, der ihn für Akikos Grossvater hält.

Die Feinheiten und Fallgruben menschlicher Interaktion sind für Abbas Kiarostami (Where Is the Friend's Home?, Taste of Cherry, The Wind Will Carry Us), 72, kein Neuland: Schon Close Up (1990), sein satirisch angehauchtes Stück Cinéma vérité um eine absurde Verwechslung, zeigte die Fährnisse von Missverständnissen, die aus Höflichkeit nicht aufgeklärt werden. Seit er jedoch seinem geliebten Heimatland zumindest vorübergehend den Rücken gekehrt hat, scheint ihn dieses Thema mehr denn je zu inspirieren. Insofern ist Like Someone in Love, sein zweiter ausserhalb des Irans gedrehter Spielfilm, eindeutig ein Begleitwerk zu Copie conforme von 2010, wo das Gespräch zweier Fremder plötzlich in den Dialog eines desillusionierten Ehepaars überleitete. Hier beschäftigt sich Kiarostami mit dem Versuch – und dem Scheitern – der Kommunikation: zwischen den Geschlechtern, zwischen den Generationen (Anklänge an Japans Filmemacher-Legende Yasujiro Ozu), zwischen den Menschen.

Akiko (die herausragende Rin Takanashi) steht vor einer wegweisenden Nacht.
© Praesens Film
Er zeigt ein zweigeteiltes Tokio, neonfarbene Glitzerwelt bei Nacht, unspektakuläre Betonwüste bei Tag, in dem die Stimmen aus Radios und Mobiltelefonen kommen, in dem stets über unsichtbare Dritte gesprochen wird, wo selbst das Gegenüber, wenn überhaupt, nur verschwommen wahrnehmbar ist. In diesem unpersönlichen Moloch aus zwischenmenschlichen Barrieren und kodierten Verhaltensregeln – warum er über den Witz lacht, möchte Akiko wissen; "Weil es eben ein Witz ist", antwortet Takashi –, den auch Wong Kar-wai schon in In the Mood for Love thematisierte, ist es, so Kiarostami, schier unmöglich, sich seinen Individualismus zu bewahren: Laut Akiko vergeht kein Tag, an dem sie nicht mit jemand anderem verglichen werde. Das gesellschaftliche Maskenspiel ist vollkommen: Als Takashi den Part des Grossvaters übernimmt, wird klar, dass auch seine jüngeren Gesprächspartner lediglich Rollen spielen – Noriaki den Ehemann, Akiko (brillant gespielt von der faszinierend ausdrucksstarken Rin Takanashi) das Escort Girl.

Das alles scheint letztlich auf die Frage hinauszulaufen, was denn die monogame Liebe eigentlich ist und ob sie in dieser in Ritualen gefangenen Welt überhaupt noch gilt. In Copie conforme konnten sich zwei wildfremde Menschen eine ganze Ehe ausdenken; hier wird eine Beziehung durch Wortlosigkeit am Leben erhalten. Der Titel ist Programm: Es herrschen Unsicherheit, Vagheit, das Fehlen klarer Bezeichnungen und Konturen. Diese Vielfalt an Motiven und Themen trägt Kiarostami mit atemberaubender Schlichtheit und visueller Eloquenz vor. Auch deshalb ist Like Someone in Love das kontrollierte, souveräne Werk eines Meisters.

★★★★★

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